Mittelalter

In der deutschen Literaturgeschichte wird das Mittelalter als erste literarische Epoche gezählt. Thematisch und formal weist es eine große Vielfalt auf und umfasst unter anderem Minnesang, kirchliche Lieder und Heldenepos. Die Epoche reicht über mehrere Jahrhunderte von ca. 500 nach Christus bis ca. 1500 nach Christus. Zum besseren Verständnis gliedern wir das Mittelalter daher ins Frühmittelalter, das etwa vom 6. bis zum 10. Jahrhundert dauerte, ins Hochmittelalter (bis 13. Jahrhundert) und das Spätmittelalter, das bis ca. 1500 nach Christus anhielt. Die Übergänge dieser drei Teilepochen sind dabei fließend und lassen sich nur auf ungefähre Jahreszahlen datieren.


Begriff und zeitliche Einordnung des Mittelalters

Zur zeitlichen Einordnung lässt sich sagen, dass es sich beim Mittelalter um die ungefähr 1000-jährige Epoche zwischen der Antike und der Neuzeit handelt. Der Begriff bezeichnet genau diese Mitte zwischen den beiden anderen Zeitalter. Erstmals wurde diese Bezeichnung “mittleres Zeitalter” in der lateinischen Form von den Humanisten des 14. Jahrhunderts verwendet. Der aufstrebende Humanismus gehört zur Epoche der Renaissance, die, wie der Begriff besagt, von der Wiederbelebung antiker Maßstäbe gekennzeichnet ist.

 

 

Epochen der Literatur als Zeitstrahl

Wegen dieser ideellen Aufwertung der griechischen und römischen Antike betrachteten humanistische Gelehrte das Mittelalter lange Zeit als kulturell weniger wichtig. Eine negative Behaftung des Begriffes erkennen wir auch heute noch in der Assoziation mit dem dunklen Zeitalter. Prägend für die Anfangszeit des sehr langen Mittelalters waren neben der Völkerwanderung, die mit dem Untergang des Römischen Reiches einsetzte, auch die Kreuzzüge gegen den Islam und die Wikinigerraubzüge entlang der europäischen Westküste. Krieg und Furcht sowie Hunger und Krankheit waren weit verbreitet und führten zu einem pessimistischen Weltbild. Ebenfalls begann ab dem Frühmittelalter die Christianisierung beziehungsweise die Missionierung der breiten Bevölkerung. Der christliche Glaube war stark prägend für die Zeit.

Gesellschaftlich und wirtschaftlich herrschte im mittelalterlichen Europa der Feudalismus. Kennzeichnend dafür war das Lehnswesen, bei dem ein meist adliger Lehnsherr Teile seines Landes den sogenannten Lehnsmännern lieh – im Austausch für Schutz und militärische Unterstützung. An die wirtschaftliche Form des Lehnswesens angelehnt, baute sich die mittelalterliche Gesellschaft auf. An der Spitze der Ständepyramide stand der König, darunter befanden sich die Adligen und der geistliche Klerus.

Die Stände darunter setzten sich aus Mönchen und Ritter sowie dem Bürgertum (Kaufleute und Handwerker) zusammen. Gesellschaftlich ganz untenstehend bildeten die einfachen, oftmals armen und leibeigenen Bauern den umfangreichsten Stand. Im späten Mittelalter kam es zu teils grausamen Bauernaufständen, die von Hungersnöten und Zerstörungen durch den Hundertjährigen Krieg mit England ausgelöst wurden. Ebenfalls im späten Mittelalter prägte die Pest das Leben des Volkes. Der “schwarze Tod” verringerte die Zahl der europäischen Bevölkerung um ein gutes Drittel.

Merkmale und Themen des Mittelalters

Die Merkmale sowie die kulturellen und insbesondere literarischen Themen des Mittelalters ergeben sich aus dem zeitlichen Kontext der Epoche. Wegen des allgegenwärtigen Kriegs, des Hungers, Krankheiten und der Armut waren die Texte von einer Art Weltuntergangsstimmung gekennzeichnet. Durch die prägende Ständegesellschaft wurde der Mensch nicht als eigenständiges Individuum, sondern nur als Teil der Gemeinschaft wahrgenommen.

Der Platz und die Aufgaben und damit auch das Leid im diesseitigen Leben waren mit dem Stand durch die Geburt vorbestimmt. Statt Individualität standen allgemeingültige Themen und traditionelle Formen im Fokus. Hier spielte auch der christliche Glaube eine Rolle, der nicht nur das Weltbild der Menschen mit Gott als oberste Macht der Ständegesellschaft, sondern auch die mittelalterliche Literatur stark beeinflusste. Es wurde in der Epoche des Mittelalters grob unterschieden in die kirchliche und die höfische Literatur. Während geistliche Themen meist in lateinischer Sprache verfasst wurden, lag der Schwerpunkt der höfischen, in der Volkssprache verfassten Literatur thematisch beim Rittertum.

Der Beruf des Ritters wurde etwa im 9. Jahrhundert eingeführt und brachte den Männern in Rüstung schnell eine hohe gesellschaftliche Stellung ein. Ritterliche Tugenden wie Anstand und Treue und Tapferkeit wurden idealisiert, die Helden traten in Geschichten gegen einen Bösewicht in einem Kampf Gut gegen Böse an. Sagen und Lieder wurden dabei auf mündlichem Weg von einer Generation zur nächsten überliefert.

Große Teile der vor allem ärmlichen und bäuerlichen Bevölkerung konnten weder schreiben noch lesen. Dementsprechend war die vorherrschende Form im Mittelalter auch die Dichtung: Aufgrund der Vers- und Reimform ließen sich die Geschichten besser merken und so über lange Zeit weiter überliefern. Zum Spätmittelalter hin gewannen auch Prosaformen an Beliebtheit. Schriftliche Werke entstanden meist auf Wunsch einer Person aus den höheren Ständen, vor allem beim Minnesang, aber auch bei vielen Ritter- und Heldengeschichten handelte es sich also um Auftragsliteratur. Die Minnesänger und Autoren schrieben im Auftrag und damit auch nach Vorlagen und Regeln vom Adel ihre Lieder und wurden im Gegenzug am Hof versorgt.

Übersicht: Zusammenfassung: Merkmale des Mittelalters


  • Analphabetismus in der Bevölkerung
  • mündliche Überlieferung
  • mehr Dichtung als Prosa
  • Auftragsliteratur
  • Unterteilung in kirchliche Literatur (in Latein und mit geistlichen Themen) und höfische Literatur (in Volkssprache und Ritter-Themen)
  • Themen: fehlende Individualität stattdessen Kampf Gut gegen Böse; Idealisierung des Rittertums

Literatur des Mittelalters

Wichtig: Da es sich beim Mittelalter um eine sehr lang andauernde Literaturepoche handelt, sind auch die Textformen vielseitig. Während in der Literatur des Frühmittelalters kirchliche Texte und Dichtungen von Klerikern vorherrschten, zählten zu den beliebtesten Formen des Hochmittelalters das Heldenepos und der Minnesang. Im Spätmittelalter verschob sich langsam das Weltbild und Texte in den Volkssprachen nahmen zu.

Literatur des Frühmittelalters

Unter der dominierenden kirchlichen Literatur des Frühmittelalters waren die Evangelienharmonien ein hervorstechendes Beispiel. Sie stellten eine Verbindung der vier Evangelien des Neuen Testaments zu einer einzigen Geschichte dar, die vom Leben und Wirken Jesu erzählte. Weiterhin prägten kurze Formen diese Teilepoche, darunter Zaubersprüche, Segen und Rätsel. Wie die meisten Schriften aus dieser Zeit waren diese Texte in Latein geschrieben. Ebenfalls schon im frühen Mittelalter beliebt waren Heldensagen und das Fürstenlob.

Literatur des Hochmittelalters

Auch im Hochmittelalter spielten kirchliche Lieder eine Rolle. Daneben etablierten sich vor allem das Heldenepos und der Artusroman. Eines der bekanntesten Heldenlieder (auch Heldenepik oder Heldensage genannt) war das Nibelungenlied. Bei dieser Art der Dichtung wurde über eine Sagengestalt eines bestimmten Heldenzeitalters erzählt, wie etwa über Siegfried, den Drachentöter, in der Nibelungensage oder auch über den Hunnenkönig Attila. Auch die Legende um König Artus und das Schwert Excalibur wurde im hohen Mittelalter begeistert überliefert und besonders im 12. Jahrhundert oft rezipiert. Die Preisung von Artus und seiner ritterlichen Tafelrunde passte zur für das Mittelalter typischen Idealisierung des Rittertums. Für Ritter und Kreuzfahrer gab es außerdem die Kreuzzugslyrik des Mittelalters. Diese Verse und Gedichte dienten zum einen dazu, die Ritter zu motivieren, andererseits dazu, von den Erlebnissen der Kreuzzüge zu berichten und auch um gefallene Ritter zu trauern. Darüber hinaus war die höfische Dichtung, also die Dichtung an den Höfen, von Bedeutung. Die Hochzeit des Minnesangs war zwischen dem 12. und 13. Jahrhundert. Bei dieser ritterlich-höfischen Liebeslyrik stand die Liebeserklärung des Sängers an eine adelige Dame im Vordergrund. Da die Dame meist verheiratet war und das ebenfalls meist mit dem Auftraggeber des singenden Ritters, wurde in den Liedern nicht nur die Schönheit der Angebeteten besangen, sondern auch das Leid darüber beklagt, dass die Gefühle unerwidert blieben. Die zwangsläufige Enthaltsamkeit galt als tugendhaft und wurde idealisiert. In Abgrenzung zu dieser Hohen Minne, die Frauen aus höheren Ständen besang, entwickelte sich später die Niedere Minne, in der auch Mädchen aus gleichberechtigten Verhältnissen oder niederen Ständen vorkamen. Dem Minnesang ähnelten die Tagelieder des hohen Mittelalters. Der bedeutsame Unterschied war nur, dass in diesen keine enthaltsame Liebe besungen wurde. Stattdessen handelte das Tagelied von einer gemeinsam verbrachten Nacht und dem Trennungsschmerz der Liebenden am Morgen. Stark von der höfischen Dichtung unterschied sich die sogenannte Vagantendichtung, die sich mit volksnahen Themen beschäftigte. Während die Minnelieder in der Volkssprache verfasst wurden, war die Vagantendichtung lateinisch.

Literatur des Spätmittelalters

Wichtig für die Teilepoche des Spätmittelalters war vor allem die sprachliche Entwicklung der Literatur: So nahm der Gebrauch der Volkssprache immer mehr zu und verdrängte allmählich das Latein. Auch die Idealisierung des Rittertums verlor durch den Aufstieg des städtischen Bürgertums an Bedeutung. Aus den Minneliedern und der Sangspruchdichtung entwickelte sich der Meistersang der Zunfthandwerker. Durch ein Übermaß an anzüglichen Minneliedern war der Begriff “Minne” ab dem Spätmittelalter negativ behaftet und wurde in der höfischen Dichtung durch das Wort “Liebe” ersetzt. Statt Lyrik erhielt im Folgenden die Epik mit Formen wie der Legende und dem Schwank immer mehr Zuspruch. Weitere literarische Formen dieser Zeit waren auch das Volkslied und der Totentanz, eine langsame Hinwendung zu dramatischen Formen.

Zusammenfassung: Literatur des Mittelalters

Frühmittelalter:

  • -> Heldensagen
  • -> Fürstenlob
  • -> kirchlichen Literatur wie Evangelienharmonien
  • -> kurze Formen wie Zaubersprüche, Segen und Rätsel

Hochmittelalter

  • -> kirchliche Lieder
  • -> Heldenepos
  • -> Artusroman
  • -> Kreuzzugslyrik
  • -> Minnesang
  • -> Tagelieder
  • -> Vagantendichtung

Spätmittelalter

  • -> Meistersang
  • -> Legende
  • -> Schwank
  • -> Totentanz

Vertreter und Werke des Mittelalters

 

Autor Werk
Otfried von Weißenburg (790-875)

 

Evangelienharmonie (ca. 870)

 

Hildegard von Bingen (1098-1179)

 

Liber Scivias (1151/1152)

 

Walther von der Vogelweide (1170-1230)

 

Wolfram von Eschenbach (ca. 1170 bis ca. 1220)

 

Parzival (zwischen 1200 und 1210)

 

Gottfried von Straßburg (ca. 1170 bis ca. 1215)

 

Tristan und Isolde (um 1210)

 

Hartmann von Aue (um 1200)

 

Erec (um 1180)

 

Wirnt von Grafenberg (um 1200) Wigalois (zwischen 1210 und 1220)
Ulrich von Liechtenstein (ca. 1200 bis 1275)

 

Frauendienst (1255)

 

Mechthild von Magdeburg (1207-1282)

 

 

Das fließende Licht der Gottheit (13. Jahrhundert)

 

Hugo von Trimberg (um 1230 bis nach 1313)

 

Der Renner (1300)

 

Meister Eckhart (um 1260 bis 1328)  
Johannes von Tepl (ca. 1350-1414)

 

Der Ackermann aus Böhmen (um 1401)

 

Ulrich Füetrer (1430 bis zwischen 1493 und 1502)

 

Das Buch der Abenteuer (zwischen 1473 und 1487)