Adebar

Als Adebar wird der Storch in der Fabel oder auch im Märchen und in Sagen bezeichnet. Es handelt sich bei der Bezeichnung demzufolge um ein Fabeltier. Adebar werden hierbei ganz konkrete menschliche Charaktereigenschaften zugeschrieben, wobei er als hochmütig, aber auch gelehrt gilt. Darüber hinaus gilt der Storch als der Überbringer der Neugeborenen, weshalb er häufig mit einem Bündel im Schnabel dargestellt wird und der Aberglaube besteht, dass ein Storch, der auf dem Dach eines Hauses sitzt, die Geburt eines Kindes ankündigt. In Bezug auf die Literatur ist es wesentlich, dass sich die Eigenschaften, die Adebar zugesprochen werden, im Laufe einer solchen Erzählung nicht ändern: Meister Adebar entwickelt sich folglich nicht, weshalb für Leser und Zuhörer stets vorhersehbar ist, wie er sich grundsätzlich im Laufe der Geschichte verhalten wird.


 

Begriff

Der Begriff setzt sich aus den germanischen Nomen auda für Glück oder Heil und bera für tragen oder gebären zusammen. Folglich ist Adebar im übertragenen Sinn der Träger des Glücks, wobei durch diese Namensgebung ersichtlich wird, dass der Storch unmittelbar mit dem Kinderkriegen verbunden ist und als Glücksbringer gilt. In niederdeutschen Sprachen ist das Wort außerdem der reguläre Ausdruck für den Storch, wobei er im Plattdeutschen unter anderem als Aadboor bezeichnet wird.

Die mittelhochdeutsche Bezeichnung für den Klapperstorch ist odebar, wobei er im Althochdeutschen odebero genannt wird. Übersetzen lassen sich dieses Begriffe mit Heil- oder Segensbringer. Anzunehmen ist, dass es sich in diesem Fall um eine Umdeutung der ursprünglichen germanischen Bezeichnung für Sumpfgänger handelt, wodurch dem Tier zusätzliche Eigenschaften angedichtet wurden.Adebar, der Storch, auf einem Gemälde von Carl Spitzweg


Das obige Bild zeigt das Gemälde Der Klapperstorch (1885) des romantischen Malers Carl Spitzweg und verdeutlicht die Vorstellung, dass der Storch die Kinder bringt. Darüber hinaus finden sich natürlich auch in zahlreichen Fabeln und in anderen Werken der Literatur viele Beispiele, die die Eigenschaften sowie den Aberglauben in Verbindungen mit dem Storch verdeutlichen. Nachfolgend eine Auswahl.

Beispiele aus der Literatur

Es gibt zahlreiche Belege für die Verwendung des Namens Meister Adebar in der Literatur. Nachfolgend einige Textbeispiele aus literarischen Werken: drei kurze Auszüge aus einem Roman sowie aus einer Jagdgeschichte von Hermann Löns und aus dem 9. Kapitel aus Theodor Fontanes Roman Irrungen, Wirrungen, die die Verwendung der Bezeichnung verdeutlichen.
Der letzte Hansbur (Hermann Löns)

Es war meist noch Nacht, da warf der Storch den Tau von sich und flog los. Mitten in der Heide lag ein klarer Pump, der Bullerborn geheißen; da ließ er sich nieder.
Die Nebelhexen verjagten sich, als der Adebar angebraust kam, und als ein heller Wind über die Heide lief und sie beiseite stieß, und als die Sonne über die Wohld stieg und sie scharf ansah, da gaben sie das Tanzen über dem Bullerborn auf und machten, daß sie in das Bruch kamen.

Der Storch ging um den Born herum und nickte mit dem Kopfe. Fische gab es nicht in dem Wasser, dazu war es zu frisch, und Frösche erst recht nicht, denn dazu war es zu wild. Wer aber lange in den Born sah, in dem das Wasser immer um und um ging, daß der weiße Sand nur so mülmte, der wußte, was der Storch da suchte, und wenn der Pastor von Lichtelohe es auch einen Heidenschnack nannte, daß der Adebar aus dem Bullerborn die Seelen für die kleinen Kinder holen sollte, die Bauern wußten das besser.

Als die Sonne so hoch stand, daß sie just in den Born hineinsehen konnte, nahm der Storch sich auf und flog über das Bruch und die hohe Heide und die Felder, bis er da war, wo er hergekommen war, auf dem Hehlenhof, der ganz allein für sich in seinem Hausbusche lag, so daß man vor lauter Eichen und Hülsen und Holderbüschen, die hinter der mächtigen Mauer aus Ortsteinen wuchsen, nichts von ihm sah, als den Herdrauch.
Die Störchin stand auf, als der Storch kam; er aber flog über das Hausdach fort und ließ sich im Blumengarten hinter dem Wohnhause nieder, wo der Flieder durch den Tau roch und der Goldregen über den Zaun hing. Er stand zwischen den Buchsbaumrabatten und sah sich um; dann ging er bis zu der Ecke, wo das Fenster der Dönze offen stand.

Das Totenhuhn, das auf dem Windbrett saß und einen Diener über den anderen machte, drehte sich bald den Hals ab, aber es konnte nicht sehen, was der Adebar da machte, denn er war hinter einem der spitzen Machangelbüsche, die rechts und links vor der Türe standen, kam aber bald wieder heraus, ging bis mitten in den Garten und flog fort.

 

Der Wächter des Moores (Hermann Löns)

Das Moor schläft und träumt und redet im Schlafe halblaut und undeutlich. Es hört sich an, als ob die Mooreule seufze, oder ein Frosch quarre, eine Bekassine meckere, aber es ist das alles nicht. Das Moor spricht bloß im Schlafe das aus, was ihm träumt.

Da nun das Moor schläft, muß Blitz, der Kiebitz, wachen, denn auch Blank, seine Frau, schläft. Es ist ihr zu gönnen; sie hat es den Tag über nicht leicht gehabt, denn es ist keine Kleinigkeit, vier wibbelige Kinder, von denen jedes seinen eigenen Kopf hat, zwölf Stunden lang und mehr zu bemuttern.

Und der gestrige Tag war besonders schwer für sie. Es fehlte nicht viel, so hätte der Sperber eins der Kleinen erwischt; gleich darauf mußte Mutter Blank mit heftigem Flügelgefuchtel die böse Otter verscheuchen, die sich auf das Jüngste zuschlängelte. Dann mußte sie ihre Brut vor der Rohrweihe in Sicherheit bringen, späterhin sie aus dem Bereiche von Meister Adebars langem Schnabel besorgen und noch am späten Abend dem Ekel von Igel seine Gelüste auf Kiebitzkinderfleisch austreiben. Nun schlief sie fest über ihren vier Kleinen und Blitz hielt Nachtwache.

Er hatte seiner Frau getreulich den Tag über geholfen, all das Gesindel abzuwehren, das den Kinderchen zu Leibe wollte. Doch deswegen wußte er, was seine Vaterpflicht war; wenn ihm auch einmal die Augen zufallen wollten und der Kopf ihm schwer wurde, er hielt aus und wachte. Jeden Laut weit und breit vernahm er, das Heulen des Dampfers da hinten, das Geschnurre des Nachtfalters hier vorne, das ferne Gedonner der Eisenbahn, und das Geknister, das die Maus im Heidekraut hervorbrachte.

So steht er nun da auf einem Beine auf dem verrotteten Torfhaufen und lauscht in die Nacht hinaus. Auf einmal reckt er sich hoch, richtet die Holle auf, spreizt die Ohrfedern, gibt sich einen Ruck, schwingt sich lautlos empor und fliegt leise, um seine gute Frau nicht zu wecken, hin und her. Denn es knisterte da etwas, und knickte, und brach. Ein Reh ist es, eine alte, hochbeschlagene Ricke, die ausgerechnet hier herunter dämeln muß, obgleich sie den Damm entlang einen viel bequemeren Wechsel nach der Brandstatt hat, wo das frische Junggras schießt. »Dummes Luder!« denkt Blitz, »dir will ich deine Taperei beseibeln.« Mitten vor den Kopf stößt er sie und schlägt ihr die Schwingen so tüchtig um die Lauscher, daß sie mit einer jähen Flucht von dannen poltert und laut schreckend davontrollt.

Blitz lacht in sich hinein, obzwar er ein bißchen ärgerlich ist, denn seine Frau ist von dem Geschmäle der Ricke aufgewacht und fragt ihn ziemlich ungnädig: »Was ist denn nu‘ wieder los? Nich‘ einen Augenblick hat man seine Ruhe! So, weiter nichts, als die olle dämliche Ricke? Und deshalb mußt du mich aus’m besten Schlafe jagen? Na, ich sage man bloß: die Männer! Es ist dir wohl zu viel, auch mal einen Augenblick aufzupassen? Was sagst’e? Du hätt’st gedacht, es ist der Fuchs? Na ja, das kennt man schon! Um Ausreden seid ihr ja nie verlegen! Willst wohl mal eben ’n bißche nach ‚m Bruche, wo die Junggesell’n und die Witwen sind? Bloß mal eben hin, nich! Ach ja, man hat’s nich leicht.« Blitz läßt sie reden.

Er nimmt dem nicht so ernst. »Frauensleute!« denkt er und tut so, als hätte sie ihm Liebenswürdigkeiten gesagt. Er steht wieder auf dem zusammengefaulten Torfringel, horcht in die Nacht hinaus und denkt bei jedem Traumlaut des Moores: »Das war die alte dämliche Mooreule, die ja immer und immer was zu stöhnen hat. Und das ist die zappelige Bekassine, die hysterische Person, und das der Frosch, die Großschnauze, und da hoppelt wieder so eine alte pampsige Satzhäsin ‚rum, und die Ralle könnte endlich auch einmal aufhören mit ihrem albernen Gepfeife, und was war das da eben? Ach so, bloßig ’ne Sternschnuppe! Ein Segen, daß die Olle sich wieder beruhigt hat! Na ja, man kann es ihr weiter nicht für übel nehmen; sie hat ja ihre Last und Not! Und wie die Frauensleute einmal so sind!«

So steht er Stunde auf Stunde da, erst auf dem einen Beine, und dann, wie es ihm einschläft, auf dem anderen, bis gegen Morgen die Sonne ein Loch in die Nachtwolken brennt, das Moor erwacht, die Nebeldecke von sich wirft und deutlich an zu reden fängt mit Heidelerchensang, Pieperschlag und Brachvogelgeflöte. Da trippelt er nach den drei dichten Wollgrasblüten, zwischen denen seine Frau sitzt, und wie er sieht, daß sie wach ist, fragt er freundlich: »Na, Blankchen, gut geschlafen? Und sind die Kleinen alle munter? Komm, mach‘ dich erst hübsch und frühstücke; ich bleibe solange bei den Kindern! Und sieh mal, hier sind ganz ausgezeichnete kleine fette saftige Schneckchen, und da gibt es tadellose zarte Raupen! Also laß dir man Zeit; ich passe derweilen auf!«

Erst tut Frau Blank so, als habe sie schlechte Laune: aber dann schwingt sie sich mit fröhlichem »Kuwitt!« empor, fliegt sich den Schlaf aus dem Leibe, läßt sich nieder, bringt ihr Gefieder in Ordnung, nimmt einige Schneckchen zu sich, auch etliche Räupchen und Käferchen, und trippelt dann schleunigst zu den Kindern hin: »Laß doch, Blitz; du verstehst ja doch nichts davon. Siehste, ich sag‘ dir ja, beinah hätte das Zweite ’ne Wespe übergeschluckt! Es ist schrecklich: diese Männer! Nu geh‘ man bloß und paß auf! Du machst doch bloß weiter nichts als lauter Dummerhaftigkeiten.« Blitz läßt seine Holle herunterfallen, macht ein dummes Gesicht, läßt sich einige Käfer und ein paar eben ausgeschlüpfte dicke Schlammfliegen schmecken, schluckt zwei, drei, vier Kieselsteinchen hinab, der besseren Verdauung halber, paßt aber unterdessen scharf auf, ob nicht irgendwelches Getier oder irgendein anderes Wesen seiner Familie zu nahe komme. Sogar den Frosch, der ihm entgegenstolpert, will er hier nicht haben und versetzt ihm einen solchen Hieb auf die Schnauze, daß der Dickkopf ganz entsetzt von dannen humpelt. Ihm, Blitz vom Geschlechte derer von und zu Kiewitte, hat alles, was im Moore kreucht und fleucht, vom Balge zu bleiben und aus dem Wege zu gehen!

Deshalb ekelt er den Storch so lange an, bis der sein Gefieder erhebt und anderswo den Fröschen und Mäusen nachstelzt, ödet er das Hermelin, bis es sich von dannen begab, ulkt er den Fischotter, der von den Karpfenteichen zum Flusse wechseln will, so ruppig an, daß der eine sich in den Graben stürzte und unter Wasser weiter rann, paßt so lange auf eine Krähe, bis sie einsah, daß sie hier keine Ruhe findet, und grault schließlich auch die alte Satzhäsin aus seinem Bereiche. Und dann meint er, daß er auch ein wenig an sich selber denken müsse, einmal, weil es ihn hungert, und dann, um sich seiner Familie zu erhalten.

Aber wie er gerade so in schwankem Fluge über das Brandmoor hinwegtaumelt, da sieht er, man sollte es nicht denken, auf einem Kiefernstubben einen Fleck, einen roten Fleck, einen verdächtigen Fleck, einen sehr verdächtigen, äußerst verdächtigen Fleck, einen Fleck, der ihm viel zu haarig vorkommt, als daß es ein roter Wacholderbusch sein könnte; und darum schwenkt er sich nieder, gewahrt, was es ist, hebt sich, stößt wieder hinab und schreit: »Kuwitt, der Fuchs, pfui, der Lump, willst du fort, du Hund, hui, weg, du krummer Hund, hui pfui, Kuwitt!«

Da steht auch Blankchen auf, und legt los; na, und wenn die den Schnabel so richtig auftut, dann bekommt es nicht nur ihr lieber Mann Blitz mit der hellen Angst und schweren Not, sondern sogar Reineke Rotvoß, der Räuber, Gaudieb und Buschklepper. Erst tut er so, als ginge ihn das Geschimpfe und Geschebbel so gut wie gar nichts an; mit der Zeit wird es ihm aber zu dumm und er denkt einen Augenblick daran, aufzuspringen und einen von den Schreihälsen an dem Kragen zu packen, gibt diesen Gedanken aber sofort auf, denn er weiß aus Erfahrung, daß es ihm ein jedes einzige Mal scheußlich vorbeigelungen ist.

So reckt er sich, streckt er sich, gähnt mit dem Fange, dehnt seinen Rücken, um nicht den Anschein zu erwecken, als kniffe er vor den Kiebitzen aus, flöht sich ein wenig, schubbt sich ein Weilchen, und dann macht er, daß er fortkommt, verfolgt über das Moor und die Heide bis dicht vor die Dickung von Blitz und Blank, des Moores getreulichen Wächtern.

Irrungen, Wirrungen [Auszug] (Theodor Fontane)

Unmittelbar hinter dem Schutthaufen bog der Pfad nach links hin ab und mündete gleich danach in einen etwas größeren Feldweg ein, dessen Pappelweiden eben blühten und ihre flockenartigen Kätzchen über die Wiese hin ausstreuten, auf der sie nun wie gezupfte Watte dalagen.

»Sieh, Lene«, sagte Frau Dörr, »weißt du denn, daß sie jetzt Betten damit stopfen, ganz wie mit Federn? Und sie nennen es Waldwolle.«

»Ja, ich weiß, Frau Dörr. Und ich freue mich immer, wenn die Leute so was ausfinden und sich zunutze machen. Aber für Sie wär‘ es nichts.«

»Nein, Lene, für mich wär‘ es nich. Da hast du recht. Ich bin so mehr fürs Feste, für Pferdehaar und Sprungfedern, und wenn es denn so wuppt…«
»O ja«, sagte Lene, der diese Beschreibung etwas ängstlich zu werden anfing. »Ich fürchte bloß, daß wir Regen kriegen. Hören Sie nur die Frösche, Frau Dörr.«

»Ja, die Poggen«, bestätigte diese. »Nachts ist es mitunter ein Gequake, daß man nicht schlafen kann. Und woher kommt es? Weil hier alles Sumpf is und bloß so tut, als ob es Wiese wäre. Sieh doch den Tümpel an, wo der Storch steht und kuckt gerade hierher. Na, nach mir sieht er nich. Da könnt‘ er lange sehn. Und is auch recht gut so.«

»Wir müssen am Ende doch wohl umkehren«, sagte Lene verlegen, und eigentlich nur, um etwas zu sagen.

»I bewahre«, lachte Frau Dörr. »Nun erst recht nich, Lene; du wirst dich doch nich graulen und noch dazu vor so was. Adebar, du Guter, bring mir… Oder soll ich lieber singen: Adebar, du Bester?«

So ging es noch eine Weile weiter, denn Frau Dörr brauchte Zeit, um von einem solchen Lieblingsthema wieder loszukommen.