Lenz

Einleitung

Die Erzählung Lenz wurde vom Schriftsteller Georg Büchner geschrieben. Das genaue Datum der Entstehung ist unbekannt, jedoch kann eine Beschäftigung Büchners mit dem Thema auf die erste Jahreshälfte 1835 datiert werden. Umstritten ist, ob der Text als Novelle gelten kann.

Bei der Erzählung handelt es sich um einen zu Lebzeiten Büchners unveröffentlichten Prosa-Text. Deswegen stammt auch der Titel Lenz nicht von dem Schriftsteller. Die Erzählung wurde zuerst zwei Jahre nach Büchners Tod 1839 in der von Karl Gutzkow herausgegebenen Zeitschrift Telegraph für Deutschland veröffentlicht.

In Lenz wird ein episodenhafter Ausschnitt aus dem Leben des Schriftsteller Jakob Michael Reinhold Lenz erzählt, dessen abnehmende Geisteskraft den Hintergrund der Erzählung bildet. Zu Beginn der Erzählung streift Lenz krankhaft durch eine Berglandschaft. Später erholt er sich bei dem Pfarrer Oberlin, kann seine manischen Wahnvorstellungen allerdings nicht überwinden.

Lenz hatte gehofft, dass ihn ein Aufenthalt in der Ruhe des Bergdorfs heilen könnte. Als sich Lenz mehrfach durch einen Sprung aus dem Fenster umzubringen versucht, lässt der Pfarrer Lenz in die nächst größere Stadt Straßburg transportieren.

Inhaltsangabe

Der Dichter Lenz ist von seelischen Krankheitszuständen befangen und hofft, bei dem evangelischen Pfarrer Oberlin in dem Bergdorf Waldbach Erholung, Ruhe und Linderung seiner Schmerzen zu erfahren.

Zu Beginn der Erzählung streift Lenz durch das winterliche Gebirge, wobei seine geistige Verwirrung deutlich zum Ausdruck kommt. Ihm kommt es vor, als ob die Steine mit ihm sprechen würden und alle Erscheinungen der Natur mit ihm in Verbindung stehen. Ihm ist, als „jage der Wahnsinn auf Rossen hinter ihm“.

Bei Oberlin angekommen, ist Lenz zunächst vollkommen beruhigt. Der kluge Pfarrer erweist sich als Kenner seiner Dramen und nimmt den Gast für die Dauer einer Mahlzeit in seine Familie auf. Lenz fühlt sich an seine Kindheit erinnert und genießt das friedliche Miteinander. Jedoch plagt ihn die Nacht, er schläft in einem kargen und kühlen Zimmer im gegenüberliegenden Schulgebäude.

Mit einem Mal ist die Wärme und Behaglichkeit der Wohnung gegen die Einsamkeit getauscht. Lenz durchlebt Angstzustände. Vom Wahnsinn gezeichnet verletzt er sich und kann sich nur noch in dem Wasser eines kühlen Brunnens abkühlen. In der Folge unterscheiden sich die Tage und Nächte, die Lenz verbringt sehr.

Am Tag kann er durch die wohlmeinende Sorge des Pfarrers soweit beruhigt werden, dass Hoffnung auf eine Heilung seines Seelenzustands besteht. In der Nacht hingegen ist Lenz mit den Abgründen seiner Persönlichkeit, seinen Ängsten und Wahnvorstellungen konfrontiert. Er emfpindet die Nächte als Qual („der Alp des Wahnsinns setzt sich zu seinen Füßen“).

Es ist Lenz nicht möglich, an dem Leben seiner Mitmenschen teilzunehmen. Er entfremdet sich zusehends. Der Pfarrer Oberlin versucht, Lenz zum Glauben zu führen und tatsächlich ist Lenz von Oberlins Weltsicht, die Natur als Geschenk Gottes und die Bibel als Schützer anzusehen, angetan. Zu dieser Zeit erscheint der Glaube als letzte Chance, den geschundenen Dichter vor seiner Fantasie zu retten. Doch das „süße unendliche Gefühl des Wohls“, das durch den Glauben entsteht, hält nur kurz.

Lenz ist weiterhin von seiner Depression bestimmt und kann sich dem Glauben nicht öffnen. Zu dieser Zeit bekommt Lenz Besuch von seinem Freund Christoph Kaufmann. Der Kontakt mit seinem ehemaligen Gefährten tut Lenz gut. In einem Gespräch über die Kunst und die Ästhetik des Idealismus gelingt es dem Dichter, konzentriert und ungetrübt über seinen ehemaligen Lebensinhalt zu sprechen.

Allerdings bricht Lenz das Gespräch mit Kaufmann ab, als dieser ihn auffordert, zu seinem Vater zurückzukehren. Für Lenz erscheint der Aufenthalt in dem Bergdorf Waldbach als einzige Möglichkeit, sein Leben wieder zu stabilisieren und ein bürgerliches und geordnetes Leben zu verwirklichen.

Oberlin und Kaufmann reisen am nächsten Tag in die Schweiz, Lenz bleibt alleine zurück. Jedoch begleitet er die beiden Männer noch bis an die Grenze des Gebirgs. Auf dem Rückweg kommt er in der Dunkelheit an einer kleinen Hütte vorbei, in der ein sehr krankes Mädchen liegt. Das Mädchen hat starkes Fieber und wird von einer halb tauben Frau behütet, die christliche Lieder aus einem Gesangbuch singt.

Als Lenz Tage später von dem Tod des Mädchens erfährt, beschließt er, zu der Hütte zu pilgern und zu versuchen, wie Jesus das Mädchen wieder zu beleben. Im Angesicht der Leiche muss Lenz allerdings erkennen, dass er nicht Jesus ist. Es ist ihm von nun an unmöglich, an Gott zu glauben. Er wird vollkommen zum Atheist und und beginnt, über die Religion zu lachen.

Als Oberlin von seiner Reise aus der Schweiz wieder zurückkehrt, erkennt er, dass sich Lenz Zustand weiter verschlechtert hat. Er weiß sich nicht anders zu helfen, als Lenz an Jesus zu verweisen. Lenz ist mittlerweile so von seinen Wahnvorstellungen befangen, dass er Oberlin gesteht, eine frühere Freundin aus Eifersucht umgebracht zu haben.

Obwohl dieser Umstand nicht der Wirklichkeit entspricht, ist Lenz von seiner Parallelrealität befangen. In der Folge ist es ihm kaum noch möglich, die Realität von Fiktion zu unterscheiden. Er ist vollkommen von seinem Wahn ergriffen. Die Stille und Ruhe der Berge hat sich gegen den kranken Dichter gewendet. Mehrmals versucht Lenz sich in der Nacht aus dem Fenster zu stürzen. Dabei handelt es sich um offensichtliche Selbstmordversuche, die allerdings scheitern.

Oberlin beschließt, Lenz in die nächstgrößere Stadt Straßburg bringen zu lassen. Lenz wehrt sich gegen den Abtransport. In einer Herberge auf dem Weg nach Straßburg versucht Lenz erneut, sich umzubringen. Allerdings können seine Begleiter den Selbstmord verhindern. Bei der Ankunft in Straßburg, scheint alles normal.

Lenz scheint „ganz vernünftig, sprach mit den Leuten; er tat Alles wie es die Anderen taten, es war aber eine entsetzliche Leere in ihm, er fühlte keine Angst mehr, kein Verlangen; sein Dasein war ihm eine notwendige Last. – So lebte er hin.“

Historie

Die historische Figur des Sturm-und-Drang-Dichters Jakob Michael Reinhold Lenz bildet den Hintergrund der Erzählung. Büchner bediente sich hierfür den Aufzeichnungen des Pfarrers Johann Friedrich Oberlin, der folglich ebenfalls ein Pendant in der realen Welt hat.

Lenz wird 1751 in einer Kleinstadt im heutigen Lettland geboren. Er studiert zunächst in Königsberg beim jungen Immanuel Kant und verlässt den deutschsprachigen Raum 1771, als er gegen den Willen seines Vaters als Begleiter von zwei Adligen nach Straßburg zieht. In Straßburg erhält Lenz bleibende Eindrücke, so ist er insbesondere von dem französischen Schriftsteller Jean-Jaques Rousseau und dem Dichter Herder begeistert.

In Straßburg wird Lenz zum Stürmer und Dränger. Hier lernt er ebenso den jungen Johann Wolfgang Goethe kennen, den er als „Bruder“ bezeichnet. Der Vergleich mit Goethe wird Lenz gesamtes Leben prägen. Die beiden jungen Dichter ähneln sich in ihren gesellschaftskritischen und subjektivistischen Positionen, schlagen aber in der Folge vollkommen unterschiedliche Wege ein.

Im Jahre 1776 folgt Lenz Goethe nach Weimar und wird zunächst auch positiv und freundlich von der Gesellschaft aufgenommen. Seine Dramen und weiteren Schriften werden von der literarischen Öffentlichkeit wohlwollend zur Kenntnis genommen. Allerdings fällt Lenz in Weimar häufig durch sein exzentrisches Verhalten und seine Unfähigkeit Regeln und Etiketten einzuhalten auf.

Er muss Weimar verlassen und bricht mit Goethe, der ihn in seinen Memoiren Dichtung und Wahrheit nur noch als „vorübergehendes Meteor“ beschreibt. Im Gegensatz zu Lenz gelingt es Goethe, seine empfindsame Sturm-und-Drang-Phase zu überwinden und eine reform-orientierte Verwaltungstätigkeit am Weimarer Hof zu beginnen.

Von der Gesellschaft verstoßen, irrt Lenz durchs Land. Zeitgenossen bemerken allmähliche Symptome seiner Krankheit, die als Manie und Melancholie beschrieben werden. Sein Verhalten drückt sich durch eine krankhafte Leidenschaft bei gleichzeitiger Niedergeschlagenheit und Depression aus. Für seinen enttäuschten Vater stellen die folgenden Selbstmordversuche und Wahnvorstellungen die Anzeichen eines verfehlten Lebens dar.

Gleiches denkt auch der Pfarrer Johann Friedrich Oberlin, bei dem sich Lenz in Waldbach im Elsass eine zeitlang aufhält. Oberlin war Lenz als Seelsorger empfohlen worden. Der Pfarrer führte ein Tagebuch, in dem er den Aufenthalt seines Schützlings detailliert und insbesondere mit Blick auf seine Krankheit festhielt. Dieses Tagebuch diente dem Schriftsteller Georg Büchner auch als Vorlage für seine Erzählung. Nach einem unglücklichen Aufenthalt bei seinem Vater, zieht Lenz vereinsamt nach Russland und stirbt 1792 in Moskau.

Sonstiges

Von seinen Zeitgenossen belächelt und vergessen, wird der reale Lenz in der Folge von Georg Büchners gleichnamiger Erzählung am Ausgang des 19. Jahrhunderts im Naturalismus wiederentdeckt. Es gelingt Büchner, die Zerrissenheit und Depression von Lenz eindringlich darzustellen.

Dabei verweigert sich der Schriftsteller den ästhetischen Merkmalen der idealistischen Dichtkunst der Klassik, der die harmonische Gestaltung des Kunstwerks wichtiger war, als die Würdigung eines einzelnen Lebens. Gerade dies gelingt Büchner aber in seinem Werk. Die Erzählung verbannt das Hässliche und Krankhafte nicht aus der Kunst, sondern macht es zum Ausgangspunkt der Ästhetik.

Damit nimmt Büchner Motive sowie Verfahren der literarischen Strömung des Naturalismus am Ausgang des 19. vorweg, die die Wirklichkeit durchaus kritisch ohne Stilisierung, Verklärung, Überhöhung oder Beschönigung abzubilden versuchte.

Georg Büchner

Georg Büchner wurde 1813 in Goddelau im Großherzogtum Hessen geboren und kam als Sohn des Arztes Karl Ernst Büchner zur Welt. Er war das erste von acht Kindern, von denen jedoch zwei kurz nach der Geburt starben. Zu seinen Geschwistern zählen die bekannte Frauenrechtlerin Luise Büchner und der Fabrikant und Politiker Wilhelm Ludwig Büchner. Ab 1816 lebte die Familie in dem nicht weit entfernten Darmstadt.

Im Alter von elf Jahren wechselte Büchner an das neu-humanistische Pädagogium, von dessen Leiter Wilhelm Dilthey er Lateinunterricht erhielt. Im Alter von 18 Jahren begann Büchner ein Studium der Medizin in Straßburg. Büchner interessierte sich bereits während seiner Schulzeit für den Freiheitskampf und seine Helden (so hielt er anlässlich einer Schulfeier eine Rede über Cato, der aus Protest gegen Cäsar und aus Liebe zur Freiheit im antiken Rom Selbstmord beging).

In Frankreich erlebte er das liberale Klima der Julirevolution von 1830. 1933 musste er allerdings wieder ins Großherzogtum Hessen zurückkehren und setzte sein Studium in Gießen fort. Aus Unzufriedenheit gegenüber den gesellschaftlichen Umständen, gründete er mit einigen Freunden eine Geheimgesellschaft nach französischen Vorbild, die Gesellschaft für Menschenrechte. Im Juli wurde der Hessische Landbote gedruckt, eine radikal politische Streitschrift mit dem Motto „Friede den Hütten! Krieg den Palästen.“

Büchner geriet zunehmend in Konflikt mit den Autoritäten des Herzogtums, was dazu führte, dass er sich im März 1835 nach Straßburg flüchtete. Aus dieser Zeit datieren viele Texte Büchners, wie z.B. Dantons Tod, Lenz aber auch Leonce und Lena. Im Oktober 1836 zog Büchner nach Zürich, wo er an dem in Straßburg begonnenen Fragment Woyzeck weiterarbeitete, es aber nicht beenden konnte. In Zürich wurde ihm für eine Arbeit über das Nervensystem der Doktor der Philosophie verliehen.

Allerdings erkrankte Büchner an Typhus und starb im Alter von 23 Jahren im Exil. Obgleich seines frühen Todes zählt Büchner zu den bedeutendsten Schriftstellern deutscher Sprache. Seine Literatur ist durch eine sehr große Modernität gekennzeichnet, wodurch Büchner für viele später geborene Schriftsteller zu einem wichtigen Autor wurde. Der seit 1923 vergebene Georg-Büchner-Preis ist der wichtigste Preis der Deutschen Literatur.