Die Fokalisierung ist ein Begriff aus der Erzähltheorie, den Gérard Genette im Jahr 1972 einführte. Fokalisierung meint das Verhältnis zwischen dem Wissen der Figuren einer Erzählung und ihrem Erzähler. Es gibt drei Möglichkeiten: Die Nullfokalisierung, die meint, dass ein Erzähler mehr weiß, als die Figuren; die interne Fokalisierung, wobei der Erzähler genau das sagt, was seine Figuren wissen und die externe Fokalisierung, bei der ein Erzählender weniger sagt, als die Figur weiß.
Inhaltsverzeichnis
Begriff
Den Begriff prägte Gérard Genette in seinen Schriften Discours du récit (1972) und Nouveau discours du récit (1983), wobei es ihm um die Frage ging, aus welchem Blickwinkel eine Geschichte einem Leser erzählt werden kann. Wenige Zeit zuvor hatte Franz Karl Stanzel die verschiedenen Blickwinkel auf die Erzählung (Erzählperspektive) und die Erzählstimme unter dem Begriff Erzählsituationen zusammengefasst.
Diese Einteilung hielt Genette nicht für ausreichend, sondern plädierte dafür, diese beiden Instanzen (Wer nimmt wahr? und Wer spricht?) voneinander zu trennen und eben nicht zusammenzufassen, um die Komplexität einer Erzählung noch genauer untersuchen zu können. Um die erste Frage, also Wer nimmt wahr?, geht es im Zusammenhang mit den verschiedenen Fokalisierungstypen.
Laut Gérard Genette kreiert der Autor einer Geschichte den Erzähler und stellt diesen zwischen Leser und Erzählung. Demzufolge kann der Autor den Erzähler mit viel oder wenig Wissen ausstatten. Dieses Wissen erlaubt es dem Erzähler die Informationen, die ein narrativer Text hat, zu filtern. Umso größer das Wissen des Erzählers ist, desto größer ist auch der Informationsgehalt, den er an den Leser vermitteln kann.
Verschiedene Fokalisierungstypen
Die verschiedenen Typen der Fokalisierung macht Genette daran fest, wie viel der Erzähler über die einzelnen Figuren der Erzählung weiß. Grundsätzlich werden drei Möglichkeiten vorgestellt: die Nullfokalisierung und außerdem die interne sowie die externe Fokalisierung.
Die Nullfokalisierung beschreibt, dass der Erzähler mehr über die Figuren sagt, als diese selbst wissen können. Das heißt, dass er keinen einschränkenden Blickwinkel hat und demzufolge über Unterbewusstes, Gedanken und Gefühle informieren kann. Würden wir an dieser Stelle einen Vergleich mit Stanzels Modell wagen, wäre diese Form am ehesten mit dem auktorialen Erzähler, also allwissendem Erzähler, verwandt.
Die interne Fokalisierung beschreibt, dass der Erzähler das weiß, was eine Figur der Geschichte (feste Fokalisierung) weiß. Der Blickwinkel kann innerhalb der Erzählung wechselhaft sein (variable Fokalisierung). Somit ist der Horizont des Erzählers auf den seiner Figur beschränkt. Auch hierbei lässt sich eine klare Parallele zu Stanzels Erzählsituationen bilden (siehe: personaler Erzähler, Ich-Erzähler).
Die externe Fokalisierung meint, dass der Erzähler einen geringeren Wissenstand als seine Figur hat. Das bedeutet, dass er nur von außen beschreiben kann, was die einzelnen Charaktere unternehmen. Er weiß demnach nicht, was in ihren Köpfen geschieht und hat einen sehr eingeschränkten Blickwinkel und Wissenshorizont. Eine Entsprechung ist ein neutraler Erzähler, der nur Sichtbares schildern kann.
Zusammenfassung
- Als Fokalisierung wird die Instanz in einem Text bezeichnet, die sieht, schmeckt, fühlt, hört riecht und somit wahrnimmt. Demnach ist die Frage nach dem Fokalisierungstyp immer die Frage danach, wer in der Geschichte sieht oder genauer: Wer nimmt wahr?
- Jeder Erzähltext erlaubt uns Rückschlüsse darüber, wer die Geschichte erzählt (Erzählstimme) und wer sie wahrnimmt (Fokalisierung). Hierbei kann die Wahrnehmungsinstanz kann dabei mit der Figur zusammenfallen oder getrennt von dieser sein, woraus sich die verschiedenen Fokalisierungstypen ergeben (Nullfokalisierung, externe, interne).
- Dass Erzählstimme und Wahrnehmungsinstanz voneinander getrennt sind, ist ausschließlich in fiktionalen Texten möglich, da hier ein Erzähler über oder als eine Figur berichtet.
- Wenn ein Text untersucht wird, soll oft herausgestellt werden, welche Art der Fokalisierung vorliegt. Allerdings ist diese in den meisten Werken nicht einheitlich und zieht sich demzufolge durch das gesamte Werk, sondern in vielen Fällen variabel. Doch kann in jedem Fall der dominante, also vorherrschende, Fokalisierungstyp bestimmt werden.