Klein Zaches, genannt Zinnober

Einleitung

Das Kunstmärchen Klein Zaches, genannt Zinnober erschien 1819 in dem Verlag F. Dümmler. Laut einem Freund Hoffmanns soll das Märchen während eines Fiebers erdacht worden sein, an dem der Schriftsteller im Frühjahr des Jahres 1818 litt. Hoffmann selbst nennt das Märchen in einem Brief an den Fürsten Pückler-Muskau das Produkt des Fiebers und einer ironisierenden Phantasie. Das Märchen mischt Motive aus französischen Feenmärchen mit Grundgedanken der Romantik.

Eigentlich ist Klein Zaches äußert hässlich und dumm. Durch die Einwirkung der Fee Rosabelverde gelingt Klein Zaches allerdings eine erstaunliche Karriere. Der Feenzaubers lässt Klein Zaches drei magische feuerrote Haare wachsen. Fortan nennt sich Klein Zaches Zinnober. Der Zauber besagt, dass alle guten Ereignisse in Zinnobers Umgebung ihm zugesprochen werden. All das Schlechte und das Missfallen, was Zinnober erregt, wird im Gegenteil auf die Menschen in seiner Umwelt übertragen.

Somit schafft es Zinnober, durch eine Reihe von Betrügereien bis zum gefeierten Außenminister eines kleines Landes aufzusteigen. Allerdings erweckt insbesondere seine Hochzeit mit der schönen Candida Unmut. Schlussendlich gelingt es dem früheren Verehrer der schönen Frau Balthasar mit der Hilfe des Zauberers Prosper Alpanus, den unheilstiftenden Zinnober in Klein Zaches zurückzuverwandeln. Das gelingt Balthasar, als er Zinnober die Zauberhaare ausreißt und diese anschließend verbrennt.

Inhaltsangabe

Das fiktive Kunstmärchen Klein Zaches, genannt Zinnober spielt in einer Märchenwelt, in der nach dem Tod des Fürsten Demetrius die „Aufklärung“ eingeführt wird. Dieser von seinen Nachfolgern Paphnutius und Barsanuph verantwortete Politikwechsel bildet den Hintergrund des Märchens.

Sie lassen die Wälder umhauen, die Dorfschulen verbessern und die Kuhpocken einimpfen und verbannen alle Feen des Landes. Sie wehren sich entschieden gegen Leute von gefährlichen Gesinnungen, die keiner Vernunft Gehör geben und das Volk durch lauter Albernheiten verführen. Nur wenige Feen dürfen im Land bleiben, weil die Fürsten dachten, dass die Leute so den Glauben an die Feen verlieren werden.

Das Märchen beginnt mit der Darstellung einer armen und zerlumpten Bäuerin. Bei der Frau handelt es sich um Frau Liese, der unglücklichen Mutter von Zaches. Die arme Frau klagt über ihr missratenes Kind, das die zahlreichen Probleme in ihrem Leben nur vergrößert. Und wirklich, Zaches ist alles andere als ein Kind, auf das eine Mutter stolz sein könnte: Auf den ersten Blick ähnelt Zaches dem, was man sehr gut für ein seltsam verknorpeltes Stückchen Holz hätte ansehen können.

Er ist ein kaum zwei Spannen hoher, mißgestalteter Junge. Sein Kopf stak dem Dinge tief zwischen den Schultern, die Stelle des Rückens vertrat ein kürbisähnlicher Auswuchs, und gleich unter der Brust hingen die haselgertdünnen Beinchen herab, so daß der Junge aussah wie ein gespalteter Rettich. Obwohl Zaches bereits zweieinhalb Jahre alt ist, kann er weder laufen noch sprechen. Liese beschreibt ihren Sohn als Wechselbalg ( eine Bezeichnung für ein Kind, das dem Aberglauben nach durch den Teufel ausgetauscht wurde).

Vollkommen erschöpft sinkt Liese nieder und schläft ein. In dieser Zeit kommt das Fräulein von Rosenschön, eine Dame des nahegelegenen Stifts, von einem Spaziergang zurück und sieht die zusammengebrochene Frau und ihr Kind. Doch bei dem Fräulein handelt es sich nicht um eine gewöhnliche Dame, sondern um eine der im Land verbliebenen Feen. Mit richtigen Namen heißt die Fee Rosabelverde. Sie empfindet Mitleid mit Liese und Zaches. Sie beruhigt das aufgebrachte Kind und als es eingeschlafen ist, beträuft sie es mit einem geistigen Wasser.

Obwohl die Zauberei verboten ist, versucht die Fee die Welt mit ihrer Zauberkraft zum Besseren zu wenden. Der Zauber der Fee sieht vor, dass alles, was in Zaches Gegenwart irgendein anderer Vortreffliches denkt, spricht oder tut dem unfähigen Zaches zugeschrieben wird. Die Fee streichelt Zaches über seine Haare, wodurch diese sich verändern. Durch das Wirken der Fee wachsen Zaches drei feuerfarbglänzenden Haaren, die sich über den Scheitel des Kleinen ziehen.

Bei der nächsten Pause vor dem Haus des Pfarrers zeigt sich direkt die Wirkung des Feen-Zaubers. Zur großen Verwunderung von Zaches Mutter bietet der Pfarrer der armen Frau an, ihren Sohn bei sich aufzunehmen und zu erziehen. Obwohl Zaches ständig versucht, in die Nase des Pfarrers zu beißen, ist dieser durch den Zauber überzeugt, dass Zaches ein kluger und intelligenter Wunderknabe ist. Von nun an nennt sich Zaches Zinnober.

Fortan wächst Zinnober bei dem Pfarrer auf. Viele Jahre später bricht Zinnober in die Universitätsstadt Kerepes auf, um die Rechte zu studieren. Auf dem Weg nach Kerepes fällt er unglücklich vom Pferd, was von Fabian und Balthasar beobachtet wird. Während Balthasar dem Gefallenen wieder auf die Beine hilft, wird Zinnober von Fabian heillos ausgelacht. Von Wut geladen, fordert Zinnober Fabian zum Duell, bricht aber dennoch in die Stadt auf. Zum Erstaunen von Fabian, der Zinnober für einen großen Tollpatsch hält und ein großes Spektakel bei seiner Ankunft erwartet, wird der von dem Zauber beschützte Zinnober wohlwollend in der Stadt empfangen.

Schnell gelingt es Zinnober, seinen Platz in der Gesellschaft zu festigen. Bei einem literarischen Tee des beliebten Professor Mosch Terpin wird der Grundstein für seinen Aufstieg und Erfolg gelegt. Gemäß dem Zauber fällt Zinnober aller Ruhm für die Leistung eines Anderen zu, während seine eigene Hässlich- und Unfähigkeit einem Anderen zugeschrieben wird. So erntet Zinnober großen Beifall für das von Balthasar vorgetragenes Gedicht Liebe der Nachtigall zur Purpurrose. Als Belohnung erhält Zinnober einen Kuss von Mosch Terpins schöner Tochter Candida, auf die Balthasar ein Auge geworfen hat.

Der Zauber bewirkt, dass selbst die offensichtlichsten Taten eines Anderen Zinnober zugesprochen werden. Bei einem Konzert des exzellenten Geigers Sbiocca applaudieren die Zuschauer Zinnober anstelle des Musikers. Darüber hinaus wird der fabelhafte Gesang der Sängerin Signora Bragazzi ebenso Zinnober zugerechnet, woraufhin diese aus Enttäuschung und Kummer stirbt.

Bei einer bedeutenden Prüfung der Studenten durch den Minister für Äußere Angelegenheiten Baron Prätextatuts von Mondschein erfährt der Referandrius Pulcher das Unglück, gemeinsam mit Zinnober geprüft zu werden. Während die Leistung Zinnobers unterirdisch war, beeindruckte Pulcher durch hervorragendes Wissen. Nichtsdestotrotz erhält Zinnober auf Grund des Zaubers die angebotene Stelle als Geheimer Expedient des Ministers. Pulchers ganzes Interesse gilt einer Karriere im diplomatischen Dienst des Fürsten, weswegen sich der enttäuschte Prüfling mit Selbstmordgedanken plagt.

Als Baron von Mondschein zu einem Frühstück lädt, trifft Zinnober auf den herrschenden Fürsten Barsanuph. Obwohl Zinnober eine Unmenge an Lerchen verspeist und die neue Kasimirhose des Fürsten mit einem Fettfleck beschmutzt, wird er für die tadellose Arbeit des Sekretarius Adrian gepriesen, während dieser für den Fettfleck beschuldigt wird. In der Folge wird Zinnober zum Geheimen Spezialrat ernannt, sein gesellschaftlicher Aufstieg setzt sich fort.

Angesehen und erfolgreich, bekommt Zinnober die Tochter des Professors versprochen. Er lebt in einem großen Haus. Balthasar ist sich bewusst, dass irgendetwas mit Zinnober nicht stimmt. Er ist überzeugt, dass ein verruchter Zauber für sein Unglück verantwortlich ist. Er sucht nach einer Möglichkeit, den Fluch zu bannen und sucht Hilfe bei dem Doktor Prosper Alpanus, einem im Land gebliebenen Zauberer.

Alpanus beschwört das Bild Zinnobers in einer Kirstallkugel herauf. Als Balthasar auf das Bildnis Zinnobers einzuschlagen beginnt, erleidet Zinnober – ähnlich wie bei einer Vodoopuppe – wirkliche Schläge. Der Zauberer Alpanus versteht folglich, dass Zinnober selber kein Erdgeist, kein Wurzelmännlein und kein Käferkönig ist, sondern ein normaler Mensch aus Fleisch und Blut, der durch einen fremden Zauber behütet wird.

Eines Tages gelingt es seinen Widersachern Adrian und Pulcher zu beobachten, wie die für Zinnobers Glück verantwortliche Fee Rosabelverde Zinnobers Haare in der Rosenhecke des Gartens kämmt, um den Zauber zu erneuern. Diese Auffrischung muss alle neun Tage geschehen, ansonsten verblasst der Zauber. Von dieser Beobachtung berichtet Pulcher Balthasar, der noch immer unglücklich in Candida (die Tochter des Professors) verliebt ist.

Auf Grund des Zaubers ist Candida vollkommen von Zinnober eingenommen. Durch eine weitere Verwechslung gelingt es Zinnober, das Amt des Außenministers vom Baron von Mondschein zu erhalten. Darüber wird dem neuen Minister als Zeichen seines ehrenhaften Position der Orden des grüngefleckten Tigers verliehen. Allerdings erweist es sich als schwierig, den Orden an Zinnobers verwachsenen Körper anzubringen. Die Verbindung seiner Tochter mit dem erfolgreichen Emporkömmling erweist sich auch für ihren Vater Professor Mosch Terpin als vorteilhaft. Er wird zum Generaldirektor für sämtliche natürliche Angelegenheiten befördert, eine vorteilhafte Stellung, die ihn zu persönlichen und unbegrenzten Studien im fürstlichen Weinkeller befähigt.

Der Zauberer Prosper Alpanus findet mittlerweile heraus, dass die Fee Rosabelverde für das Glück Zinnobers beziehungsweise das Unglück der vielen Anderen verantwortlich ist. Es kommt zu einem Treffen der Beiden auf dem Landhaus von Prosper Alpanus. Es findet ein Zauberwettstreit statt, den Prosper Alpanus für sich entscheiden kann. Bei dem Wettstreit zerbricht der Goldene Kamm, ohne den der auf Zinnober ruhende Zauber nicht erneuert werden kann.

Rosabelverde erkennt, dass ihr aus Mitleid geborener Zauber großes Unheil angerichtet hat. Prosper Alpanus sagt, dass er sie verstehen kann, da es nicht leicht ist, als Zauberer in einem von Aufklärung dominierten Land zu leben. Es entsteht eine Bindung zwischen den Zauberwesen, deren erstes Ziel es ist, den Unglück stiftenden Klein Zaches, genannt Zinnober, aus der Welt zu schaffen.

Dieser Plan wird auf der Hochzeitsfeier zwischen Candida und Zinnober in die Tat umgesetzt. Balthasar rennt auf Zinnober zu und zerrt diesem die drei roten Zauberhaare vom Kopf. Anschließend verbrennt er die Haare, um den Zauber vollkommen zu brechen. Als Zinnober von seinem beschützenden Zauber entbunden ist, erkennt niemand den ehemals stolzen Außenminister in dem erbärmlichen Zwerg. Die Hochzeitsgäste wundern sich des purzelbäumeligen Kerls. Obwohl er mehrmals beteuert, Minister Zinnober zu sein, glaubt ihn niemand.

Es gelingt ihm gerade noch, in seine Residenz zu fliehen und sich einzuschließen. Am nächsten Morgen wird Klein Zaches von einem Lärm vor seinem Haus geweckt. Seine Mutter Liese steht vor der Tür. Daneben drängen viele Leute ins Haus, den hässlichen Kerl aus der Ministerjacke zu prügeln, die ihm nicht zusteht. Auf der Flucht vor der aufgebrachten Masse stürzt der ehemals so stolze Diplomat in einen silbernen Krug und stirbt. Sein Kammerdiener findet die Leiche.

Die arme Bäuerin, angelockt durch den Reichtum ihres Sohns, versucht von dem Tod Klein Zaches zu profitieren. Schlussendlich findet sie sich mit einem gewinnbringenden Zwiebelhandel ab und versorgt das neue Pärchen Candida und Balthasar, die in ein verzaubertes Haus zusammenziehen, in dem die Töpfe niemals alle gehen und immer gutes Wetter ist. Der Fee wurde von Prosper Aplinus zugestanden, nach dem Tod Klein Zaches dessen Leiche in das verführerische Abbild des bewunderten Ministers zu verwandeln, sodass der tote Zinnober von einer ehrfürchtigen Menge in einem Ehrenbegräbnis bestattet wird.

Sonstiges

Klein Zaches, genannt Zinnober ist ein humorvolles Kunstmärchen, in dem E.T.A. Hoffmann nach Selbstauskunft nichts weiter als die lose, lockere Ausführung einer scherzhaften Idee gestalten wollten. Mit einer leidenschaftlichen Lust zu fantasieren, bedient sich Hoffmann an zahlreichen literarischen Texten seiner Zeit und schafft eine bis dato unbekannte Welt. In dieser vermischt sich Reales mit Fiktiven, Moralisches mit Zauberhaftem, sodass am Ende nur noch die Vielfalt der von dem Dichter heraufbeschworenen Märchenhaftigkeit zu bestaunen bleibt.

Sophokles

Der Schriftsteller E.T.A. Hoffmann wurde 1776 In Königsberg geboren. Im Jahre 1805 änderte er seinen Namen von Ernst Theodor Wilhelm zu Ernst Theodor Amadeus. Diese Namensänderung erfolgte auf Grund seiner Bewunderung für den österreichischen Komponisten Wolfgang Amadeus Mozart.

Hoffmann selbst war ein talentiertes Universalgenie, er schrieb nicht nur eine für die Romantik stilgebende Literatur, er war darüber hinaus Komponist, Kapellmeister, Musikkritiker, Zeichner und ein vollausgebildeter Jurist im preußischen Staatsdienst. Hoffmann studierte zunächst Jura und erledigte seine Staatsexamina mit vortrefflichen Noten. Er begann für die preußische Administration im besetzten Polen zu arbeiten, begann aber neben der Arbeit zu komponieren.

Als Ende 1806 französische Truppen unter Napoleon in Polen einmarschierten, verloren auf der Stelle alle preußischen Regierungsbeamten ihre Stelle. In der folgenden Zeit versuchte sich Hoffmann als Kapellmeister über Wasser zu halten, hatte aber nur mäßigen Erfolg. Seine eigenen Kompositionen wurden vom Publikum nicht angenommen.

Zu dieser Zeit begann Hoffmann für die Leipziger Allgemeine musikalische Zeitung Musikkritiken zu schreiben. In der selben Zeitung hatte Hoffmann im Jahr zuvor bereits die Erzählung Ritter Gluck veröffentlicht hatte. In der Folgezeit entstanden die musikthematischen Erzählungen rund um den Kapellmeister Johannes Kreisler, ebenso aber die Erzählungen der Goldene Topf und Lebensansichten des Katers Murr.

In der Folge gelang es Hoffmann freundschaftliche Beziehungen zu zahlreichen Künstlern und Literaten seiner Zeit aufzubauen. Zu ihnen gehörten unter anderem Clemens Brentano, Friedrich de la Motte Fouqué oder Adelbert von Chamisso. In der Zwischenzeit war Hoffmann wieder in den preußischen Staatsdienst eingetreten.

In der politischen Umbruchszeit nach dem Wiener Kongress von 1815 wurde sowohl die Kunst- als auch die Meinungsfreiheit stark eingeschränkt. In seiner Funktion als Kammergerichtsrat musste Hoffmann gegen Ansichten und Aktivitäten von Burschenschaftlern oder Turnerbundmitgliedern vorgehen (vgl. Demagogie, Vormärz, Biedermeier).

Allerdings geriert Hoffmann in Konflikt mit seinen Vorgesetzten, da er ihrer Meinung nach nicht hart genug gegen die national-patriotischen Aufrührer vorginge. Im Jahr 1822 kommt es zum Eklat, als der preußische Staatsminister Friedrich von Schuckmann Hoffmann in einem Brief als pflichtvergessenen, höchst unzuverlässigen und selbstgefährlichen Staatsbeamten bezeichnet.

Hoffmann allerdings war zu diesem Zeitpunkt bereits schwer an der Geschlechtskrankheit Syphilis erkrankt, die er sich wahrscheinlich von einer namenlosen Geliebten in Berlin zugezogen hat. Er starb 1822 in Berlin.