Ad spectatores

Als ad spec­ta­to­res wird im Drama die Anrede der Zuschauer durch eine Bühnenfigur bezeichnet. Diese Bemerkung, die unmittelbar an das Publikum gerichtet ist, erfolgt aus einer offenen Szene, also nicht in den Aktpausen, sondern direkt aus der Handlung heraus. Dadurch wird die Illusion, die das Theater schafft, durchbrochen und gewissermaßen aufgehoben. Der Zweck einer Äußerung ad spec­ta­to­res ist es zumeist, eine witzige Pointe zu erzielen, da der Zuschauer überrascht wird, zuweilen wird diese Technik aber als Fehler gewertet, wenngleich sie schon seit der Antike belegt ist. Darüber hinaus bewirkt sie eine Komplizenschaft mit dem Publikum. Meist wird auf diese Äußerung keine Erwiderung erwartet, was sie vom Dialog unterscheidet. Verwandt sind Apostrophe sowie Captatio benevolentiae.


Diese Wortfolge lässt sich aus dem Lateinischen ableiten und mit an den Zuschauer übersetzen. Folglich verweist bereits die Übersetzung der Worte, worum es grundsätzlich geht: nämlich um eine Rede, die an den Zuschauer gerichtet ist, wobei die dramatische Figur kurzweilig aus der eigentlichen Handlung fällt und von der Theaterbühne herab spricht. Belegt sind solche Äußerungen bereits seit der Antike.

Bereits bei Titus Maccius Plautus (um 254 v. Chr. – etwa 184 v. Chr.), einem Komödiendichter des alten Roms, und bei Aristophanes (um 450 v. Chr. – etwa 380 v. Chr.), einem griechischen Dichter, der ebenfalls für seine Komödien bekannt ist, sind solche Äußerungen ad spec­ta­to­res zu finden. Auffällig ist, dass das Stilmittel in der Antike vor allem in komödiantischen Werken auszumachen ist und pointiert genutzt wurde.

Allerdings findet sich die Figur auch in neueren Werken, wie etwa in Bertolt Brechts Der gute Mensch von Sezuan. Hierbei wendet sich die Bühnenfigur mit den Worten Verehrtes Publikum, los, such dir selbst den Schluss! Es muss ein guter da sein, muss, muss, muss! an das Publikum und spricht es folglich direkt an.

Bei Brecht und im epischen Theater hat die Äußerung vor allem die Funktion, das Publikum zu aktivieren. Anders verhält es sich beispielsweise bei Max Frisch oder auch Friedrich Dürrenmatt, die solche Äußerungen ad spec­ta­to­res zwar auch einsetzten, aber vor allem dafür nutzten, um das Geschehen auf der Bühne durch die Figuren kommentieren zu lassen. Vergleichbar ist dies mit dem sogenannten Beiseitesprechen im Theater, auch A-part-Sprechen, wobei eine Figur etwas sagt, das ihre Dialogpartner nicht hören, aber das Publikum.


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