Discours

Als discours wird eine Ebene des Erzählens beschrieben. Demzufolge stammt der Begriff aus der Erzähltheorie. Gemeinsam mit der histoire bildet der discours zwei Elemente des Erzählens, die eng miteinander verknüpft sind. Die histoire meint dabei die erzählte Geschichte eines Textes, wohingegen als discours der eigentliche Text eines Werkes bezeichnet wird.


discours und histoire

Das bedeutet, dass die histoire angibt, was in einem Werk geschieht und somit die tatsächliche Geschichte und Geschehnisse meint. Im Gegensatz dazu steht der discours. Dieser beschreibt, wie ein Text erzählt wird. Demzufolge kann es einen grundsätzlichen Unterschied zwischen den beiden Ebenen geben: nämlich den der Chronologie, also der zeitlichen Abfolge der Ereignisse.

Die histoire meint nämlich den chronologischen Aufbau einer Geschichte und ist so die Auflistung aller Ereignisse in ihrer tatsächlichen Reihenfolge. Auf der Ebene des discours kann es im Gegensatz dazu aber natürlich Rückblenden, Vorwegnahmen und außerdem unterschiedliche Erzählperspektiven geben, die ein Geschehen zeitgleich vermitteln. Demnach sind die Begriffe eng mit der Fabula und dem Sujet verwandt.

Die Bezeichnungen gehen auf den Linguisten Tzvetan Todorov zurück. Todorov entlehnte die Begriffe Emile Benveniste, einem französischen Linguisten und reicherte sie außerdem mit Ideen von Boris Tomaševski an, der Fabula und Sujet vorschlug. Dieses Wissen ist insofern wichtig, als dass die Begriffe teilweise in der Literaturwissenschaft miteinander verschwimmen und doppeldeutig belegt sind.

Hinweis: Im Nachfolgenden soll geklärt werden, inwiefern discours und histoire mit Fabula und Sujet zusammenhängen, welche Rolle story und plot spielen und warum die Begriffe teils verworren sind.

Unterschied: discours, histoire, fabula und sujet

1925 schlug Boris Viktorovič Tomaševskij in seiner Theorie der Literatur fabula und sjužet vor. Die fabula meint die chronologische Abfolge der Ereignisse in einem erzählten Text. Das sjužet ist im Gegensatz dazu die Reihenfolge der Ereignisse, wie sie im Text präsentiert werden. Demzufolge sind sie deckend oder meinen eine unterschiedliche Abfolge (dt. Bezeichnung ~ Fabel / Sujet).

Zwar war kann die Verwendung der Begriffe schon beim russischen Formalisten Viktor Borisovič Šklovskij belegt werden, doch Tomaševskij ist es, auf den man sich meist bezieht. Das liegt schlicht und ergreifend darin begründet, dass seine Abhandlungen eine gewisse Populartität erreichten und kanonisch wurden.

  • Fabula nach Tomaševskij (engl. story):
    • Sämtliche Ereignisse und Motive in der kausal-temporalen, logischen Verbindung
    • unabhängig und somit autonom von der jeweiligen Art der Darstellung
  • Sujet nach Tomaševskij (engl. plot):
    • Motive der Fabel, allerdings in der Ordnung und Verknüpfung, wie im Werk gegeben
    • tangiert die jeweilige Art der Darstellung einer Geschichte
    • zu dieser Darstellungsweise gehören:
      1. 1. Struktur der Zeit als Abfolge von Ereignissen
      2. 2. Struktur des Raumes
      3. 3. Wahl der Erzählperspektive

Der Strukturalist Tzvetan Todorov prägte in seinem Aufsatz Les catégorie du récit littéraire (1966) die Begriffe histoire und discours, wobei er sich ganz eindeutig auf die Begriffe fabula und sujet bezieht. Das Knifflige ist hierbei, dass er die Begriffe von seinem französischen Kollegen Émile Benveniste leiht und außerdem durch einige Aspekte der fabula und des sujets anreichert.

Das Wesentliche bei Todorovs Ansatz ist, dass er hierbei das Erzählen in zwei Ebenen teilt. Demnach gibt es eine, die das Was des Erzählens beleuchtet. Was wird überhaupt erzählt? Diese Ebene bezeichnet er als histoire, also als Geschichte. Weiterhin schlägt er eine Ebene des Wies vor. Wie wird also erzählt? Diese Ebene bezeichnet er als discours, also als Rede.

  • histoire nach Todorov:
    • Die histoire kann unterschiedliche erzählt werden. Die histoire meint demnach die tatsächliche Geschichte, die erzählt wird, vollkommen unabhängig von ihrer Darstellungsweise
    • Die histoire ist ein Abstraktum: sie existiert nicht an sich; sie ist in dieser Form nicht existent
    • Die histoire ruft eine Realität mit Ereignissen und Figuren hervor
    • Diese Ereignisse (Handlung) und die Figuren, aber natürlich auch die Beziehung der Figuren untereinander (Figurenkonstellation), folgen bestimmten Gesetzmäßigkeiten
    • Solche Gesetze bestimmen die Realität der Figuren der erzählten Welt (Diegese) und sind demnach für alle Figuren der Erzählung wirksam und verpflichtend

    • Schlussfolgerung: Nach Todorov ist die histoire
      • a) … die Geschichte unabhängig von ihrer Darstellungsweise. Diese ist jedoch ein Abstraktum, das keine an sich existierende Größe darstellt (Die Begründung ist, dass jeder Inhalt schon einmal von irgendwem in irgendeiner Form erzählt wurde und somit als discours bereits vorliegt)
      • b) … die erzählte Welt eines Werkes. Zu dieser Welt gehören die Personen und die Gesetze (Regeln), die deren Leben innerhalb der Erzählung bestimmen sowie die Handlung.

  • discours nach Todorov:
    • Der discours meint die Art und Weise, wie der Erzähler die Ereignisse dem Rezipienten vermittelt
    • Der discours umfasst:
      • Erzählaspekte: Es geht darum, was der Erzähler weiß. Weiß der Erzähler mehr oder weniger als die Figuren seiner Welt? (bei Genette wird dies mit dem Begriff Fokalisierung bezeichnet.)
      • Erzählmodus: Wer nimmt die Geschichte wahr? Verhältnis zwischen Erzählerrede und Figurenrede sowie Erzählperspektive, was wird gezeigt und was gesagt? (bei Genette heißt dies Distanz, er unterscheidet zwischen narrativer, transponierter und dramatischer Rede. Fokalisierung und Distanz werden dann unter dem Begriff Modus zusammengefasst.)
      • Zeitstruktur und Unterschiede der Geschichte in Bezug auf histoire und discours

    • Schlussfolgerung: Nach Todorov ist der discours
      • a) … die Darstellungsweise einer Geschichte; wie wird diese also erzählt
      • b) … das bezieht sich auf die Erzählaspekte (Fokalisierung), den Erzählmodus sowie die Zeitstruktur
      • c) … ein Konstrukt für das der Erzähler verantwortlich ist. Somit ist dieser ein Teil des discours selbst.
  • Hinweis: Der Erzähler wird bei Todorov zu einem wesentlichen Element, das selbst discours enthalten ist. Das liegt darin begründet, dass der Erzähler nicht nur eine Sicht auf die Dinge preisgibt (Fokalisierung) und es durch Zeigen und Sagen vermittelt, sondern eben daran, dass er die einzelnen Ereignisse auch ordnet, also in die Reihenfolge bringt, in der er sie dem Leser zeigt (Zeitstruktur).

Wichtig ist außerdem, dass der E.M. Forster das Begriffspaar story / plot im Werk Aspects of the novel and related writings (1927) vorschlug. Diese haben nur bedingt etwas mit histoire und story gemein. Knifflig ist hierbei jedoch, dass Todorovs Ideen einen großen Anklang fanden und beispielsweise von Seymour Chatman ins Englische übertragen wurden, der sie als story und discourses übernahm.

Demzufolge ist der Begriff story in der Literaturwissenschaft doppelt konnotiert, wobei er allerdings in beiden Fällen etwas anderes meint. Das sollte beim Lesen und Verwenden der Begrifflichkeiten beachtet werden, um Unstimmigkeiten vorzubeugen und unter Umständen hervorgehoben werden.

Kurzübersicht: Das Wichtigste zum discours im Überblick

  • Der Begriff discours geht auf den Linguisten Tzvetan Todorov zurück und gibt die Antwort auf die Frage, wie eine Geschichte erzählt wird. Demnach ist er unweigerlich mit der histoire verknüpft. Diese beschreibt, was in der Erzählung tatsächlich erzählt wird.
  • Das Verhältnis aus discour und histoire beschreibt die Erzählzeit und wirkt sich somit stark auf das Erzähltempo aus. Demzufolge kann das Verhältnis beider Ebenen durchaus den Rhythmus eines Werkes beeinflussen.
  • Laut Todorov ist der discours somit die Art und Weise, wie eine Geschichte erzählt wird und meint damit im Besonderen den Zeitablauf, die Erzählaspekte und außerdem den Erzählmodus.


Stichwortverzeichnis