Parabel

Als Parabel wird eine epische Kleinform bezeichnet, die mit dem Gleichnis verwandt ist. Die Parabel ist eine kurze, lehrhafte Textsorte, die durch den Empfänger (Leser, Hörer) entschlüsselt werden muss. In einer Parabel wird eine Geschichte erzählt, die sich auf eine eigentlich gemeinte Situation übertragen lässt. In diesem Zusammenhang spricht man von zwei Ebenen: der Bildebene sowie der Sachebene. Die Bildebene beschreibt das vordergründige Geschehen, aus dem durch Deutung das Eigentliche abgeleitet werden kann: die Sachebene. Die Parabel ähnelt demnach der Fabel und der Allegorie.


Der Begriff lässt sich vom lateinischen parabola, das auf das altgriechische parabolē (παραβολή) zurückgeht, ableiten und mit Nebeneinanderstellung, Vergleichung, aber auch Gleichnis übersetzen. Demnach verweist bereits die Übersetzung des Wortes darauf, worum es grundsätzlich geht: nämlich um das Gleichsetzen zweier Situationen, also dem, was in der Erzählung gezeigt wird und dem, was wirklich gemeint ist.

In der Mathematik meint der Begriff eine Kurve. Zwar hat die mathematische Betrachtung mit dieser Textsorte nur am Rande etwas zu tun, doch lässt sich mithilfe der mathematischen Parabel das grundsätzliche Merkmal der Textsorte veranschaulichen. So können wir uns die beiden Parabeläste als Bild- und Sachebene denken, wobei der Scheitelpunkt das Tertium comparationis darstellt, also das Gemeinsame beider Ebenen.Deutung und Aufbau einer Parabel

Das obige Schaubild verdeutlicht das Prinzip. Der linke Parabelast ist die Bildebene. Diese Bildebene ist es, was tatsächlich im Text erzählt wird. Die Aufgabe des Lesers ist es, das Tertium comparationis zu finden. Also den Punkt, den Bildebene und Sachebene gemeinsam haben, der sie also miteinander verbindet. Dadurch kann der Leser die Sachebene sehen und verstehen, was mit der Parabel gemeint ist.

Dieses Prinzip gilt auch für ähnliche Textsorten, wie etwa das Gleichnis oder die Fabel, aber auch der einfache Vergleich basiert mitunter darauf, wenn er das Gemeinsame nicht benennt. Schauen wir uns dieses Vorgehen anhand einer beispielhaften Fabel an. In der Fabel ist es nämlich einfacher, das Gemeinsame zwischen Bild- und Sachebene zu finden, da am Ende eine Lehre steht. Als Beispiel eine Fabel von Aesop (griech. Dichter).


Ein Rabe hatte einen Käse gestohlen, flog damit auf einen Baum und wollte dort die Beute in Ruhe verzehren. Da es aber der Raben Art ist, beim Essen nicht schweigen zu können, hörte ein vorbeikommender Fuchs den Raben über dem Käse krächzen. Er lief eilig hinzu und begann den Raben zu loben: „O Rabe, was bist du für ein wunderbarer Vogel! Wenn dein Gesang ebenso schön ist wie dein Gefieder, dann sollte man dich zum König aller Vögel krönen!“ Dem Raben taten diese Schmeicheleien so wohl, daß er seinen Schnabel weit aufsperrte, um dem Fuchs etwas vorzusingen. Dabei entfiel ihm der Käse. Den nahm der Fuchs behend, fraß ihn und lachte über den törichten Raben.


Im Text treffen der Rabel und der Fuchs aufeinander. Nahezu alle Tiere, die in der Fabel auftauchen, sind mit ganz bestimmten menschliche Eigenschaften ausgestattet. So gilt der Fuchs zumeist als listig und schlau, der Rabe als vorlaut oder aufmüpfig (vgl. Fabeltiere). Der Fuchs überlistet den Raben im Text, weshalb der Rabe vergisst, dass er den Käse verliert, wenn er aufgrund der Schmeicheleien zu singen anfängt.

Auf der Bildebene treffen sich also zwei Tiere. Das eine luchst dem anderen durch eine List die Beute ab. Die Lehre, die sich daraus ziehen lässt, könnte sein, dass das Lob oder die Schmeicheleien von Fremden häufig mit Hintergedanken versehen sind. Diesen Punkt können wir als Sachebene verstehen, also als das, was mit der Geschichte tatsächlich gemeint ist. Als Tertium comparationis kann das Verhalten der Tiere gelten – denn diesen Punkt haben Tiere und Menschen gemeinsam, wodurch sich die Sachebene deuten lässt.Interpretation der Parabel am Beispiel gezeigt.

Zwar wurde zum Verdeutlichen eine Fabel genutzt, doch bleibt das vorgestellte Prinzip im Zusammenhang mit der Parabel identisch. Im weiteren Verlauf des Beitrags wird das Gesagte noch anhand der Ringparabel, dem klassischen Beispiel, aufgezeigt. Vorab soll es aber um die wichtigsten Merkmale der Textsorte gehen.

Merkmale einer Parabel

  • Die Parabel ist eine epische Kurzform und ist demzufolge eher von geringem Umfang und zumeist in Prosa verfasst. Sie ist eine Form der Lehrdichtung und hat demzufolge einen erzieherischen Charakter. Sie will den Empfänger (Leser, Hörer) also zu etwas bewegen.
  • Die Ursprünge dieser Textsorte liegen in der antiken Rhetorik, wobei Parabeln sowie Gleichnisse häufig herangezogen wurden, um die eigene Argumentation zu stützen (vgl. Argumenttypen). Im Neuen Testament der Bibel sind es beispielsweise die Gleichnisse Jesu, die sich durch einen parabolischen Charakter auszeichnen und zum Veranschaulichen seiner Reden dienen.
  • Der Empfänger muss aber das, was die Parabel aussagen will, selbst erschließen. Die Textart präsentiert also etwas, das durch den Leser auf eine bestimmte Art und Weise verstanden werden kann. Meist ist das eine gesellschaftliche, religiöse oder philosophische Wahrheit.
  • Hier spricht man von einer Bildebene und einer Sachebene. Die Bildebene meint das, was die Parabel tatsächlich erzählt und was der Empfänger auf den ersten Blick „zu sehen“ bekommt. Mithilfe einer Analogie muss der Leser das Gezeigte (Bildebene) zum Gemeinten (Sachebene) wandeln. Zwischen zwei Dingen besteht dann eine Analogie, wenn sie sich durch ein Merkmal ähnlich sind (Tertium comparationis). In anderen Merkmalen können sie sich unterscheiden.
  • Allerdings ist eine Parabel nicht immer eindeutig, weshalb durchaus mehrere Schlüsse „erlaubt“ sind. So grenzt sie sich teilweise von ähnlichen Textsorten ab, die häufig nur einen Schluss vorsehen (Gleichnis, Fabel). Beispielhaft sind hier die Parabeln Kafkas, die häufig nicht eindeutig aufzulösen sind, sondern stets mehrdeutig zu lesen sind (vgl. kafkaesk).
  • Selten steht die Parabel für sich. In der Regel ist sie in ein größeres Werk eingebettet, wie etwa ein dramatisches oder episches Werk. Beispielhaft kann hier die Ringparabel aus Lessings Nathan der Weise angeführt werden, die lediglich ein Teil eines größeren Werkes ist.

  • Hinweis: Parabeln ähneln vielen anderen Textsorten und lassen sich mitunter schwierig von diesen abgrenzen. Teilweise ist das aber auch gar nicht notwendig. Dennoch gibt es einige Besonderheiten, die eine Unterscheidung möglich machen (siehe: nächster Abschnitt).

Unterschied: Vergleich, Fabel, Gleichnis, Parabel

  • Vergleich: Ist ein sprachliches Mittel, das zwei oder auch mehrere Dinge gegenüberstellt. Hierbei wird keine Geschichte erzählt. Eher werden Objekte nach dem Muster A und B verhalten sich zu C folgendermaßen zusammengebracht. Dennoch sind Vergleiche natürlich in den anderen Textsorten vorhanden.

  • Fabel: Wesentliches Merkmal ist, dass hier Tiere die Protagonisten sind. Die Fabel hält dem Mensch einen Spiegel vor; so werden menschliche Charaktereigenschaften oftmals satirisch aufgegriffen und dadurch verdeutlicht oder übertrieben. Die Fabel kritisiert zumeist und soll zum Nachdenken anregen.

  • Gleichnis: Ist ein erweiterter Vergleich und basiert eher auf dem Muster A und A und A verhalten sich zu B und B und B. Sie berichten von Vorgängen, die dem Empfänger vertraut sind, woraus dieser Rückschlüsse auf sein eigenes Leben ziehen kann. Sie sind außerdem bildhaft.

  • Parabel: Ist eine kurze, lehrhafte Textsorte, die durch den Empfänger (Leser, Hörer) entschlüsselt werden muss. Im Gegensatz zur Fabel ist sie verschlüsselt, denn diese benennt ganz konkret, worum es in ihr geht. Die Fabel regt zur Kritik an, da sie indirekt auffordert, sich in ihre Figuren hineinzuversetzen, wohingegen die Parabel das Handeln der Figuren zeigt, wodurch keine Interpretation erforderlich ist, sondern „nur“ das Verständnis darüber, wie das Gezeigte auf der Sachebene funktioniert.

    Sie basiert mitunter auch auf Vergleichen, ist aber komplexer angelegt. Im Unterschied zum Gleichnis ist sie indirekt und zeigt einen besonderen Einzelfall. Sie zielt außerdem eher auf einen größeren Sachverhalt ab und stellt das Weltverständnis des Empfängers in Frage.

  • Hinweis: Im Neuen Testament werden die Begriff Gleichnis und Parabel synonym, also gleichbedeutend verwendet, weshalb eine Unterscheidung auch in der Praxis häufig nicht vollzogen wird. Grundsätzlich können allerdings die genannten Unterschiede angeführt werden.

Beispiel: Die Ringparabel

Die Ringparabel ist eine der bekanntesten Parabeln der Literaturgeschichte und ein Schlüsseltext der Aufklärung. Sie verweist pointiert auf die Toleranzidee (Gewährenlassen fremder Überzeugungen; in diesem Fall Religionen). Eine sehr große Bekanntheit erlangte sie durch Gotthold Ephraim Lessings Nathan der Weise, wenngleich sie bereits zuvor von anderen Dichtern literarisch verarbeitet wurde.


Grundsätzlich geht es dabei um das Folgende: Ein Mann besitzt ein Familienerbstück, einen Ring, der die Eigenschaft hat, seinen Träger vor Gott und den Menschen angenehm zu machen, wenn der Besitzer ihn in dieser Zuversicht trägt. Dieser Ring wurde über viele Generationen vom Vater an den Sohn vererbt, den er am meisten liebte. Eines Tages tritt der Fall ein, dass ein Vater drei Söhne hat und keinen von ihnen bevorzugen will. Deshalb lässt er sich exakte Kopien des Ringes herstellen und vererbt jedem seiner Söhne einen Ring.

Nach dem Tode des Vaters ziehen die Söhne vor Gericht, um klären zu lassen, welcher von den drei Ringen der echte sei. Der Richter aber ist außerstande, dies zu ermitteln. So erinnert er die drei Männer daran, dass der echte Ring die Eigenschaft habe, den Träger bei anderen Menschen beliebt zu machen. Wenn dieser Effekt bei keinem eingetreten sei, dann ist der echte Ring wohl verloren gegangen.

Der Richter gibt den Söhnen den Rat, jeder von ihnen solle daran glauben, dass sein Ring der echte sei. Ihr Vater habe alle drei gleich gern gehabt und es deshalb nicht ertragen können, einen von ihnen zu begünstigen und die beiden anderen zu kränken, so wie es die Tradition eigentlich erfordert hätte. Wenn einer der Ringe der echte sei, dann werde sich dies in der Zukunft an der ihm nachgesagten Wirkung zeigen. Demzufolge sollten sich alle Ringträger bemühen, dass dieser Effekt eintritt.


Diese Parabel lässt sich nach dem obigen Muster analysieren. Es gibt eine Bildebene. Hier gibt es einen Vater, der drei Söhne hat, jedem einen Ring vererbt und versichert, dass jeder Sohn den richtigen Ring hat. Der Vater stirbt und die Söhne wollen herausfinden, wer den wahren Ring tatsächlich hat, der ihn bei den Menschen angenehm macht, was aber kein Richter zu entscheiden vermag.

Die Parabel kann nun dahingehend gedeutet werden, dass diese drei Ringe für die drei monotheistischen Weltreligionen (Judentum, Christentum und Islam) stehen und der Vater für einen liebenden Gott. Die Söhne wären hier die Anhänger der jeweiligen Religionen und Nathan der Richter, der keiner Religion einen Vorzug geben kann. Gott (Vater) liebt demnach alle Menschen (Söhne), vollkommen gleich, welcher Religion (Ring) sie angehören, wobei keine Religion die richtige ist, da sie sich in ihren Grundzügen gleichen.Deutung der Ringparabel

Der Leser muss also abermals das Tertium comparationis erkennen, um zu diesem Schluss zu gelangen. Die gelingt auch hier durch einen Analogieschluss. Das, was auf der Bildebene stattfindet, also das Verhältnis von einem liebenden Vater zu seinen Kindern und die Anzahl der gleichen Ringe, findet sich ebenfalls auf der Sachebene, wenn ein Gott alle Anhänger der drei Religionen gleichermaßen liebt und keine bevorzugt.

Kurzübersicht: Das Wichtigste zur Parabel im Überblick


  • Die Parabel ist eine kurze und lehrhafte Textsorte, welche durch einen Empfänger (Leser, Hörer) entschlüsselt werden muss. Sie ist eine kurze Erzählung, die häufig in ein größeres literarisches Werk eingebettet ist. Ein wesentliches Merkmal sind die Bildebene und die Sachebene.
  • Die Bildebene meint das, was die Parabel tatsächlich erzählt, also den Inhalt der Erzählung (das Gezeigte), wohingegen die Sachebene das ist, was mittels Analogieschluss durch den Leser erschlossen werden muss. Dafür werden gemeinsame Merkmale auf beiden Ebenen gesucht.
  • Bekannte Parabeln und Parabeldichter

    • Herakles am Scheideweg von Prodikos oder Tryphon
    • Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lk 15,11-32 EU)
    • Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20,1-16 EU)
    • Gleichnis von den klugen und törichten Jungfrauen (Mt 25,1-13 EU)
    • Ringparabel von Gotthold Ephraim Lessing
    • Eine alltägliche Verwirrung, Der Schlag ans Hoftor von Franz Kafka (oft paradox und absurd)
    • Der gute Mensch von Sezuan von Bertolt Brecht
    • Das Eisenbahngleichnis von Erich Kästner
    • Farm der Tiere von George Orwell
    • Andorra von Max Frisch