Realismus

Als Realismus wird eine europäische Literaturepoche inmitten des 19. Jahrhunderts bezeichnet, die in etwa auf die Jahre 1848 – 1890 datiert wird und somit zwischen Romantik und Naturalismus steht. Zugleich löste der literarische Realismus – was zeitlich durch die gescheiterte Märzrevolution von 1848 begründet ist – natürlich auch den Vormärz und den Biedermeier ab. Die angegebene Datierung bezieht sich dabei vor allem auf den bürgerlichen, auch poetischen, Realismus, wie die Ausprägung der Epoche in Deutschland bezeichnet wird. In Frankreich lassen sich beispielsweise schon um 1830 realistische Tendenzen erkennen. Das wesentliche Merkmal des Realismus ist eine Hinwendung zur Wirklichtkeit, die objektiv beobachtet wird, wobei der bürgerliche Mensch zum zentralen Thema der Literatur wurde. Als wesentliche epische Gattungen gelten Roman, Novelle und Dorfgeschichte, wobei in der Lyrik Dinggedichte und Balladen dominieren, wohingegen das Drama in den Hintergrund gerät. Wichtige Vertreter sind Theodor Fontane, Gottfried Keller, Gustav Freytag, Adalbert Stifter, Theodor Storm sowie Marie von Ebner-Eschenbach.


Begriff

Der Begriff Realismus leitet sich vom lateinischen Nomen res ab, welches sich mit Ding oder auch Sache übersetzen lässt, wobei realis in etwa sachlich bedeutet. Im Sprachgebrauch meint realistisch, dass eine Sache wirklichkeitsnah, wirklichkeitsgetreu und lebensecht gezeigt oder eben eingeschätzt wird. Demnach verweist der Begriff selbst darauf, worum es grundsätzlich geht: nämlich um die wirklichkeitsgetreue Darstellung einer Sache, was letzten Endes das wesentliche Merkmal der Epoche ist.

Somit ist es durchaus kompliziert, ein Werk eindeutig dem Realismus und keiner anderen literarischen Epoche zuzuordnen, da es das Bestreben zahlreicher Bewegungen und Strömungen ist, die Wirklichkeit realistisch und wirklichkeitsgetreu nachzuempfinden. Hinzu kommt jedoch, dass sich der Realismus – verstanden als Epochenbegriff – vor allem um eine objektive Darstellung des bürgerlichen Menschen bemüht und dessen Auseinandersetzungen mit seiner Umwelt, was die Eingrenzung erleichtert.

Geprägt wurde der Begriff durch eine Aufsatzsammlung von Jules Champfleury, einem französischen Schriftsteller, die den Titel Le réalisme trug und 1857 erschien. Die Literatur in Deutschland wurde erstmals von Otto Ludwig im Jahr 1871 als poetischer Realismus bezeichnet. Wichtig ist also, dass dass Realistische durchaus schon in anderen Literaturen anzutreffen ist, wie etwa in Euripides‘ Tragödien, Aristophanes Komödien oder in Novellen und Schwänken des Mittelalters und der Renaissance sowie im Schelmenroman des Barock oder in den Dramen Shakespeares, wobei als literarische Epoche mit dem Begriff vor allem die europäische literarische Landschaft im 19. Jahrhundert bezeichnet wird.Epochen der Literatur als Zeitstrahl

Übersicht: Merkmale des Realismus

  • Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts ist geprägt von gesellschaftlichen Veränderungen, wobei Wissenschaft, Technik, Medizin und Wirtschaft auf vielen Gebieten revolutioniert werden und sich in einem ungekannten Ausmaß entwickelten. Diese Fortschritte gingen mit zahlreichen Vereinfachungen in Arbeit und Alltag einher, bedeuteten für viele Menschen allerdings auch das wirtschaftliche Aus, da die Technisierung der Arbeitswelt zahlreiche Gewerbe, Kleinbauern und Tagelöhner – vor allem in den ländlichen Regionen – schlichtweg überflüssig oder in kürzester Zeit arbeitslos machte. Aufgrund dieser fortschreitenden Industrialisierung zog es die Menschen in die Städte, weshalb zahlreiche ländliche Betriebe eingingen. In der Folge wurden die Städte von den Menschen überlaufen und konnten den enormen Ansturm von Arbeitssuchenden kaum auffangen.
  • Das Bürgertum, das zu dieser Zeit in den Städten etabliert ist, sieht sich einer neuen Schicht gegenüber: einer sehr schnell wachsenden Masse an arbeitssuchenden Fabrikarbeitern, die zunehmend das Bild der deutschen Städte prägte, wodurch gesellschaftliche Spannungen, Konfrontationen, Reibungen und Auseinandersetzungen vorprogrammiert scheinen. Die städtische Bevölkerung setzte sich nun aus einer Minderheit von Adel und Klerus, die gesicherte Privilegien hatte, einem Bürgertum, das finanziell abgesichert schien und der wachsenden Schicht von Arbeitern, die keinerlei Sicherheiten im Falle von Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Alter hatten und darüber hinaus 14 Stunden am Tag arbeiteten, zusammen.
  • Zusätzlich zu dieser neuen Situation sieht sich die Gesellschaft mit einem umfassenden Werteverfall konfrontiert: so werden durch wissenschaftliche, philosophische Erkenntnisse altbewährte Normen infrage gestellt, wie etwa das christliche Weltbild, aber auch die Ständegesellschaft oder das Leben in Großfamilien. Als dann 1848 die Märzrevolution in Deutschland scheitert, die für das Bürgertum insofern wesentlich war, als dass man sich ein politisches Mitspracherecht erhoffte, wird das Bürgertum weitreichend in den Grundfesten erschüttert, weshalb die Rolle und Aufgabe des Einzelnen neu definiert werden mussten.
  • Und diese Rolle und Funktion des einzelnen Individuums wurde alsbald zum Gegenstand von Kunst und Literatur. In den Mittelpunkt der Betrachtung rückten menschliche Probleme einzelner Figuren und eben Probleme, die das neue gesellschaftliche Zusammenleben mit sich brachte. Ein entscheidendes Merkmal für die Literatur dieser Zeit, waren die Fragen:„Ist dieses Werk wahrscheinlich? Ist es also denkbar, dass sich das Gezeigte tatsächlich so verhält?“
  • Dennoch: Die Vertreter des Realismus zeigten die Wirklichkeit noch nicht radikal und nackt, sondern gewissermaßen durch die sprachliche Blume. Sie bildeten folglich die nüchterne Realität ab, bedienten sich aber dennoch einer kunstvollen, poetischen Sprache, weshalb man vor allem in Bezug auf Deutschland vom poetischen Realismus spricht. Folglich wird die Wirklichkeit, wie sie sich in realistischen Werken präsentiert, dichterisch ausgestaltet. Einen ganz radikalen und nackten Blick auf die Welt fordert dann erst der Naturalismus.
  • Die literarische Wirklichtkeitsnähe dient dabei aber nicht der Anklage der gesellschaftlichen Umstände, sondern gleicht eher einem distanzierten Beobachten. Die Realisten zeigen eher das Schicksal ihrer Protagonisten und entziehen sich dabei zumeist einem Urteil und ergreifen selten offensichtlich Partei. Das Urteil wird oft dem Leser überlassen, der zum Beobachter des gezeigten realistischen Einzelschicksals wird.
  • Dieser Effekt kann aber nur dann realisiert werden, wenn das Gezeigte möglichst objektiv und urteilsfrei präsentiert wird. Demnach geht es beim Zeigen der Wirklichkeit außerdem um eine größtmögliche Objektivität des Erzählers. In Bezug auf die Erzählperspektive in epischen Texten wurde dies meist durch einen unparteiischen und auktorialen Erzähler realisiert. Zusätzlich wurde oftmals durch den Einsatz von Ironie als Stilmittel und eine melancholische Stimmung als Haltung des Erzählens eine Distanz zum Erzählten erzeugt.
  • Dieses objektive, urteilsfreie Zeigen ließ sich am besten durch literarische Gattungen realisieren, die einerseits den Raum boten, ausführlich die Lebensumstände der Figuren zu zeigen, aber andererseits eine erzählerische Distanz möglich machten: deshalb waren vor allem der Roman sowie die Novelle beliebte Darstellungsformen, wobei sich auch die Dorfgeschichte anbot, da diese überschaubare Figurenkonstellationen und somit den Fokus auf die Probleme des einzelnen Individuums ermöglichte.
  • Grundsätzlich waren aber sämtliche epische Formen auf einen engen Figurenkreis reduziert und boten ein überschaubares Szenario. Um den Wahrscheinlichkeitsanspruch zu sichern, wurden die Erzählungen darüber hinaus in einen Raum gebettet, der örtlich und zeitlich genau festgelegt war. Um die Glaubwürdigkeit noch weiter zu steigern, war die Handlung nicht selten in der Gegenwart und im Umfeld des jeweiligen Dichters angesiedelt.
  • Erzählungen boten einen tiefen Einblick in das Innenleben der Handelnden, was wiederum darauf verweist, dass das Psychologische innerhalb der Dichtung im Realismus eine wesentliche Rolle einnahm. Hierbei stand vor allem die Auseinandersetzung des Einzelnen mit der Gesellschaft und dessen individuelle Persönlichkeit im Vordergrund. Diese intimen und privaten Darstellungen erinnern teils sogar an den literarischen Biedermeier und sind ein wesentlicher Unterschied zur Literatur des Vormärz.
  • Die realistische Lyrik versucht – im Gegensatz zur Epik – nicht vordergründig, eine wirklichkeitsgetreue Welt zu zeigen, sondern eine distanzierte, objektive Wirklichkeit, die unwesentliche Dinge ausspart. Hierbei war vor allem das Dinggedicht populär. Außerdem ging es darum, die Sprache der Lyrik näher an der Alltagssprache zu verorten und sich von überladener Metaphorik zu lösen. Das Drama rückte in den Hintergrund, obwohl die Epoche auch nennenswerte Dramen hervorbrachte.

Historischer Hintergrund

Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts ist geprägt von gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und technischen Veränderungen und Umbrüchen. So liegt die Märzrevolution von 1848 nur wenige Jahre zurück und ließ vor allem Enttäuschung zurück, da man sich von ihr mehr politisches Mitspracherecht erhoffte, was allerdings nicht eintrat und die fortschreitende Industrialisierung prägt fortan das alltägliche Leben und bringt ganz neue, unbekannte Probleme mit sich.

Diese technischen, medizinischen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Fortschritte gingen mit zahlreichen Vereinfachungen in Arbeit und Alltag einher, bedeuteten für viele Menschen aber auch das wirtschaftliche Aus, da die Technisierung der Arbeitswelt zahlreiche Gewerbe, Kleinbauern und Tagelöhner – vor allem in den ländlichen Regionen – schlichtweg überflüssig oder in kürzester Zeit arbeitslos machte. Aufgrund dieser fortschreitenden Industrialisierung zog es die Menschen in die Städte, weshalb zahlreiche ländliche Betriebe eingingen. In der Folge wurden die Städte von den Menschen überlaufen und konnten den enormen Ansturm von Arbeitssuchenden kaum auffangen.

Das Bürgertum, das zu dieser Zeit in den Städten etabliert ist, sieht sich einer neuen Schicht gegenüber: einer sehr schnell wachsenden Masse an arbeitssuchenden Fabrikarbeitern, die zunehmend das Bild der deutschen Städte prägte, wodurch gesellschaftliche Spannungen, Konfrontationen, Reibungen und Auseinandersetzungen vorprogrammiert scheinen. Die städtische Bevölkerung setzte sich nun aus einer Minderheit von Adel und Klerus, die gesicherte Privilegien hatte, einem Bürgertum, das finanziell abgesichert schien und der wachsenden Arbeiterschicht (Proletariat), die keinerlei Sicherheiten bei Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Alter hatten und in den Fabriken schufteten, zusammen.Arbeiter vor einer Lokomotivfabrik in der Industrialisierung

Bild: Lokomotivfabrik Borsig’s Maschinenbau-Anstalt zu Berlin (1847)


Die bürgerliche Revolution von 1848 galt als gescheitert, da die Revolutionäre ihre hochgesteckten Ziele letzten Endes nicht umsetzen konnten. Dies wurde vor allem dadurch besiegelt, dass im April 1849 Friedrich Wilhelm IV. die Krone ab, die ihm verliehen werden sollte. Friedrich Wilhelm IV. wollte keine Krone von „Volkes Gnaden“ haben, was bedeutete, dass er folglich die Volkssouveränität nicht als Verfassungsgrundlage anerkannte. Daraufhin traten viele Abgeordneten aus der Nationalversammlung aus. Im gleichen Zuge schwanden die Hoffnungen der Menschen, ein Mitspracherecht zu erhalten.

Darüber hinaus gab es in Deutschland keine Metropole, wie beispielsweise in Frankreich oder England. Städte wie Paris oder London entwickelten sich zeitgleich zu Großstädten, die die nationale Identität und das Selbstbewusstsein der Menschen stärkte. In Deutschland existierten allerdings noch zahlreiche Einzelstaaten. Beide Umstände: das fehlende Zugehörigkeitsgefühl sowie die gescheiterte Revolution waren maßgeblich für das Lebensgefühl dieser Tage.

Dass ebendiese Zersplitterung Deutschlands als ein gravierender Mangel wahrgenommen wurde, äußert sich beispielsweise in einigen Versen des Autors Wilhelm Raabe, wo es heißt: „Um einen Führer scharen sich die Stämme, //Die Schranken fallen ein, gebrochen sind die Dämme; // Der Franken Herz, das Herz der Schwaben, Bayern, Sachsen, // Zum Herz des Vaterlands in ihm zusammenwachsen!“ In diesen Zeilen kommt das Lebensgefühl der Bürger sowie der festverwurzelte Wunsch nach nationaler Einheit zum Ausdruck.

In die Rolle des Führers, der die nationale Einheit versprechen sollte, wuchs dann Otto von Bismarck, der bereits 1862 zum deutschen Ministerpräsidenten ernannt wurde und im Deutschen Krieg (1866) mit Verbündeten den Deutschen Bund, der unter der Führung von Österreich stand, besiegte und in der Folge auflöste. Daraus entstand in der Folge der Norddeutsche Bund, der die Vorstufe des späteren Deutschen Reichs im Jahr 1871 darstellte und nach langer Zeit ein nationales Selbstbewusstsein in Literatur und Bevölkerung begründete. Zuvor wurde im Deutsch-Französischen Krieg Frankreich besiegt, woraus sich Reparationszahlungen ergaben, die den wirtschaftlichen Aufschwung im Deutschen Reich förderten.

Literatur im Realismus

Wie bereits unter den Merkmalen der Epoche beschrieben, streben die Autoren realistischer Literatur vor allem danach, die Wirklichkeit objektiv, lebensnah und zuweilen aus der Distanz zu zeigen. Wesentlich ist hierbei die Leitfrage, ob sich das Erzählte tatsächlich in ebendieser Form zugetragen haben kann, wobei im Mittelpunkt der einzelne (bürgerliche) Mensch und dessen Auseinandersetzungen mit seinem Alltag, der Gesellschaft und sich selbst steht.

Dennoch ging es den Literaten des Realismus nicht in nur darum, die Wirklichkeit exakt abzubilden – dieses Bestreben verfolgten später die Naturalisten – sondern sie literarisch zu verarbeiten. Otto Ludwig beschrieb diese Form der Literatur als eine „Poesie der Wirklichkeit, die nackten Stellen des Lebens überblumend […] durch Ausmalung der Stimmung und Beleuchtung des Gewöhnlichsten im Leben mit dem Lichte der Idee“. Folglich sollte der realistische Autor den Alltag zeigen, aber darin das Besondere finden, dieses steigern, überzeichnen und daraus das Schöne, Künstlerische machen.

In diesem Zusammenhang kann man von der Ästhetisierung des Alltäglichen sprechen. Das bedeutet, dass ein Objekt, eine Situation oder ein Sachverhalt in einen ästhetischen Zusammenhang gestellt wird, in dem es aufgrund seiner Schönheit oder auch Hässlichkeit beurteilt werden kann. Alltägliche Dinge werden dabei in einen Zusammenhang gestellt, der sie besonders oder gar schön macht. Ein Beispiel:


Fronthaus, Seitenflügel und Kirchhofsmauer bildeten ein einen kleinen Ziergarten umschließendes Hufeisen, an dessen offener Seite man eines Teiches mit Wassersteg und angekettetem Boot und dicht daneben einer Schaukel gewahr wurde, deren horizontal gelegtes Brett zu Häupten und Füßen an je zwei Stricken hing die Pfosten der Balkenlage schon etwas schief stehend. Zwischen Teich und Rondell aber und die Schaukel halb versteckend standen ein paar mächtige alte Platanen.


Das obige Beispiel ist Theodor Fontanes Roman Effi Briest entnommen und findet sich unter den ersten Absätzen des Werkes. Im Eigentlichen wird hierbei lediglich geklärt, wo die Handlung zu verorten ist. In dieser Beschreibung findet sich aber ein kleines Detail, das nicht ganz ins geordnete – ansonsten sehr aufgeräumte – Bild passt: die schiefe Schaukel. Diese Schaukel wird so das, was aus dem Gewöhnlichen hervorsticht und wird so gewissermaßen ästhetisiert, also verschönert, und aus der Beschreibung gehoben. Diese Sonderstellung wird allein durch den einleitenden Gedankenstrich angedeutet.

Dieser fast unauffällige Einschub soll an dieser Stelle so ausführlich behandelt werden, da er ein grundsätzliches Prinzip des Realismus aufzeigt: nämlich das Herausgreifen eines Details aus dem Alltäglichen. Wer nun an die Handlung des Werkes denkt, kann erahnen, dass diese schiefe Schaukel für die unbeschwerte, kindliche Effi innerhalb der geordneten Bahnen oder zumindest ihre kindliche Art steht und somit einen scharfen Kontrast zum Herrenhaus auf dem Anwesen bildet. Es ist übrigens auch kein Zufall, dass sich neben der Schaukel ein Friedhof befindet …

Dass diese Deutung naheliegend ist, verrät Fontane in einem Brief an Gustav Karpeles selbst. Diesem schreibt er am 18. August 1880: „Das erste Kapitel ist immer die Hauptsache und in dem ersten Kapitel die erste Seite, beinah die erste Zeile. […] Bei richtigem Aufbau muß in der ersten Seite der Keim des Ganzen stecken.“ Wesentlich ist allerdings, dass dieses ästhetische Ansinnen im Realismus sehr häufig über die Beschreibung eines Ortes geschieht, der dann symbolhaft für das Innere steht oder bei genauem Lesen schon sehr viel über die Handelnden und den Verlauf der folgenden Erzählung preisgibt. Typisch ist auch, dass realistische Literatur zumeist recht einfach inhaltlich und formal recht einfach gestaltet ist, wobei das Gezeigte zumeist breit ausgestaltet wurde, wodurch eine Nähe zum Gezeigten entstand.

Epik

Die realistische Epik bediente sich vor allem dem Roman, der Novelle und darüber hinaus der Dorfgeschichte. Epische Formen waren insofern prädestiniert für die Epoche, da sie die Gratwanderung zwischen einer objektiven, urteilsfreien Distanz und dem Zeigen des Innenlebens der Handelnden am besten bewerkstelligen konnten. Folglich ist es nicht verwunderlich, dass die meisten Werke, die mit dem Realismus verbunden werden, ebendieser Gattung zuzuordnen sind.

Als Vorbild zahlreicher Werke kann Gustav Freytags Roman Soll und Haben (1855) angesehen werden. Freytag schildert in diesem Werk den Werdegang seines Protagonisten Anton Wohlfart, der einer bürgerlichen Kaufmannfamilie angehört, die einer scheinbar idealen bürgerlichen Schicht zuzuordnen ist. Diese ist ehrlich, ordentlich und tugendhaft und sieht sich mit anderen Schichten – den Juden und dem Adel – konfrontiert. Die Juden verkörpern hierbei die unangepasste, nach dem materiellem Reichtum strebende und unehrliche Gruppe, wohingegen sich der Adel weitestgehend aus dem Geschehen nimmt, über die eigenen Verhältnisse lebt und dennoch nach besonderen Privilegien giert.

Zwar wurde Freytag im Nachhinein vorgeworfen, dass sein Roman voller Klischees und Stereotype sei, doch nichtsdestotrotz gehörte dieser im 19. Jahrhundert zu den meistgelesenen Büchern überhaupt und verdeutlicht wichtige Merkmale der realistischen Literatur: so zeigt Freytag nämlich nicht in erster Linie gesellschaftliche Missstände auf, sondern zeigt seinen Protagonisten in einer Welt, die nicht ideal ist – so wird der Leser zum Richter des Geschehens und muss aufgrund der „objektiven“ Darstellung urteilen.

Einer weiterer Vertreter realistischer Literatur ist der Dichter und Schriftsteller Theodor Fontane. Theodor Fontanes Œuvre umfasst nicht nur zahlreiche epische Werke in Prosa, sondern außerdem viele Gedichte. Wesentlich sind für die Epoche aber vor allem seine Romane Effi Briest, Irrungen, Wirrungen und Frau Jenny Treibel. Fontane zeigte in seinen Werken in der Regel einzelne Individuen sowie deren Auseinandersetzung mit sich selbst und der Gesellschaft um sie herum.

Für die Epik des Realismus ist es entscheidend, dass man versuchte, das Geschehen objektiv und wirklichkeitsnah zu zeigen. Zumeist konzentrierte man sich hierbei auf ein relativ überschaubares Ensemble aus Figuren, weshalb auch die Dorfgeschichte zu den wichtigsten Gattungen dieser Zeit zählte (bspw. Romeo und Julia auf dem Dorfe von Gottfried Keller). Oftmals bediente man sich dafür eines auktorialen, teils auch neutralen, Erzählers und belegte den scheinbaren Wirklichkeitsanspruch der Werke durch eine recht konkrete Einbettung in Zeit und Raum. Sehr häufig war das Geschehen einer Erzählung im unmittelbaren Umfeld des jeweiligen Autors und darüber hinaus in der Gegenwart angesiedelt.

In Bezug auf den Roman waren es vor allem der Entwicklungsroman, welcher den Entwicklungsprozess einer Figur innerhalb der Gesellschaft zeigt (z.B. Soll und Haben von Gustav Freytag); der historische Roman, der sich an historische und vor allem authentische Ereignisse anlehnte (z.B. Vor dem Sturm von Theodor Fontane) sowie der Gesellschaftsroman, der Missstände aufzeigt und ein Bild der Gesellschaft zeichnet (z.B. Effi Briest von Theodor Fontane), die im Realismus verbreitet waren. Wesentlich ist darüber hinaus die Reiseliteratur, die möglichst objektiv die Ortschaften und Begebenheiten auf Reisen zeigte.

Lyrik

Die Lyrik des Realismus unterschied sich insofern von vorherigen Epochen, wie etwa der Romantik oder dem Biedermeier, als dass sie recht schlicht und einfach gestaltet war. Zuvor wurde das Lyrische zumeist verfremdet und unterschied sich somit sehr deutlich von der Sprache des Alltags. Im Realismus verzichtete man weitestgehend auf überladene Metaphern sowie Symbole und unternahm den Versuch, nicht die Wirklichkeit darzustellen, sondern eine poetisierte Realität. Dieses Merkmal ähnelt durchaus auch den Bemühungen in der Epik, wobei das Alltägliche poetisiert und ästhetisiert wurde.

Einen wichtigen Platz nimmt hierbei die Ballade ein, die aufgrund der Verbindung von epischen, dramatischen und lyrischen Elementen inhaltlich ähnlich wie die Epik funktioniert: zumeist werden einzelne Helden gezeigt, die mit der Wirklichkeit agieren, wobei sich die Ballade auf das Wesentliche beschränkte (bspw. John Maynard von Theodor Fontane). Darüber hinaus nahm das Dinggedicht einen gesonderten Platz innerhalb der Lyrik ein, da hier versucht wurde, ein alltägliches Ding aus der Umwelt zu lösen, es objektiv sowie distanziert zu betrachten und das Unwesentliche zu vernachlässigen, wodurch das Ding ebenso poetisiert und ästhetisiert wurde. Ein Beispiel von Conrad Ferdinand Meyer:


Der römische Brunnen

Aufsteigt der Strahl und fallend gießt
Er voll der Marmorschale Rund,
Die, sich verschleiernd, überfließt
In einer zweiten Schale Grund;
Die zweite gibt, sie wird zu reich,
Der dritten wallend ihre Flut,
Und jede nimmt und gibt zugleich
Und strömt und ruht.


Das obige Beispiel ist ein sehr typisches Dinggedicht. Es konzentriert sich auf das Wesentliche des gezeigten Objekts: einen Brunnen. Hierbei kann eine Distanz zum Gegenstand bestehen, wobei die eigene Stimmung des lyrischen Ichs sowie des jeweilgien Dichters ausgeschlossen bleiben, weshalb das Beschriebene die Form und Sprache des Gedichtes bestimmt. Dabei wird eine genaue Beobachtung mit symbolischer Deutung kombiniert. Grundsätzlich können Alltagsgegenstände, komplexe Dinge oder auch stumme Lebewesen beschrieben werden. Zahlreiche Beispiele solcher Dinggedichte finden sich aber auch in anderen Epochen, wie etwa in Rainer Maria Rilkes Der Panther oder bei Eduard Mörike.

Dramatik

Die Rolle der Dramatik ist im Realismus verschwindend gering. Erst später – nämlich im Naturalismus – entdeckten mehrere Literaten das Drama für sich, um damit gesellschaftliche Misstände und somit ein wirklichkeitnahes Abbild der Welt aufzuzeigen. Die Vertreter realistischer Literatur bevorzugten eher die Epik und einen Erzähler, der die Innen- und Außenwelt seiner Protagonisten aufzeigte.

Nennenswert sind in diesem Zusammenhang die Werke Friedrich Hebbels, wie etwa Judith (1843), Maria Magdalene (1843) oder auch Agnes Bernauer (1851). Im Mittelpunkt der Arbeit Hebbels steht aber nicht unbedingt das realistische Abbild seiner Zeit, weshalb es sich hierbei zwar durchaus um Dramen der Zeit handelt, aber keinesfalls um Werke, die die Merkmale gezielt verkörpern. Weiterhin entstanden einzelne Dramen von Franz Grillparzer, wobei auch Georg Büchners Werke bestimmte Wesenszüge der Epoche aufgriffen, wie etwa Woyzeck. Dennoch spielte das Drama eine eher untergeordnete Rolle.

Vertreter und Werke des Realismus (Auswahl)

  • Franz Grillparzer (1791-1872)
    • Ein Bruderzwist in Habsburg (1872)
  • Jeremias Gotthelf (1797-1854)
    • Die schwarze Spinne (1842)
  • Adalbert Stifter (1805-1868)
    • Bunte Steine (1853)
    • Der Nachsommer (1857)
  • Friedrich Hebbel (1813-1863)
    • Maria Magdalene (1844)
    • Die Nibelungen (1861)
  • Otto Ludwig (1813-1865)
    • Zwischen Himmel und Erde (1856)
  • Gustav Freytag (1816-1895)
    • Soll und Haben (1855)
    • Die Ahnen (1872)
  • Theodor Storm (1817-1888)
  • Theodor Fontane (1819-1898)
  • Gottfried Keller (1819-1890)
    • Der grüne Heinrich (1854/55; 1879/80)
    • Die Leute von Seldwyla (erster Band, 1856)
      • Pankraz, der Schmoller
      • Romeo und Julia auf dem Dorfe
      • Frau Regel Amrain und ihr Jüngster
      • Die drei gerechten Kammacher
      • Spiegel, das Kätzchen
    • Die Leute von Seldwyla (zweiter Band, 1874)
      • Kleider machen Leute
      • Der Schmied seines Glückes
      • Die mißbrauchten Liebesbriefe
      • Dietegen
      • Das verlorne Lachen
  • Conrad Ferdinand Meyer (1825-1898)
    • Der römische Brunnen
    • Zwei Segel
    • Der schöne Tag
    • Auf dem Canal Grande
  • Marie von Ebner-Eschenbach (1830-1916)
    • Das Gemeindekind (1887)
  • Paul Heyse (1830-1914)
  • Wilhelm Raabe (1831-1910)
    • Der Hungerpastor (1864)
    • Zum wilden Mann (1874)
  • Ferdinand von Saar (1833-1906)
    • Innocens (1865)
Kurzübersicht: Das Wichtigste zur Epoche im Überblick


  • Historisch betrachtet, war die Gesellschaft im Umbruch. Wichtige Stichworte sind hier die fortschreitende Industrialisierung und die daraus folgenden Veränderungen im Alltag und gesellschaftliche Zusammenleben in den Städten. Darüber hinaus war vor allem das Bürgertum von der gescheiterten Märzrevolution (1848) enttäuscht und versuchte, sich in der neuen „Ordnung“ zu verorten. Gleichzeitig fehlte zu Beginn der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein Gefühl der Zusammengehörigkeit und es zeigte sich der Wunsch nach nationaler Einheit.
  • In der Literatur wurde versucht, die Rolle des Einzelnen zu beleuchten und dessen Auseinandersetzung mit der Gesellschaft. Die Welt und die alltäglichen Begebenheiten sollten realistisch gezeigt werden. Realistisch bedeutet hierbei, dass stets die Frage im Vordergrund stand, ob sich ein Geschehen in dieser Form zugetragen haben könnte.
  • Das Gezeigte wurde dabei nicht anklagend dargestellt, sondern eher objektiv, parteilos und urteilsfrei. Das Urteil wird oft dem Leser überlassen, der zum Beobachter des gezeigten realistischen Einzelschicksals wird. In der Epik dominieren der Roman, die Novelle und die Dorfgeschichte das literarische Feld, in der Lyrik gewinnen Ballade und Dinggedicht an Bedeutung, wohingegen das Drama im Realismus wenig Beachtung findet.
  • Die Aufgabe des Dichters war es, das Alltägliche besonders zu machen und somit zu poetisieren und gewissermaßen zu ästhetisieren. In diesem Zusammenhang spricht man in Deutschland auch vom poetischen Realismus. Da die Handelnden zumeist aus einem bürgerlichen Umfeld stammten, ist auch die Bezeichnung bürgerlicher Realismus anzutreffen