Akrostichon

Das Akrostichon ist eine Textform, die darauf fußt, dass die Anfangsbuchstaben oder die ersten Wörter respektive Silben aufeinanderfolgender Verse oder Strophen ein Wort, einen Satz oder eine Sinneinheit bilden. Prinzipiell kann das Akrostichon in Texten jeder literarischen Gattung auftauchen, begegnet uns jedoch vornehmlich in der Lyrik oder Liedern. Mitunter kann das Akrostichon aber auch als rhetorisches Stilmittel genutzt und verstanden werden.


Oftmals werden Akrosticha im Deutschunterricht der Grundschule verwendet, um einen Zugang zur kreativen Auseinandersetzung mit dem Schreiben zu schaffen. Dabei wird von den Schülern verlangt, Akrosticha zu bestimmten Leitthemen (Herbst, Ferien, Schule) anzufertigen und somit einfache Gedichte oder auch Reime zu verfassen. Ähnlich werden übrigens Haikus und Elfchen im Unterricht verwendet.

Hinweis: Der Begriff leitet sich aus dem Griechischen ab und ist eine Zusammensetzung von ‚ákros‘ und ’stíchos‘, was in etwa ‚Spitze‘ und ‚Vers‘ bedeutet. Akrostichon lässt sich demnach mit Spitze des Verses übersetzen. Die Übersetzung offenbart also recht deutlich, worum es grundsätzlich geht.

Beispiel für das Akrostichon, das auf Anfangsbuchstaben basiert
Wörter, Deutsch und Silbenlehre,
O rdnung, die sich stets vermehre.
R ichtig schreiben ist gefragt,
T oll formulieren angesagt.
W ichtig ist dabei ganz kla‘,
U rinstinkt und Kommata.
C hiasmen oder Parenthesen,
H yperbata und Antithesen
S ind des Dichters stille Ehren.

Das obige Beispiel für das Akrostichon haben wir kurzerhand selbst geschrieben. Dabei ist der Inhalt der Strophe nahezu nebensächlich, da es grundsätzlich um die Anfangsbuchstaben der einzelnen Verse geht, die ein eigenständiges Wort nachbilden: nämlich Wortwuchs, den Namen dieser Webseite.

Hinweis: Die Mehrzahl (Plural) der Stilfigur wird übrigens mit dem Wort Akrosticha ausgedrückt und nicht, wie sehr häufig angenommen, durch Akrostichi oder Akrostichons zum Ausdruck gebracht.

Akrosticha, Abecedarien und Akronyme

Das Akrostichon ähnelt weiteren Textformen und literarischen Erscheinungen, weshalb es auch häufig falsch benannt wird. Um das auszuschließen, möchten wir ähnliche Formen vorstellen.

  • Abecedarium: ist ein nach dem Alphabet strukturierter Text. Das bedeutet, dass die Anfänge von Versen, Strophen oder Kapiteln die Abfolge der einzelnen Buchstaben des Alphabets nachbilden.
  • Akronym: ist eine Abkürzungen oder ein Kurzwort, das aus den Anfangsbuchstaben mehrerer Wörter bestehen, wie beispielsweise EDV, LKW oder auch UFO (Unbekanntes FlugObjekt).
  • Mesostichon: meint eine Buchstabenfolge, die, senkrecht gelesen, einen Satz oder eben ein Wort ergibt. Der Unterschied zum Akrostichon ist, dass hierbei nicht die Anfangsbuchstaben genutzt werden, sondern der zweite, dritte Buchstabe usw. die Sinneinheit bilden
  • Telestichon: beschreibt grundsätzlich eine ähnliche Abfolge wie Mesostichon und Akrostichon. Allerdings ergeben hierbei die letzten Buchstaben, Wörter oder Endsilben den jeweiligen Satz.
  • Akroteleuton: ist die Verbindung von Mesostichon und Akrostichon oder auch die Verwendung mehrerer Akrosticha. Hierbei ergeben sowohl die Anfänge als auch die Enden oder die ersten Buchstaben des letzten Wortes der Zeilen eines Textes hintereinander und senkrecht gelesen einen Satz, ein Wort oder eine Sinneinheit. Das Stilmittel finden wir oft in der Barocklyrik.

Akrosticha als Steganographie

Akrosticha haben nicht nur als Textform oder Stilfiguren eine Bedeutung, sondern zählen als ein Mittel der Steganographie. Als Steganographie wird das Übermitteln von Informationen in einem Trägermedium bezeichnet. Mithilfe des Akrostichons wurden so Texte verschlüsselt.

Das Prinzip der Steganographie beruht darauf, dass ein Außenstehender nicht weiß, dass es sich dabei um eine steganographierte Botschaft handelt. Somit kann ein Akrostichon, wenn dem Empfänger der Botschaft klar ist, wie er sie zu entschlüsseln hat, als Transportmedium für geheime Botschaften dienen.

Hinweis: Natürlich sind alle möglichen Kombinationen aus Akrosticha, dem Akroleuton, Telesticha und Mesosticha denkbar. Wichtig ist hierbei nur, dass dem Empfänger die jeweilige Lesart bekannt ist.

Weitere Beispiele für das Akrostichon

Am besten lassen sich solche Sonderformen der Textgestaltung natürlich durch klare Beispiele verdeutlichen. Deshalb möchten wir Ihnen noch drei Beispiele für das Akrostichon vorstellen.


Ich hab O Gott von Hertzen grund /
Offtmals gewundscht die selig stund.
Hie von des Todes Leibe mein /
Abzscheiden vnd bey dir zu sein.
Nach deinem Wort bin ichs gewert /
Nu hab jch was mein Hertz begert.
Erlöst bin ich aus aller noth /
Sanfft ruhg ich hie in dir mein Gott /

Halte nicht zurück die Meinung!
Aus dem Herzen in die Welt
Laß getrost in die Erscheinung
Treten, was die wohl gefällt.
Strafe kühn das Geistig-Hohle,
Mach dich zu der Wahrheit Hort!
Alles dient dem Staat zum Wohle,
Und bei uns heißt die Parole:
Licht und Luft dem freien Wort!


Das obige Beispiel ist ein Gedicht von Johannes Beltzius. Lesen wir hierbei die ersten Buchstaben der Verse beider Strophen, ergibt sich die Botschaft IOHANNES HALTS MAUL, was einen direkten Bezug zum Vornamen des Autoren bildet und sich so auf das Geschriebene respektive den selbst Autor bezieht.

Hinweis: Wir sollten uns nicht daran stören, dass das J als I dargestellt wird. Diese Schreibweise war früher sehr verbreitet. Beispielsweise wurde der Jambus im Griechischen als Iambus bezeichnet.


Iesòus | Jesus
Christòs | Christus
Theòu | Gottes
Yiòs | Sohn
Sotèr | Erlöser

Dieses Akrostichon ist eines der bekanntesten Beispiele und der Ursprung für ein wichtiges Zeichen des Christentums. Fügen wir die hervorgehobenen Buchstaben zusammen, ergeben diese das griechische Wort für Fisch (ichthýs). Die Strophe bildet ein Bekenntnis zum Glauben, wobei der Fisch als christliches Erkennungszeichen gilt und auch in der heutigen Zeit als Symbol des Christentums verwendet wird.


Wer hat mich guoter her gelesen?
Ist ez ieman gewesen
Lebende in solcher wise,
Lobe er mich, des mich prise
Ez si man oder wip,
Habe er so getriuwen lip,
Ane velsche sol er mich
Lieben – daz ist friuntlich –
Mit süezer sinne stiure … (spricht Frau Aventiure)

Das Akrostichon stammt aus der Feder Rudolf von Ems‘, einem deutschen Epiker des Mittelalters. Die Strophe ist dem Werk Willehalm von Orlens entnommen. Dieses erzählt die Geschichte von Willehalm und Amelie, die zu den berühmtesten Liebespaaren des Mittelalters gehörten. Die Anfangsbuchstaben bilden hierbei den Namen WILLEHALM nach und sind somit ganz eindeutig als Akrostichon zu entlarven.

Das Wichtigste im Überblick

  • Das Akristichon ist eine Textart, die darauf basiert, das die Anfangsbuchstaben, ersten Silben oder Wörter in aufeinanderfolgenden Versen oder Strophen eine Sinneinheit bilden.
  • Folglich kann die Textform zum Verschlüsseln von Texten genutzt werden. Vor allem wenn sie mit Mesosticha und Telesticha kombiniert wird, ist die Botschaft meist nur zu deuten, wenn dem Empfänger der Nachricht das Vorgehen klar und der Schlüssel bekannt ist.
  • Mitunter wird das Akrostichon zu den rhetorischen Stilmitteln gezählt. Allerdings ist diese Zuordnung nur bedingt sinnvoll, da es allenfalls in der Schriftsprache deutlich zutage tritt.