Daktylus

Der Daktylus ist ein Versfuß, der aus drei Silben gebildet wird. Ein Versfuß rhythmisiert einen lyrischen Text und bestimmt unsere Lesart. Der Daktylus wird durch die Abfolge einer schweren und zweier leichten Silben in einem Vers gebildet und gehört neben Jambus, Trochäus und Anapäst zu den vier Grundmetren der akzentuierenden Metrik (→ Versmaß).


Das Wort Daktylus geht auf das Altgriechische (δάκτυλος, dáktylos) zurück und bedeutet in etwa „Finger„. Im Plural (Mehrzahl) sprechen wir übrigens von Daktylen und nicht von Daktylussen, auch wenn sich diese Formulierung mitunter in deutsche Klassenzimmer vorgewagt hat. Falsch ist sie dennoch.

Im antiken Griechenland wurde der Daktylus durch die Abfolge einer langen und zweier kurzen Silben bestimmt (– υ υ). Wird der Daktylus so verstanden, sprechen wir von einer quantitierenden Metrik, die sich auf die Längen und Kürzen in einem Wort beschränkt.

In der deutschen Nachbildung des daktylischen Versmaßes schauen wir allerdings nicht auf die Kürzen und Längen eines Wortes, sondern achten auf die Betonung einzelner Silben. Das bedeutet, dass der Daktylus aus einer betonten und zweier unbetonten Silben gebildet wird. Dieses Verständnis vom Daktylus ist es auch, das in Schulen und im Deutschunterricht gelehrt wird.

Aufbau des Daktylus

Wie beschrieben, wird der Daktylus aus einer betonten und zweier unbetonter Silben gebildet. Diese Abfolge geben wir üblicherweise so an: x‘ x x. Mitunter hat sich auch die Schreibweise X x x eingebürgert.

Prinzipiell liegt es allerdings an uns, wie wir bei der Bearbeitung eines Textes die einzelnen Betonungen kennzeichnen. Wichtig ist allenfalls, dass wir unsere eigenen Ausführungen konsequent durchführen, so dass ein zukünftiger Leser unserer Arbeit genau weiß, was wir mit den einzelnen Symbolen und Beschriftungen zum Ausdruck bringen möchten.

In Bezug auf den Daktylus können wir uns die genaue Abfolge übrigens recht einfach merken, da das Wort selbst ein Dak ty lus ist. Wir betonen beim Sprechen die erste Silbe Dak, wobei ty und lus unbetont bleiben.

Weiterhin finden wir in der deutschen Sprache recht viele Beispiele für das daktylische Versmaß, da viele zusammengesetzte Substantive das Muster beinhalten. Das liegt darin begründet, dass im Deutschen sehr häufig die Betonung eines Wortes auf der ersten Silbe liegt. Als Beispiel können hierbei Ach ter bahn und Füll hal ter gelten.

Hinweis: Ob eine Silbe unbetont oder betont gesprochen wird, erkennen wir am besten, wenn wir sie laut und deutlich aussprechen. Prinzipiell sprechen wir eine betonte Silbe lauter und heben die Stimme bei der Aussprache an. Genauer beschrieben haben wir das im Beitrag zum Versmaß.

Der Daktylus im Gedicht

Aber natürlich findet sich der Versfuß nicht nur in einzelnen Wörtern, sondern kann ebenso ganze Verse bestimmen. Weiterhin ist der Daktylus natürlich nicht durch die Grenzen eines Wortes bestimmt, sondern kann über die hinaus und über mehrere Wörter gehen.

Eine daktylische Struktur, die aus mehreren Daktylen gebildet wird, würde folglich so aussehen: x‘ x x x‘ x x x‘ x x. Hier hätten wir es mit einer Aneinanderreihung von drei Daktylen zu tun, die sich einheitlich abwechseln. Schauen wir dafür auf einen fiktiven Einzeiler.

Au to fahrt? Luft han sa! Wun der bar!

Hinweis: Wir sehen hierbei im Eigentlichen nur drei Wörter, die aufgereiht sind und jeweils einen Daktylus beschreiben. Dieses Schema muss allerdings nicht immer aufgehen und Daktylen können auch unvollzählig sein, was wir mithilfe der Kadenz beschreiben.

Kadenz und Daktylus

Mithilfe einer Kadenz beschreiben wir, wie viele unbetonte nach der letzten betonten Silbe in einer Verszeile kommen. Der typische Dak ty lus, wie in diesem Beitrag vorgestellt, endet dabei immer auf zwei unbetonte Silben. Das bedeutet, der Daktylus hat eine reiche Kadenz (→ Kadenz).

Nun halten sich Autoren und Dichter aber selten an klare Strukturen und richten das gewählte Versmaß nach irgendwelchen Theorien aus. Das bedeutet, dass der Daktylus auch unvollständig in einem Vers verwendet werden kann. Schauen wir als Beispiel auf den ersten Vers aus Schillers Würde der Frauen.

Ehret die Frauen! sie flechten und weben

Hierbei fällt auf, dass lediglich drei daktylische Versfüße vollständig sind. Der vierte besteht lediglich aus zwei Silben, ihm fehlt also gewissermaßen die letzte unbetonte Silbe. Dennoch müssen wir diese Zeile dem Daktylus zuschreiben, da das Muster ansonsten recht eindeutig ist.

Hinweis: In der Wissenschaft nennt man solche „unvollständigen“ Verse katalektisch. Die beispielhafte Verszeile wäre somit ein vierhebiger Daktylus mit weiblicher Kadenz, wobei der letzte Daktylus zweisilbig katalektisch ist (→ Vers).

Der Daktylus und die Hebigkeit

Nun haben wir schon jede Menge über den Versfuß erfahren. Allerdings haben wir bisher von mehreren Daktylen in einer Verszeile gesprochen. Das ist allerdings nicht ganz korrekt, da wir nicht die einzelnen Versfüße zählen, sondern eine Zeile mit der Hebigkeit beschreiben.

Das lässt sich erklären, indem wir die Begriffe Hebung und Senkung mit den Begriffen betont und unbetont gleichsetzen. Schauen wir nun abermals auf Schillers Vers, sehen wir, dass dieser durch vier Hebungen bestimmt wird.

Ehret die Frauen! sie flechten und weben
Schillers Verszeile besteht also nicht aus vier Daktylen, sondern aus einem vierhebigen Daktylus mit weiblicher Kadenz, der zweisilbig katalektisch ist.

Hinweis: Wir schauen folglich immer auf die einzelnen Hebungen in einer Verszeile. Würde es drei geben, hätten wir es mit einem dreihebigen Daktylus zu tun usw.

Wirkung und Funktion des Daktylus

Prinzipiell ist es nicht möglich, einem Versfuß eine bestimmte Funktion oder Wirkung zuzuschreiben. Das muss immer im Kontext des Gedichts beurteilt werden. Dennoch gibt es einige Merkmale, die auf den Daktylus zutreffen und natürlich einen Effekt auf den Leser haben.

Effekt des Daktylus

  • Der Daktylus kann als tänzerisch oder auch beschwingt gelten. Immerhin lässt sich seine Abfolge nahtlos auf den Dreivierteltakt eines Musikstücks übertragen. Ein Dreivierteiltakt meint, dass eine Note nach drei Viertelnoten „voll“ ist. Der Walzer ist ein Tanz im Dreivierteltakt.
  • Allerdings kann mit dieser unbefangen, tänzerischen Beschwingtheit auch gespielt werden, wenn gegensätzliche Stimmungen durch den Inhalt eines Wortes erzeugt werden und die Wirkung damit urplötzlich aufgehoben wird.

Hinweise zum daktylischen Versmaß

  • Das Gegenstück zu den Daktylen bildet der Anapäst, der aus zwei unbetonten und einer betonten Silbe gebildet wird und folglich die Umkehrung des beschriebenen Versfußes ist.
  • Anfangs wurde geschrieben, dass das Wort Daktylus mit „Finger“ übersetzt werden könne. Dies liegt darin begründet, als dass auch unser Finger aus drei Gliedern besteht, wobei eines länger ist und die anderen beiden kurz, was ebenso bei unserem Versfuß der Fall ist.