Irmgard Keun, *6. Februar 1905 in Berlin, †5. Mai 1982 in Köln, war eine deutsche Schriftstellerin, die in ihren Romanen das Ende der Weimarer Republik bis in die Nachkriegszeit des Zweiten Weltkrieges mit zeitkritischem Scharfsinn beschreibt.
Die Protagonistinnen ihrer Romane sind meist Randfiguren der Gesellschaft, politisch anders Denkende, Emigrierte und auch Menschen, die den Wandel der politischen Einstellungen im Nachkriegsdeutschland nicht mitmachen können und wollen.
Kennzeichnend sind ihr humoristisch-ironisches Erzählen und die unmittelbaren Zusammenhänge zur eigenen Biografie. Sie gilt als wichtige und darüber hinaus prägende Vertreterin der Neuen Sachlichkeit in Deutschland (vgl. Literaturepochen).
» Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Lebenslauf
- Am 6. Februar 1905 kommt Irmgard Keun als Tochter des wohlhabenden Kaufmanns Eduard Keun und Elsa Charlotte Keun, geborene Haese, in Charlottenburg[1] bei Berlin zur Welt.
- Mit ihren Eltern und dem fünf Jahre jüngeren Bruder Gerd verbringt sie ihre Kindheit zunächst in Berlin, wo sie mehrfach umziehen.
- Ihr Vater steigt zum Teilhaber und Geschäftsführer der Cölner Benzin-Raffinerie auf, sodass Köln-Braunsfeld im Jahr 1913 neuer Wohnort der Familie wird.
- 1921 schließt Keun ihre Schulausbildung am Evangelischen Lyzeum Teschner ab, einer höheren Schule für Mädchen.
- Nach dem Besuch einer Handelsschule im Harz, lässt sich Keun privat in Stenografie[2] und Schreibmaschine an einer Berlitz Sprachschule[3] unterrichten. Anschließend arbeitet sie für kurze Zeit als Stenotypistin[4].
- Von 1925 bis 1927 besucht Keun die Schauspielschule in Köln, woraufhin einige Engagements in Greifswald und Hamburg folgen.
- 1927 beendet sie die Schauspiellaufbahn und beginnt mit dem Schreiben, worin sie der deutsche Psychiater und Schriftsteller Bruno Alfred Döblin bestärkt und fördert.
- 1931 feiert Keun mit ihrem ersten Roman Gilgi, eine von uns einen großen Erfolg. 1932 schreibt Kurt Tucholsky in der deutschen Wochenzeitschrift Die Weltbühne über Keun:
Eine schreibende Fau mit Humor, sie mal an! […] Hier ist ein Talent […] aus dieser Frau kann einmal etwas werden.
- 1932 setzt sich ihr Erfolg mit dem Roman Das kunstseidene Mädchen fort.
- Am 17. Oktober 1932 heiratet Keun den 23 Jahre älteren Autor und Regisseur Johannes Tralow.
- Weniger erfolgreich als ihre Schriftstellerkarriere verläuft ihr Privatleben. Auseinandersetzungen mit ihren Eltern, Geldsorgen und eine schwierige Ehe bedrücken Keun und es zeigen sich Tendenzen einer Alkoholabhängigkeit.
- Wie Döblin fördert auch Kurt Tucholsky die Schriftstellerin. Nach dem Vorwurf des Plagiats, Keun soll aus Robert Neumanns[5] Roman Karriere abgeschrieben haben, kommt es allerdings zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Tucholsky und Keun.
- 1933 sowie 1934 werden Keuns Bücher im nationalsozialistischen Deutschland als Asphaltliteratur mit antideutscher Tendenz auf die Schwarze Liste gesetzt. Daraufhin klagt Irmgard Keun beim Landgericht in Berlin auf Schadensersatz und muss sich aus diesem Grund Verhören der Kölner Gestapo (Geheime Staatspolizei) stellen.
- 1936 wird ihr Antrag auf Schadensersatz endgültig abgelehnt und Keun emigriert nach Ostende in Belgien. In Belgien lernt Keun den österreichischen Schriftsteller und Journalisten Moses Joseph Roth kennen, mit dem sie bis zum Frühjahr 1938 eine Liebesbeziehung hat.
- Irmgard Keun emigriert in die Niederlande. Dort erscheinen in deutschsprachigen Exil-Verlagen ihre Romane Das Mädchen, mit dem die Kinder nicht verkehren durften (1936), Nach Mitternacht (1937), D-Zug dritter Klasse (1938) und Kind aller Länder (1938).
- In dieser Zeit pflegt Keun unter anderem Freundschaften zu Egon Erwin Kisch, Hermann Kesten, Stefan Zweig, Ernst Toller, Ernst Weiß und Heinrich Mann.
- In der Zwischenzeit lässt sich Keun 1937 von Johannes Tralow scheiden.
- Gemeinsam mit Roth reist sie unter anderem nach Frankreich, Österreich, Litauen, Polen und Galizien (Lemberg) und erlebt das Leben einer Emigrantin am eigenen Leib, was sich in Kind aller Länder widerspiegelt.
- Nach der Trennung von Roth 1938 reist Keun in die USA und besucht den emigirierten jüdischen Arzt Arnold Strauss. Ihre eher zaghaften Versuche, in die USA auszuwandern, scheitern und sie kehrt zurück nach Amsterdam.
- 1940 marschiert die deutsche Wehrmacht in die Niederlande ein. Ein SS-Mann hilft ihr, Papiere auf den Namen Charlotte Tralow zu fälschen und sie kehrt nach Deutschland zurück, wo sie illegal im Haus ihrer Eltern in Köln-Braunsfeld lebt. Eine Meldung in der britischen Tageszeitung The Daily Telegraph, Keun hätte Selbstmord begangen, hilft bei der Geheimhaltung ihrer Identität.
- Keun versucht den Kontakt zu Döblin wieder herzustellen und beginnt einen über Jahre dauernden Briefwechsel mit Hermann Kesten.
- Die Arbeit als Journalistin, das gelegentliche Schreiben von Feuilletons für den Düsseldorfer Mittag (Tageszeitung) und Texten für Hörfunk und Kabarett bringen keinen nennenswerten literarischen Erfolg. Sie lebt in ärmlichsten Verhältnissen.
- Der Schauspieler, Intendant sowie Präsident des Kulturbundes der DDR, Max Burghardt, versucht, Keun für die Mitarbeit im Nordwestdeutschen Rundfunk zu gewinnen, woraus sich eine Zusammenarbeit ergibt.
- Der 1950 erscheinende Roman Ferdinand, der Mann mit dem freundlichen Herzen bleibt weitgehend unbeachtet. Auch die Bücher aus der Emigrationszeit lassen sich schwer verkaufen.
- 1951 bringt Keun ihre Tochter Martina zur Welt, deren Vater sie nicht bekannt gibt.
- In den 1950er Jahren scheitern gemeinsame Pläne mit dem befreundeten Heinrich Böll, da kein Verleger interessiert ist, einen fiktiven Briefwechsel für die Nachwelt, herauszugeben.
- 1954 veröffentlicht Keun die Satiren Wenn wir alle gut wären, die sich gegen das wachsende Spießbürgertum richten.
- 1962 bringt der Droste-Verlag die Glossen Blühende Neurosen. Flimmerkisten-Blüten heraus.
- Weitere Veröffentlichungen Keuns gibt es nicht. Aufgrund ihrer Alkoholabhängigkeit wird Keun 1966 entmündigt und in die psychatrische Abteilung des Landeskrankenhauses Bonn eingewiesen. Der Aufenthalt dauert bis 1972. Anschließend bewohnt sie eine kleine Wohnung in Köln.
- Keun kündigt einen autobiografischen Roman unter dem Titel Kein Anschluß unter dieser Nummer an. Dieser wird allerdings nie veröffentlicht und es finden sich auch keine Aufzeichnungen dazu in ihrem Nachlass.[6]
- 1979 veröffentlicht der Claassen-Verlag, nach der unerwarteten Wiederentdeckung ihrer Werke, eine Neuauflage der Romane und bringt Keun einen späten Erfolg, der ihre finanzielle Situation verbessert.
- 1981 verleiht die Stadt Ingolstadt ihr den Marie-Luise-Fleisser-Preis, um ihr Werk, das den Konflikt zwischen unerfüllten Glücksansprüchen und dem alltäglichen Leben zum zentralen Thema hat, zu würdigen.
- Am 5. Mai 1982 stirbt Irmgard Keun an Lungenkrebs in Köln. Ihr Grab befindet sich auf dem Kölner Melaten-Friedhof.
- [1] 1705 wurde Charlottenburg als Stadt gegründet, bis sie 1920 nach Groß-Berlin eingemeindet und zum eigenständigen Bezirk Charlottenburg wurde.
- [2] Stenografie bezeichnet eine Schrift mit besonderen Zeichen, die ein sehr schnelles Schreiben ermöglicht.
- [3] 1878 von Maximilian Delphinius Berlitz gegründete Sprachschule, die nach der Methode arbeitet, von Beginn an in der Zielsprache zu unterrichten.
- [4] Schreibberuf, bei dem gesprochene Texte stenografisch festgehalten und anschließend in Schriftsätze übertragen werden.
- [5] Erst 1966 im Nachwort der Neuauflage von Karriere weist Neumann die Vorwürfe zurück und sucht die Schuld bei den Kritikern.
- [6] Hier zeigt sich ein für Keun typisches Verhaltensmuster in Bezug auf ihre Selbstdarstellung. Diese ist von Falschangaben gekennzeichnet. Auch beim Erscheinen ihres ersten Romans Gilgi, eine von uns macht sie sich fünf Jahre jünger, um genauso alt zu sein, wie ihre Hauptfigur.
Werke
- Werke
- Gilgi, eine von uns. Roman, 1931
- Das kunstseidene Mädchen. Roman, 1932
- Das Mädchen, mit dem die Kinder nicht verkehren durften. Roman, 1936
- Nach Mitternacht. Roman, 1937
- D-Zug dritter Klasse. Roman, 1938
- Kind aller Länder. Roman, 1938
- Bilder und Gedichte aus der Emigration, 1947
- Nur noch Frauen…. 1949
- Ich lebe in einem wilden Wirbel. Briefe an Arnold Strauss, 1933–1947
- Ferdinand, der Mann mit dem freundlichen Herzen. Roman, 1950
- Scherzartikel, 1951
- Wenn wir alle gut wären. Kleine Begebenheiten, Erinnerungen und Geschichten, 1954
- Blühende Neurosen. Flimmerkisten-Blüten, 1962