Stanze

Der Begriff Stanze wurde ursprünglich synonym zum Begriff der Strophe gebraucht, meinte dann aber ausschließlich die Okatve, auch Ottaverime, eine italienische Strophenform. Diese italienische Stanze besteht aus acht jambischen Verszeilen, welche alle aus Elfsilbern gebildet werden, den sogenannten Endecasillabi, mit weiblicher Kadenz. Zumeist folgt die Stanze dem Reimschema ababab/cc, obwohl auch Formen mit aabccbdd geläufig sowie andere Spielarten denkbar sind. Die deutsche Form der Stanze setzt meist auf den fünfhebigen Jambus, wobei das letzte Reimpaar, oft einen inhaltlichen Bruch, wie auch im Sonett, darstellt oder als Synthese den krönenden Abschluss bildet.


Der Begriff leitet sich vom italienischen Nomen stanza ab, das sich mit Aufenthaltsort, Zimmer, aber ebenso mit Strophe übersetzen lässt. Somit verweist die Übersetzung vornehmlich auf die ursprüngliche Bedeutung des Wortes, wenn es allgemein auf die Strophe oder eine Art Reimgebäude verweist. Die wesentlichen Merkmale der Textsorte lassen sich hier jedoch nicht erkennen. Nachfolgend ein deutsches Beispiel:


a
b
a
b
a
b
c
c
Ins Dunkel will des Jahres Licht sich neigen;
Des Lebens heiße Glut, sie kehret wieder
In ew’gen Feuers Schooß zurück; es schweigen,
Die sie entzündet, schon im Hain die Lieder;
Die Liebe flieht, und kalt entlöst den Zweigen
Sich mattes Laub, der Blumen Schmuck sinkt nieder.
Das Herz erstirbt, die Adern sind verschlossen,
Worin Gedeihn und Kraft sich frisch ergossen.

Das ausgewählte Beispiel ist die erste Strophe des Gedichts Wiedergeburt von Johann Wilhelm Süvern, ein Reformator der Schulgesetzgebung Preußens, aber auch Politiker und Dichter. Im obigen Auszug werden die Merkmale der Stanze ersichtlich. So besteht er aus acht Versen, die jeweils 11 Silben aufweisen, wobei sich unbetonte und betonte Silben abwechseln, also alternieren, und jambisch sind. Je Vers gibt es 5 Hebungen.

Weiterhin folgt diese Strophe dem typischen Reimschema abababcc. Ihre ersten Reime alternieren demnach, wechseln sich also ab, wohingegen die letzten beiden Verse paarig angeordnet sind. Außerdem folgt auf die letzte Hebung einer Zeile nur eine weitere, aber unbetonte, Silbe, wodurch die Verse mit einem weiblichem Versschluss, also einer weiblichen Kadenz, enden. Das entspricht exakt dem italienischen Vorbild.

Ferner können die letzten zwei Zeilen als eine Art Zusammenfassung (Synthese) gelten. Immerhin handeln die Zeilen zuvor vom Absterben; vom Leben, das zurück in den Schoß kriecht, das vergeht, obwohl es doch soeben erst entstanden ist. Die letzten beiden Verszeilen bringen das erneut auf den Punkt, wenn sie aufzeigen, dass die frische Kraft nun erstirbt und die Adern, die eben noch offen waren, verschlossen sind.

Das bedeutet, dass die Strophe eine Stanze ist, weil sie acht elfsilbige Verse hat, deren Versmaß der Jambus und deren Versschluss weiblich ist. Dass der Auszug aber dem Reimschema abababcc folgt, ist zwar typisch, aber keine notwendige Voraussetzung, um als Stanze zu gelten. Ebenso das pointierte, zusammenfassende oder auch steigernde Ende ist kein Muss, auch wenn es oft in Stanzen Verwendung findet.

Spenser-Stanze (Spenserstrophe)

Die Spenserstanze, auch Spenserstrophe genannt, ist eine Weiterentwicklung der italienischen Stanze. Benannt ist sie nach Edmund Spenser, einem englischen Dichter des 16. Jahrhunderts, welcher als ein Vorbild William Shakespears gilt. Sie reichert das italienische Vorbild an, wurde allerdings nicht in die deutsche Dichtung übernommen und existiert in dieser fast nur in Übersetzungen.

Die Spenserstanze erweitert die italienische Strophe um eine weitere, also neunte, Zeile, die im Gegensatz zu den vorherigen Fünfhebern, sechshebig ist und sich außerdem durch eine Mittelzäsur auszeichnet. Die Zäsur meint einen metrischen Einschnitt, der als kurze Pause wahrgenommen wird. Somit ähnelt diese zusätzliche Zeile dem Alexandriner. Das Reimschema ist hier ababbcbcc. Schauen wir auf ein Beispiel:


a
b
a
b
b
c
b
c
c
Soone as the morrow faire with purple beames
Disperst the shadowes of the mistie night,
And Titan, playing on the eastern streames,
Gan cleare the deawy aire with springing light,
Sir Guyon mindfull of his vow yplight,
Vprose from drowsy couch, and him addrest
Vnto the iourney which he had behight:
His puissaunt armes about his noble brest,
And many-folded shield he bound about his wrest.

Diese beispielhafte Spenserstanze ist eine Strophe aus dem Gedicht The Faerie Queene (Die Feenkönigin), das wahrscheinlich Spensers wichtigsten Beitrag zur englischen Dichtung darstellt. Es handelt sich um einen Text, der um die Gunst der Königin suchte und eine Allegorie auf das Christentum bildet. Im Gegensatz zur Stanze, wie sie im bisherigen Beitrag vorgestellt wurde, sind hierbei vor allem drei Dinge auffällig.

Hierbei wird das typische Reimschema aufgebrochen (nicht mehr abababcc, sondern ababbcbcc), wobei der Paarreim am Ende schon im sechsten Vers angedeutet wird. Weiterhin sind sowohl männliche und weibliche Kadenzen möglich, wobei der letzte, zusätzliche Vers sechs Hebungen aufweist. Meist ist der letzte Reim in einer Spenserstanze betont (hier: brest), auch wenn es durchaus Abweichungen gibt.

Geschichte der Stanze

Die Stanze dominierte vor allem die klassische italienische Epik, setzte sich aber alsbald auch in Lyrik und Dramatik durch. Fortan taucht sie in den verschiedenen Literaturepochen durchgehend auf und ist bis ins 21. Jahrhundert, auch im deutschsprachigen Raum (teils mit Abwandlungen), belegt.

Bereits im 13. Jahrhundert lässt sich die Strophenform finden. Hier dient sie zumeist der Darstellung religiöser Themen und wird beispielsweise von Giovanni Boccaccio, einem Dichter, Schriftsteller und Demokrat des 14. Jahrhunderts als Gestaltungsmittel genutzt. So lässt sich die stanza unter anderem in Teseida, ein Epos in Stanzen, nachweisen. Die Form wird dann auch von Ludovico Ariosto oder Matteo Maria Boiardo adaptiert.

Vor allem stellt die Stanze also in den romanischen Sprachen eine der bevorzugten Formen dar und bildete sich vor allem in der Hochrenaissance zur typischen Form im Epos heraus. Dann aber auch in der Lyrik und der Dramatik. Belegt ist sie so bei Torquato Tasso, einem italienischen Dichter des 16. Jahrhunderts, dessen bekanntestes Werk, das Epos La Gerusalemme liberata (Das befreite Jerusalem), in Stanzen verfasst ist.

Im englischen Sprachraum sind es dann – neben Edmund Spenser, der die Stanze in der Spenserstrophe erweiterte – vor allem William Butler Yeats oder auch George Gordon Byron bei denen sich Stanzen finden lassen. Aber auch Werke von Thomas Wyatt und Robert Browning verweisen auf diese Strophenform.

In Deutschland verbreitet sich die Stanzen nicht so rasant, weshalb sie sich zumeist nur in Übersetzungen englischer oder italienischer Texte ausmachen lässt. Allerdings ist sie in dieser Form schon sehr früh belegt. Beispielsweise findet sie sich bei Diederich von dem Werder, der im 17. Jahrhundert eine Übersetzung von Tassos Befreitem Jerusalem anfertigte und die ursprüngliche Strophenform dabei erhielt.

Dennoch finden sich auch in Deutschland Zeugnisse der Stanzendichtung. Diese lässt sich aber erst ab dem 18. Jahrhundert flächendeckend beobachten. Beispielsweise ist Goethes Epilog zu Schillers Glocke in Stanzen verfasst. Ferner findet sie sich in Ernst Schulzes (1789-1817) Versepos Die bezauberte Rose.

In späteren Ausprägungen variiert vor allem häufig das Reimschema dieser Strophe, welches teilweise recht frei gehandhabt wurde. Dennoch lassen sich beispielsweise bei Rainer Maria Rilke Stanzen finden, die sich an der ursprünglichen italienischen Form orientieren, wie etwa in seinen Winterliche Stanzen, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden. Auch Liliencrons Poggfred (1896) zeichnet sich durch Stanzen aus.

Kurzübersicht: Das Wichtigste zur Stanze im Überblick

  • Die Stanze ist eine italienische Strophenform. Sie besteht aus acht jambischen Verszeilen, die jeweils aus elf Silben gebildet werden und eine weibliche Kadenz aufweisen. Zumeist folgt die Strophe dem Reimschema ababab/cc, wobei auch andere Formen geläufig sind.
  • In den romanischen Sprachen bildet sie die häufigste und – vor allem in der Hochrenaissance – typische Form des Epos. Dennoch wurde sie bereits früh in der Lyrik und im Drama gebraucht.
  • In Deutschland taucht die Stanze zuerst vor allem in Übersetzungen von englischen und auch italienischen Werken auf und wird nicht zu einem typischen Muster. Dennoch lassen sich auch im deutschsprachigen Raum, vor allem ab dem 18. Jahrhundert, Stanzen finden.

  • Hinweis: Es gibt zahlreiche Strophenformen, die mit der Stanze verwandt sind oder sich an dieser orientieren. Beispielhaft sind die Spenserstanze, die Siziliane oder die Nonarime.


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