Expressionismus

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es den Expressionismus, der als künstlerische Strömung sowohl die Literatur, Malerei und Musik, als auch neue Medien wie Film und Fotografie beeinflusste. Die verschiedenen Medien wurden dabei auch kombiniert. Unter den Expressionisten gab es vor allem junge deutsche Intellektuelle. Mit neuen Ausdrucksformen wollten sie sich gegen die Traditionen des Deutschen Kaiserreiches auflehnen und ihre eigene Wahrnehmung und Gefühlswelt darstellen. Zentrale Motive waren das Leben in der Großstadt und der Umbruch durch den Ersten Weltkrieg.


Begriff und zeitliche Einordnung des Expressionismus

Der Expressionismus war eine von vielen literarischen Strömungen des beginnenden 20. Jahrhunderts. Zur ungefähr gleichen Zeit entwickelten sich auch der Symbolismus, die Neue Sachlichkeit und avantgardistische Epochen wie der Surrealismus. Die Dauer des deutschen Expressionismus wird unterschiedlich angegeben. Einige Literaturwissenschaftler sehen den Beginn der Epoche bereits 1905, andere erst 1910. 1911 wurde von Kurt Hiller der Begriff Expressionismus erstmals für die Epoche verwendet. Angelehnt an den lateinischen Ausdruck “exprimere”, der ausdrücken bedeutet, verweist der Begriff auf das Ziel der Vertreter, Gefühlen und Wahrnehmungen mit ihrer Kunst Ausdruck zu verleihen. Damit löst der Expressionismus die Epoche Naturalismus ab, deren Anliegen es war, die Realität möglichst wirklichkeitsgetreu darzustellen. Expressionisten wollten hingegen ihrem eigenen Innenleben Ausdruck verleihen, wobei sie natürlich auch auf historische Umstände wie die Industrialisierung und Urbanisierung reagierten und davon beeinflusst wurden. Eine der einschneidendsten Veränderungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts erfolgte durch den Ersten Weltkrieg. Auch innerhalb der Epoche spiegelt sich das wider, weswegen der Expressionismus in einen Früh- (bis 1914) und Spätexpressionismus (ab 1914) untergliedert wird. Zum Teil sprechen Literaturwissenschaftler auch von einem dritten, dem Kriegsexpressionismus für die Jahre 1914-1918. Einig ist sich die Wissenschaft beim Ende des Expressionismus, das auf 1925 datiert wird. Wie bei allen Epochen gilt, dass die Übergänge fließend waren und auch in späteren Jahren noch Werke veröffentlicht wurden, die dem Expressionismus zugeordnet werden können.

 

 

Epochen der Literatur als Zeitstrahl

Frühexpressionismus (bis 1914): Industrialisierung und Urbanisierung

Wie auch die anderen Epochen entstand der Expressionismus als eine Antwort auf die Entwicklungen der Zeit, die das Leben der Menschen zum Ende des 19. Jahrhunderts und des beginnenden 20. Jahrhunderts veränderten. Mit der Industrialisierung verlor die Landwirtschaft ihre Bedeutung, während die Industrie ständig größer wurde und immer mehr Menschen in die Städte zog. Der technologische Fortschritt brachte zahlreiche Neuerungen mit sich, die vom Automobil und der Straßenbahn über fließend Wasser und elektrisches Licht bis hin zum Telefon und Fotografie reichten. Auch die Expressionisten, die hauptsächlich in Großstädten lebten, beschäftigten sich in ihrer Kunst daher mit dem lauten, schnellen, aber auch anonymen Stadtleben und hatten die Reizüberflutung und Vereinsamung zum Thema. Außerdem traten die hauptsächlich jungen und gebildeten expressionistischen Schriftsteller auch untereinander in Kontakt und es gab einen regen Künstleraustausch, zum Beispiel in Berlin. In der neuen Industriegesellschaft entstand neben dem Bürgertum eine neue Arbeiterklasse, die meist von ärmeren Lebens- und schweren Arbeitsbedingungen geprägt war. Viele Expressionisten protestierten gegen das konservativ geprägte Bürgertum und dessen spießigen Lebensstil und traditionelle Werte. Der Wunsch, mit geltenden Regeln zu brechen, schlug sich dementsprechend in der Kunst wieder. Neue Ausdrucksformen wurden erschaffen, Altes und Bekanntes verfremdet. Auch der Erste Weltkrieg wurde von einigen Expressionisten zunächst als Chance auf einen Umbruch und Neubeginn gesehen und einige zogen mit Begeisterung als Freiwillige in den Krieg.

Spätexpressionismus (ab 1914): Erster Weltkrieg

Der Erste Weltkrieg war das Resultat der vielen politischen Spannungen der Zeit. Statt des schnell erhofften Sieges für das deutsche Kaiserreich gab es einen langwierigen Stellungskrieg, der mit seinen modernen Waffen unzählige Todesopfer forderte. Andere Soldaten wurden verwundet und traumatisiert. Vor dem Krieg war eines der Hauptthemen des Expressionismus der Aufbruch zu Neuem. Nach dem Krieg beschrieben die Expressionisten ihre Erlebnisse an der Front und setzten sich für den Pazifismus ein. Eine weitere Bewegung der Zeit war die Frauenbewegung. Mit dem verlorenen Ersten Weltkrieg ging das Deutsche Kaiserreich unter und die Weimarer Republik wurde gegründet. Mit ihr wurde 1918 das Frauenwahlrecht eingeführt.

Zusammenfassung: Begriff und zeitliche Einordnung des Expressionismus


  • Begriff: lateinischen Wort “exprimere” = Ausdruck (vom Innenleben)
  • Zeitraum: 1905/1910-1925, Zäsur durch Erster Weltkrieg
  • Einordnung: nach Naturalismus
  • historischer Kontext: Industrialisierung, Urbanisierung, Erster Weltkrieg (Ende Kaiserreich, Beginn Weimarer Republik)

Motive und Themen des Expressionismus

Der historische Kontext wurde im Expressionismus in zahlreichen Motiven und Themen verarbeitet. Infolge der Industrialisierung befürchteten die Vertreter eine Enthumanisierung der Menschen und damit ein Vergessen aller Moralvorstellungen und Werte. Mit der Verstädterung stieg auch die Anonymität und demzufolge die Isolation und Einsamkeit in der Großstadt. Der Mensch wurde zur Maschine. Die Angst vor Identitätsverlust war daher auch ein zentrales Motiv in expressionistischen Werken. Diese zeichneten sich durch keine lineare Erzählweise und oft durch das Fehlen erkennbarer Zusammenhänge aus. Ähnlich wie bei einem Film folgten viele kurze Szenen im harten Schnitt aufeinander. Auf diese Weise drückten die Expressionisten die Reizüberflutung durch Chaos und Lärm und ihre Verlorenheit aus. Zum anderen symbolisierten diese neuen Ausdrucksformen auch den gewünschten Bruch mit alten Regeln und Normen der älteren Generation aus dem Kaiserreich. Während vor dem Ersten Weltkrieg noch eine Art Aufbruchsstimmung im Expressionismus herrschte, wandelte sich das mit dem Krieg. Nun wurden Tod und Trauma verarbeitet.

Zusammenfassung: Motive und Themen des Expressionismus

  • – Großstadt: Anonymität, Isolation, Orientierungslosigkeit
  • – Individuum: Ich-Verlust, Subjektivität
  • – Aufbruch: Bruch mit alten Regeln und Werten
  • – Intermedialität: Neue Medien und Darstellungsformen, Kombination mehrerer Medien
  • – Krieg: als großer Neuanfang, Traumata, Tod

Literatur des Expressionismus

Auch wenn viele Literaten des Expressionismus selbst Teil des gebildeten Bürgertums waren, lehnten sie dessen traditionellen Strukturen ab. In ihren Werken brachen sie deshalb auch mit gängigen künstlerischen Darstellungsformen.

Lyrik des Expressionismus

Am häufigsten verwendeten Expressionisten das Gedicht, um ihre Gefühle und Wahrnehmung auszudrücken. Bekannt sind die zahlreichen Großstadtgedichte der Zeit. In dieser literarischen Gattung war es möglich, den Bruch mit vorherigen Regeln besonders deutlich zu vollziehen. Weitgehend wurde in der expressionistischen Lyrik daher auf Metren, Reimschema sowie feste Gedicht- und Strophenformen verzichtet oder diese klassischen Gedichtmerkmale wurden verfremdet. Prägend waren stattdessen eine Vielzahl sprachlicher Bilder sowie Übertreibungen und Neologismen. Für den Expressionismus besonders typisch war der sogenannte Reihungsstil, also das Aneinanderreihen von verschiedenen sprachlichen Bildern.

Dramatik des Expressionismus

Das Drama gewann insbesondere nach dem Ersten Weltkrieg an Bedeutung, wobei auch die Aufführung mit dem Einsatz von Licht und Musik eine zunehmende Rolle spielte. Die häufigste Form war typischerweise das Stationendrama. Bei so einem Drama sind die in sich geschlossenen Szenen in ihrer Reihenfolge austauschbar. Ein weiteres Merkmal des expressionistischen Dramas waren die oftmals grotesken und verzerrten Figuren.

Epik des Naturalismus

Ähnlich wie bei der Lyrik ist die Epik des Expressionismus von ausdrucksstarken sprachlichen Bildern geprägt. Außerdem fokussierten sich die Erzählungen auf das erlebende Subjekt. Typisch waren viele dichte Aufzählungen, die mitunter auch den richtigen Satzbau missachteten. Die neue Erzählweise orientierte sich damit an dem neuen Medium Film.

Zusammenfassung: Literatur des Expressionismus

  • Bruch mit alten Strukturen
  • Lyrik: Großstadtgedicht
  • Verzicht auf klassische Gedichtmerkmale, Reihenstil
  • Dramatik: Stationendrama, groteske Figuren
  • Epik: orientiert sich an Film

Autoren und Werke des Expressionismus

  • Else Lasker-Schüler (1869 -1945)  Styx (1902)
  • Alfred Döblin (1878 – 1957) Berlin Alexanderplatz (1929)
  • Robert Musil (1880-1942)
  • Gottfried Benn (1886-1956) Morgue und andere Gedichte (1912)
  • Georg Heym (1887-1912) Der Gott der Stadt (1910)
  • Georg Trakl (1887-1914) Grodek (1914)
  • Jakob van Hoddis (1887-1942 ) Weltende (1911)
  • Ernst Toller (1893-1939) Die Wandlung (1919)