Die Begriffe histoire und discours gehen auf den Linguisten Tzvetan Todorov zurück und umfassen zwei Ebenen des Erzählens. Es geht darum, dass der narrative Text aus zwei Ebenen besteht, die sehr eng aufeinander bezogen sind. Die eine beschreibt die Abfolge von Zeichen, also den Text selbst. Diese wird als discours bezeichnet. Dieser Text erzählt eine Geschichte, die histoire.
Die wesentliche Unterscheidung liegt also zwischen histoire und discours. Die Ebene der histoire umfasst ein reales oder fiktives Geschehen und zeigt demnach, was passiert. Die Ebene des discours umfasst somit alle Elemente, die diese Geschichte vermitteln, es geht also darum, wie die Geschichte erzählt wird.
Die histoire ist somit die chronologische Auflistung aller Inhalte, die dem Empänger (Leser, Rezipient) innerhalb des discours vermittelt werden. Im Gegensatz dazu ist die Vermittlung im discours aber sehr häufig nicht linear, also nicht chronologisch, sondern von Rückblenden und Vorwegnahmen geprägt.
Wie beschrieben, gehen diese Begriffe auf Tzvetan Todorov zurück. Den Begriff der histoire nutzte allerdings erstmalig Émile Benveniste, ein französischer Linguist. Todorov bezieht sich hierbei jedoch nicht nur auf den ursprünglichen Begriff, sondern lässt außerdem Ideen von Boris Tomaševski einfließen. Dieses Wissen ist wichtig, da die Begrifflichkeiten in der Literaturwissenschaft sehr häufig verschwimmen.
Hinweis: Die Entstehungsgeschichte der Begriffe histoire und discours ist verworren. Das liegt vor allem darin begründet, dass beinahe zeitgleich verschiedene Bezeichnungen für ähnliche Inhalte geschaffen wurden, die miteinander vermengt wurden. Deshalb ist eine Unterscheidung sinnvoll.
Unterschied: discours, histoire, fabula und sujet
In der Literaturwissenschaft gibt es im Zusammenhang mit dem Erzählen viele Begrifflichkeiten. Um die Differenzierung zu ermöglichen, macht es Sinn, auf die Ursprünge und Grundgedanken der einzelnen Begriffe zu schauen. Deshalb folgt nun eine Unterscheidung zwischen discours, histoire, fabula und sujet, wobei die Begriffe story und plot gestriffen werden.
Der russische Formalismus betrachtete, um die Literarizität von Werken zu bewerten, die poetische Sprache des Textes (Material) sowie die Form (Struktur). Im Zuge der Formalen Schule tauchten die Begriffe fabula und sjužet auf. Die künstlerische Konstruktion eines Erzähltextes wurde als sjužet, wobei die Geschichte, ganz unabhängig von ihrer Darstellung, als fabula bezeichnet wurde.
Innerhalb der Formalen Schule war es Viktor Borisovič Šklovskij, der diese Unterscheidung vornahm. Für ihn war die fabula das Material, mit dem das sjužet geformt wurde. Boris Viktorovič Tomaševskij verwendete die Begriffe in der Folge in seiner Theorie der Literatur (1925), welches sich in der Wissenschaft etablieren konnte. Im Deutschen werden die Begriffe übrigens als Fabel und Sujet verwendet.
- Fabula nach Tomaševskij (engl. story):
- Sämtliche Ereignisse und Motive in der kausal-temporalen, logischen Verbindung
- unabhängig und somit autonom von der jeweiligen Art der Darstellung
- Sujet nach Tomaševskij (engl. plot):
- Motive der Fabel, allerdings in der Ordnung und Verknüpfung, wie im Werk gegeben
- tangiert die jeweilige Art der Darstellung einer Geschichte
- zu dieser Darstellungsweise gehören:
- 1. Struktur der Zeit als Abfolge von Ereignissen
- 2. Struktur des Raumes
- 3. Wahl der Erzählperspektive
Der Strukturalist Tzvetan Todorov prägte in seinem Aufsatz Les catégorie du récit littéraire (1966) die Begriffe histoire und discours, wobei er sich ganz eindeutig auf die Begriffe fabula und sujet bezieht. Das Knifflige ist hierbei, dass er die Begriffe von seinem französischen Kollegen Émile Benveniste leiht und außerdem durch einige Aspekte der fabula und des sujets anreichert.
Todorov trennt hierbei grundsätzlich zwischen dem Was und dem Wie des Erzählens. Wie etwas erzählt wird, kann unter dem Begriff discours gefasst werden, wohingegen das Was der histoire überlassen wird. Hierbei sehen wir Parallelen zwischen histoire und fabula sowie zwischen discours und sujet. Nichtsdestotrotz sind die Begriffe nicht gänzlich deckungsgleich, auch wenn sie oftmals synonym verwendet werden.
- histoire nach Todorov:
- Die histoire kann unterschiedliche erzählt werden. Die histoire meint demnach die tatsächliche Geschichte, die erzählt wird, vollkommen unabhängig von ihrer Darstellungsweise
- Die histoire ist ein Abstraktum: sie existiert nicht an sich; sie ist in dieser Form nicht existent
- Die histoire ruft eine Realität mit Ereignissen und Figuren hervor
- Diese Ereignisse (Handlung) und die Figuren, aber natürlich auch die Beziehung der Figuren untereinander (Figurenkonstellation), folgen bestimmten Gesetzmäßigkeiten
- Solche Gesetze bestimmen die Realität der Figuren der erzählten Welt (Diegese) und sind demnach für alle Figuren der Erzählung wirksam und verpflichtend
- Schlussfolgerung: Nach Todorov ist die histoire
- a) … die Geschichte unabhängig von ihrer Darstellungsweise. Diese ist jedoch ein Abstraktum, das keine an sich existierende Größe darstellt (Die Begründung ist, dass jeder Inhalt schon einmal von irgendwem in irgendeiner Form erzählt wurde und somit als discours bereits vorliegt)
- b) … die erzählte Welt eines Werkes. Zu dieser Welt gehören die Personen und die Gesetze (Regeln), die deren Leben innerhalb der Erzählung bestimmen sowie die Handlung.
- discours nach Todorov:
- Der discours meint die Art und Weise, wie der Erzähler die Ereignisse dem Rezipienten vermittelt
- Der discours umfasst:
- Erzählaspekte: Es geht darum, was der Erzähler weiß. Weiß der Erzähler mehr oder weniger als die Figuren seiner Welt? (bei Genette wird dies mit dem Begriff Fokalisierung bezeichnet.)
- Erzählmodus: Wer nimmt die Geschichte wahr? Verhältnis zwischen Erzählerrede und Figurenrede sowie Erzählperspektive, was wird gezeigt und was gesagt? (bei Genette heißt dies Distanz, er unterscheidet zwischen narrativer, transponierter und dramatischer Rede. Fokalisierung und Distanz werden dann unter dem Begriff Modus zusammengefasst.)
- Zeitstruktur und Unterschiede der Geschichte in Bezug auf histoire und discours
- Schlussfolgerung: Nach Todorov ist der discours
- a) … die Darstellungsweise einer Geschichte; wie wird diese also erzählt
- b) … das bezieht sich auf die Erzählaspekte (Fokalisierung), den Erzählmodus sowie die Zeitstruktur
- c) … ein Konstrukt für das der Erzähler verantwortlich ist. Somit ist dieser ein Teil des discours selbst.
- Hinweis: Der Erzähler wird bei Todorov zu einem wesentlichen Element, das selbst discours enthalten ist. Das liegt darin begründet, dass der Erzähler nicht nur eine Sicht auf die Dinge preisgibt (Fokalisierung) und es durch Zeigen und Sagen vermittelt, sondern eben daran, dass er die einzelnen Ereignisse auch ordnet, also in die Reihenfolge bringt, in der er sie dem Leser zeigt (Zeitstruktur).
Wichtig ist demnach, dass histoire und discours nicht gänzlich deckungsgleich zu fabula und sujet sind, auch wenn es Ähnlichkeiten zwischen den Elemente gibt.
Eine weitere Form der Unterscheidung wäre übrigens die Trennung in Story und Plot, wobei die Story die chronologische Abfolge von Ereignissen meint, wobei der Plot außerdem die kausalen Zusammenhänge und Beweggründe aufzeigt. Die Unterscheidung geht auf E.M. Foster zurück, einem englischen Erzähler.
- Der Begriff histoire geht auf den Linguisten Tzvetan Todorov zurück, wobei er unmittelbar mit dem discours verbunden ist. Die histoire meint dabei grundsätzlich, was erzählt wird, wohingegen der discours darüber Auskunft gibt, wie erzählt wird.
- Laut Todorov ist die histoire die eigentliche Geschichte, gänzlich unabhängig von der Art und Weise ihrer Darstellung, wobei diese nur eine abstrakte und nicht an sich existierende Größe ist.
- Außerdem ist die histoire die erzählte Welt eines Textes, wobei die Realität dieser durch die histoire hervorgerufen wurde. Zu dieser erzählten Welt gehört die Handlung sowie die Personen und die Regeln / Gesetze, die deren Leben innerhalb der Geschichte bestimmen.
- Das Verhältnis aus histoire und discours bestimmt die Erzählzeit eines Werkes. Die Erzählzeit meint die Zeit, die ein Leser tatsächlich benötigt, um einen Text zu lesen. Ist der discours also umfangreich, ist die Erzählzeit natürlich länger.