Einleitung
Das Brot ist eine Kurzgeschichte des Nachkriegsschriftstellers Wolfgang Borchert. Sie wurde zum ersten Mal in der Hamburger Freien Presse am 13. November 1946 veröffentlicht.
Unter Verwendung des Hunger-Motivs gelingt es dem Schriftsteller, ein beispielhaftes Stück Literatur nach Ende des Zweiten Weltkriegs zu schreiben. Das zentrale Thema des Textes ist die vorherrschende Nahrungsmittelknappheit, aus deren Folge sich die Protagonisten der Geschichte – das dargestellte Ehepaar – in einer Alltagssituation anlügt.
Die Kurzgeschichte handelt von einer nächtlichen Begegnung eines Ehepaars. Obwohl die Frau weiß, dass ihr Mann heimlich Brot gegessen hat, wird der Hunger nicht zur Sprache gebracht. Am nächsten Abend bietet die Frau ihrem Mann in einer rührenden Geste eine zusätzliche Schreibe Brot von ihrem eigenen Teller an und behauptet, dass sie das Brot am Abend eh nicht vertrage.
Inhaltsangabe
Mitten in der Nacht wacht eine Frau auf. Sie hört Geräusche aus der Küche („Plötzlich wachte sie auf. Es war halb drei. Sie überlegte, warum sie aufgewacht war. Ach so! In der Küche hatte jemand gegen einen Stuhl gestoßen.“). Sie merkt, dass ihr Mann nicht im Bett liegt. Sie geht also in die Küche, schaltet das Licht an und sieht ihren Mann. Auf dem Brotteller sieht die Frau ein paar Krümel („Sie sah etwas Weißes am Küchenschrank stehen. Sie machte Licht. Sie standen sich im Hemd gegenüber. Nachts. Um halb drei. In der Küche. Auf dem Küchentisch stand der Brotteller. Sie sah, dass er sich Brot abgeschnitten hatte. Das Messer lag noch neben dem Teller. Und auf der Decke lagen Brotkrümel.“).
Doch anstatt zuzugeben, dass er etwas von dem Brot gegessen hat, sagt der Mann, dass er auch ein Geräusch gehört hat („Ich hab auch was gehört. Aber es war wohl nichts.“). Daraufhin säubert die Frau den Brotteller und ist enttäuscht, dass ihr Mann sie nach 39 Jahren Ehe anlügt. Er ist 63 Jahre und sie finden beide gegenseitig, dass ihr Partner alt aussieht.
Um ihren Mann nicht bloßzustellen, lässt sich die Frau auf das Spiel ein. Sie stellt ihren Mann wegen des gegessenen Brots nicht zur Rede. In der Folge entsteht ein verlegenes Gespräch zwischen den beiden Eheleuten, das zu dem Schluss kommt, dass die Dachrinne die Geräusche verursacht haben muss: „Ja, Wind war schon die ganze Nacht. Es war wohl die Dachrinne.“
Schließlich gehen die Eheleute wieder zu Bett. Dort hört die Frau ihren Mann langsam kauen („Nach vielen Minuten hörte sie, dass er leise und vorsichtig kaute. Sie atmete absichtlich tief und gleichmäßig, damit er nicht merken sollte, dass sie noch wach war. Aber sein Kauen war so regelmäßig, dass sie davon langsam einschlief.“)
Am nächsten Abend kommt die Frau nach Hause und bietet ihrem Mann eine zusätzliche Scheibe Brot an. Zuerst möchte ihr Mann die zusätzliche Scheibe nicht annehmen, doch seine Frau überredet ihn mit der Begründung, dass sie Abends das Brot nicht vertrage. Es dauert lange, bis sie einen Blickkontakt herstellen. Der Mann tut seiner Frau leid.
Stil und Sprache
Die Kurzgeschichte ist kurz und knapp erzählt. Die Geschichte funktioniert hauptsächlich über Hauptsätze, die das alltägliche Geschehen betonen. „Plötzlich wachte sie auf. Es war halb drei. Sie überlegte, warum sie aufgewacht war. Ach so! In der Küche hatte jemand gegen einen Stuhl gestoßen. Sie horchte nach der Küche. Es war still.“ Dies wird als parataktischer oder Stakkato-Stil bezeichnet.
Die Kurzgeschichte beginnt unmittelbar mit dem Aufwachen der Frau und wird durch die Wahrnehmung des Geräusches – das nur berichtet wird – auf die Küche gelenkt. Es entsteht Spannung. Der folgende Dialog mit dem Ehemann führt den knappen Stil des Anfangs fort.
Dennoch wird die Ursache der nächtlichen Störung – der Brotdiebstahl – von dem Ehepaar nicht angesprochen. Stattdessen entwickelt sich ein Gespräch über Belanglosigkeiten, das das Eigentliche – den Hunger des Mannes – nicht anspricht. Weiterhin wiederholen sich Mann und Frau gegenseitig.
Insofern besteht eine offensichtliche Differenz zwischen dem nüchternen Stil der Erzählung und dem Aussparen der Wahrheit. Ganz grundsätzlich bricht der knappe Erzählstil mit den ästhetischen Anschauungen der Nazi-Zeit. Indem die Kurzgeschichte eine nahezu banale Alltagssituation auf eine knappe Weise zur Darstellung bringt, wird der Epochenbruch deutlich, den das Kriegsende für die Menschen bedeutete. Aus diesem Grund ist Wolfgang Borchert auch einer de bekanntesten Vertreter der Kahlschlagsliteratur (vgl. Literaturepochen).
Sonstiges
Es zählt zu einem der größten Vorzüge der Kurzgeschichte Das Brot, das sie die beschwerliche Alltagssituation nach dem Zweiten Weltkrieg auf beeindruckende Weise vermitteln kann.
Durch die Thematisierung des Hungers wird die herrschende Armut nach Kriegsende zur Schau gestellt. Da die Geschichte in dem Schlafzimmer und der Küche eines Ehepaars spielt, wird eine intime Nähe erzeugt, die die verheerenden Auswirkungen der Weltgeschichte auf das Individuum zeigt.
Wolfgang Borchert
Wolfgang Borchert (1921-1947) wurde in Hamburg-Eppendorf geboren und begann bereits in jungen Jahren Gedichte zu schreiben. Nach der Oberrealschule arbeitete Borchert als Buchhändler und engagierte sich als Schauspieler im Hamburger Thalia Theater.
Im Frühjahr 1940 kam der junge Borchert zum ersten Mal in Konflikt mit der NS-Staatsmacht und wurde von der Gestapo festgenommen. 1941 wurde der 20-jährige Borchert an der Ostfront eingesetzt, wurde aber zweimal wegen Wehrkraftzersetzung zur Haft verurteilt. Im März 1945 ergab sich seine Einheit in der Nähe von Frankfurt ohne Widerstand; Borchert entging der Gefangenschaft und kehrte schwer erkrankt nach Hamburg zurück.
In der Nachkriegszeit nahm Borchert die Schauspielerei wieder auf und schrieb in kurzer Zeit mehrere Kurzgeschichten sowie Erzählungen (gesammelt in den Bänden „An diesem Dienstag“ und „Die Hundeblume“; beide 1947) und außerdem das Drama Draußen vor der Tür, das zunächst als Hörspiel gesendet wurde. Das Hörspiel war erfolgreich und verschaffte Borchert eine plötzliche Berühmtheit.
Borchert starb am 20 November 1947 im Alter von 26 Jahren in einem Sanatorium in der Schweiz auf Grund einer während des Krieges zugezogenen Tuberkulose. Einen Tag später fand die Uraufführung von Draußen vor der Tür in den Hamburger Kammerspielen statt.