Cento

Als Cento wird ein Text (oft ein Gedicht) bezeichnet, der aus Versen, Versteilen, Strophen, Zitaten und Redewendungen sowie sonstigen Textpassagen bekannter Autoren zusammengesetzt wurde. Centos parodieren die Werke, derer Teile sie sich bedienen, zumeist nicht, sondern bilden eher eine Collage. Sie verweisen so auf die Intertextualität von Literatur (hier: konkrete Bezüge zwischen Texten).


Begriff & Beispiel

Der Begriff leitet sich aus dem Altgriechischen ab (altgr. κέντρων) und fand den Weg über das Lateinische in den heutigen Sprachgebrauch. Ursprünglich meinte er ein zusammengeflicktes Kleid oder ein Flickwerk und verweist demnach auf die eigene Bedeutung: nämlich auf ein Flickgedicht [einem Werk, das gewissermaßen aus den Zitaten bekannter Dichter zusammengeflickt wurde]. Schauen wir auf einen Beispiel-Vers:


Ihr naht euch wieder? In die Ecke, Besen!
Luft! Luft! Clavigo! Meine Ruh’ ist hin.

Das obige Beispiel zeigt die ersten Verse des Gedichtes Goethe Quintessenz des deutschen Schriftstellers Edwin Bormann (1851 – 1912), der mitunter für das Zusammensetzen von Gedichten aus anderen Werken bekannt war. Das obige Beispiel beinhaltet vier Versteile aus berühmten Goethe-Werken.

Ihr naht euch wieder? ist dem Faust entnommen, In die Ecke, Besen! ist ein Vers aus dem Zauberlehrling und Luft! Luft! Clavigo! wurde aus dem Trauerspiel Clavigo entnommen, wobei Meine Ruh’ ist hin. ebenfalls aus dem Faust stammt. Bormann bediente sich also der bekannten Passagen und fügte diese zu einem neuen Gesamtwerk zusammen. Ebendieses Vorgehen wird als Cento, also als Flickgedicht, bezeichnet.

Ursprünge des Centos

Die Ursprünge der Textsorte gehen bis in die Antike zurück. Hier wurden hauptsächlich die bekannten Dichter Vergil sowie Homer genutzt, um aus Passagen ihrer bekannten Werke neue Texte zu kreieren. Später nutzten außerdem Vertreter des Christentums heidnische Texte, um religiöse Prosa und Lyrik zu erschaffen (Beispiel: Athenāis schuf aus homerischen Versen das Werk Leben Jesu).

Eines der bekanntesten Werke der Zeit ist das Cento nuptialis von Ausonius, einem römischen Staatsbeamten und Dichter, der im 4. Jahrhundert lebte. Dieses setzt sich gänzlich aus Verszeilen von Vergil, dem lateinischen Dichter und Epiker, zusammen und schildert die Stationen der Hochzeit der Constantia und des Gratian.

Pikant ist an diesem Werk aber nicht nur, dass Ausonius den bekannten Dichter zweckentfremdet, sondern in seinem Cento explizit auf Details der Hochzeit eingeht, so schildert er zwar teils Belanglosigkeiten, geht aber auch auf die Defloration (Entjungferung) der Braut ein, wodurch der Cento teils stark kritisiert wurde.

Im Mittelalter wurde die Gattung vor allem für die geistliche Dichtungen gebraucht, wobei sich abermals hauptsächlich bei Vergil und Homer, aber ebenso bei Horaz bedient wurde. Hierbei wurden häufig christliche Werke aus (teils heidnischen) alten Texten kreiert. Als Beispiel kann unter anderem der Mönch Metellus aus dem 12. Jahrhundert angeführt werden, der Werke aus Vergil- und Horaz-Versen schuf.

Kurzübersicht: Das Wichtigste zum Cento im Überblick


  • Als Cento, auch Flickgedicht, wird ein Werk bezeichnet, das größtenteils aus anderen Texten zusammengesetzt ist. Hierbei handelt es sich um eine Art der Collage, die einen komischen Effekt haben kann, aber oft auf die Intertextualität von literarischen Texten verweisen soll.
  • Demzufolge kann die Textsorte durchaus als Hommage verstanden werden, also als eine Art der Huldigung oder Ehr­er­bie­tung des zitierten Künstlers sowie dessen Œuvres (künstlerisches Gesamtwerk), das die Grundlage des Centos darstellt.
  • Solche Centos sind bereits seit der Antike belegt, wobei zumeist die Dichter Homer sowie Vergil als Vorlage dienten, was durchaus an der Textfülle der beiden Literaten liegen kann. Dennoch lassen sich Centos in sämtlichen Literaturepochen ausmachen und sind nicht unbedingt ein Phänomen einer bestimmten Zeit oder literarischen Strömung.

  • Hinweis: Solche Collagen können auch in der Musik vorkommen, weshalb auch der Begriff der Flickoper geläufig ist, die sich aus verschiedenen Werken speist. Auch die Sammlung von Kirchengesängen (Antiphonar) von Papst Gregorius wurde als Cento bezeichnet.
  • Autoren von bekannten Centos [Vorlage]
    • H. Maripetro, Petrarca spirituale [Petrarca] (1536)
    • Etienne de Pleure, Sacra Aeneis [Vergil] (1618)
    • Hasenbalg, De centonibus virgilianis [Vergil] (1846)
    • Edwin Bormann, Goethe Quintessenz [Goethe] (1885)


Stichwortverzeichnis