Geschichtsklitterung

Geschichtsklitterung meint die absichtlich verfälschende Darstellung sowie Deutung geschichtlicher Ereignisse. Das Nomen Geschichtsklitterung wird dabei in der Regel pejorativ – also abwertend – für eine Darstellung gebraucht, die einseitig, unvollständig und demnach verfälscht ist. Mitunter wird der Begriff auch verwendet, wenn diese Falschdarstellung unabsichtlich ist, auch wenn zumeist Absicht unterstellt wird. Dieser Begriff geht auf ein Werk des frühneuhochdeutschen Schriftstellers Johann Fischart (1546/1547-1591) zurück. Fischart unternahm den Versuch, François Rabelais‘ Romanzyklus Gargantua und Pantagruel (1532-1564) ins Deutsche zu übertragen und veröffentlichte das Ergebnis unter dem Titel Affentheurlich Naupengeheurliche Geschichtklitterung (1575). Da sich Fischart hierbei kaum an die Vorlage hielt und außerdem zahlreiche Passagen erweiterte oder strich, wurde ein Teil des Titels in der Folge zur Bezeichnung für eine verfälschte Darstellung historischer Ereignisse.


Begriff

Der Begriff setzt sich aus dem Nomen Geschichte, das hier für historische Ereignisse steht und Klitterung zusammen, das auf das Verb klittern zurückzuführen ist. Laut dem Deutschen Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm geht dieses auf klütern zurück, was in etwa beflecken oder klecksen bedeutet. Folglich meint der Begriff im eigentlichen Wortsinn die [eilig] hingekleckste Geschichte und gibt somit eindeutige Hinweise, dass es sich um eine geschichtliche Darstellung handelt, die oberflächlich ist und fehlerbehaftet sein kann.

Darüber hinaus leitet sich von der Geschichtsklitterung das Wort Klitterung ab, welches ganz allgemein etwas bezeichnet, das zusammengestückelt ist und auch abwertend gebraucht wird. Heutzutage entfällt mitunter der Verweis auf den historischen Zusammenhang, weshalb das Verb klittern allein für das verfälschende oder aus dem Zusammenhang gerissene Wiedergeben gebraucht werden kann.

Affentheurlich Naupengeheurliche Geschichtklitterung

Im Jahr 1575 erschien Johann Fischarts Affentheurlich Naupengeheurliche Geschichtklitterung, das als eines der ersten Sprachexperimente in deutscher Sprache gilt. Fischart unternahm dabei den Versuch, François Rabelais‘ Romanzyklus Gargantua und Pantagruel ins Deutsche zu übertragen.

Gargantua und Pantagruel erschien in fünf Bänden, die in den Jahren 1532, 1534, 1545, 1552 sowie 1564 veröffentlicht wurden, wobei vor allem die ersten zwei Bände des Romanzyklus erfolgreich waren. Das Werk ist eine Parodie auf das Genre des Ritterromans und demnach humoristischer Natur. Erfolgreich wurde das Werk vor allem deshalb, weil Rabelais sehr spielerisch mit Ironie, Sarkasmus und Wortwitz hantiert und dabei häufig echte und fiktive Zitate vermischt und damit galant einen sehr populären Romantypus verhöhnt.

Der erste Band erschien unter dem Titel Les horribles et épouvantables faits et prouesses du très renommé Pantagruel, Roi des Dipsodes, fils du grand géant Gargantua. Composés nouvellement par maître Alcofrybas Nasier (dt.: Die schrecklichen und entsetzlichen Abenteuer und Heldentaten des hochberühmten Pantagruel, König der Dipsoden, Sohn des großen Riesen Gargantua. Neu zusammengestellt von Meister Alcofrybas Nasier), wobei Alcofrybas Nasier ein Anagramm des Schriftstellers François Rabelais ist.

Da der erste Band der Reihe enorm erfolgreich wurde, entschloss sich Rabelais, schnell einen weiteren Band fertigzustellen, den er unter dem Titel La Vie très horrifique du grand Gargantua, père de Pantagruel (dt.: Das sehr schreckliche Leben des großen Gargantua, Vater von Pantagruel) veröffentlichte, wobei er das gleiche Pseudonym als Autor wählte, das bereits der Vorgänger nutzte. Die nachfolgenden Bände entstanden erst sehr viel später, haben keine einfallsreichen Titel (Das dritte Buch; Das vierte Buch; Das fünfte Buch) und sind darüber hinaus keine Parodien mehr. Wahrscheinlich ist, dass sie deshalb nicht so erfolgreich waren.Portrait und Titelblatt von Affentheurlich Naupengeheurliche Geschichtklitterung

Johann Fischart und Titelblatt von Affentheurlich Naupengeheurliche Geschichtklitterung


Im Jahr 1575, also genau elf Jahre nach dem letzten Band des ursprünglichen Zyklus, unternahm nun Johann Fischart den Versuch, den Wortwitz Rabelais‘ sowie dessen spielerischen Umgang mit Sprache ins Deutsche zu übertragen. Fischart, der selbst Deutsch, Latein, Griechisch, Französisch, Italienisch sowie Niederländisch beherrschte – allesamt Sprachen, die Einfluss auf sein Werk nahmen – hielt sich bei seiner Bearbeitung allerdings kaum an die Vorlage, strich einige Passagen oder streckte und erweiterte sie sogar.

In einigen Fällen ist die Eindeutschung des Originals deshalb etwas holprig oder überhaupt nicht gelungen und unterscheidet sich in sehr großen Teilen von der Arbeit Rabelais‘. So handelt Fischarts Übersetzung, wie er es selbst auf dem Titelblatt einer Ausgabe des Jahres 1590 angibt, von den Thaten und Rhaten der vor kurtzen langen unnd je weilen Vollenwolbeschreiten Helden und Herren Grandgoschier Gorgellantua und deß deß Eiteldurstlichen Durchdurstlechtigen Fürsten Pantagruel von Durstwelten, Königen in Vtopien, Jederwelt Nullatenenten vnd Nienenreich Soldan der Neuen Kannarien, Fäumlappen, Dipsoder, Dürstling, vnd OudissenInseln: auch Großfürsten im Finsterstall, vnd Nubel NibelNebelland, Erbvögt auff Nichilburg, vnd Niderherren zu Nullibingen, Nullenstein und Niergendheym und wurde von ihm mit dem Titel Affentheurlich Naupengeheurliche Geschichtklitterung versehen. Dieser Titel ist der Ursprung des heutigen Begriffs.

Kurzübersicht: Das Wichtigste zum Begriff im Überblick


  • Die Geschichtsklitterung meint die absichtlich verfälschende Darstellung sowie auch Deutung geschichtlicher Ereignisse. Das Wort wird in der Regel pejorativ, also abwertend, gebraucht und verweist auf eine einseitige, unvollständige und somit verfälschte Geschichtsdarstellung.
  • Als Ursprung des Wortes gilt das Werk Affentheurlich Naupengeheurliche Geschichtklitterung des deutschen Schriftstellers Johann Fischart, der mit diesem den Versuch unternahm, François Rabelais’ Romanzyklus Gargantua und Pantagruel ins Deutsche zu übertragen, diesen aber durch zahlreiche Veränderungen nicht wortgetreu übersetzte und somit verfälscht darstellte.

  • Hinweis: Das beschriebene Werk von Johann Fischart lässt sich in einer digitalisierter Form in der Bayerischen Staatsbibliothek einsehen. Siehe dazu: digitale-sammlungen.de


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