Anekdote

Als Anekdote wird eine kurze Erzählung bezeichnet. Die Grundlage der Anekdote ist eine beachtliche oder bezeichnende Begebenheit, meist aus aus dem Leben einer (bekannten) Persönlichkeit. Dabei charakterisieren Anekdoten scharf die jeweilige Persönlichkeit, da sie exemplarisch wesentliche Merkmale der Person zur Schau stellen. Charakteristisch ist außerdem das pointierte Ende.


 

Begriff und Beispiele

Der Begriff leitet sich aus dem Griechischen ab (ἀνέκδοτον ~ anékdoton) und in etwa mit nicht herausgegeben übersetzen. Diese Übersetzung verweist auf den Ursprung des Wortes. Erstmalig gebrauchte Prokopios von Caesarea im 6. Jahrhundert das Wort, als er unter dem Titel Anekdota Klatsch- und Tratschgeschichten über Kaiser Justinian I. veröffentlichte. Diese wurden jedoch erst nach dem Ableben des Kaisers herausgegeben.

Dabei entstand der Eindruck, dass der Erzähler tatsächlich Einblicke in das kaiserliche Leben hatte und den Leser in dieses Wissen einweihte. Anekdoten wurden zumeist mündlich weitergegeben und dabei variiert, bis irgendwer sie tatsächlich aufschrieb. Anekdoten sind also inoffiziell und eigentlich nicht herausgegeben.


Im 18. Jahrhundert erzählte man sich dieses Gerücht über Marie Antoinette: Der Königin wurde vorgehalten, dass die Armen in Frankreich nicht genug Geld hätten, um sich Brot zu kaufen. Darauf soll Marie Antoinette geantwortet haben:Dann sollen sie eben Brioche [Gebäck] essen.“


Das obige Beispiel erfüllt die Merkmale der Anekdote. Es wird eine knappe Episode vorgestellt, die Marie Antoinette scharf charakterisiert. Denn wer so über das Volk spricht, ist arrogant und schert sich nicht um die Belange der einfachen Menschen. Außerdem wirkt die Geschichte so, als wäre der Erzählende tatsächlich dabei gewesen, wobei sich das Ganze auf das Wesentliche konzentriert und pointiert endet.


Ein Schwätzer trat an den Philosophen Sokrates heran und wünschte, von Sokrates Rhetorik zu lernen. Der weise Sokrates verlangte von ihm doppelt soviel Geld für die Lehrstunden wie von anderen. Der Schwätzer wollte wissen, warum. Die Antwort: „Weil ich dir sowohl Sprechen als auch Schweigen beibringen muss!“


Diese Anekdote ähnelt dem obigen Beispiel. Sie handelt ebenso von einer sehr bekannten Persönlichkeit, benennt ein mögliches Ereignis, das Sokrates charakterisiert und endet mit einer Pointe. In diesem Fall wird außerdem deutlich, dass das Genre durchaus mit dem Witz verwandt ist, der ähnlich aufgebaut ist.

Merkmale der Anekdote

Übersicht: Die wesentlichen Merkmale der Anekdote


    • Die Anekdote ist eine epische Kleinform und wird in der Regel in Form von Prosa ausgestaltet. Sie beinhaltet eine bemerkenswerte oder auch beachtliche Begebenheit aus dem Leben einer bekannten Person. Dieser Ausschnitt ist charakterisierend und endet meist pointiert.
    • Eigentlich wird die Anekdote mündliche weitergetragen, dabei variiert und somit verändert. Da Anekdoten allerdings sehr häufig aufgeschrieben werden oder eben doch von einem Autoren ersonnen werden, gibt es sie aber auch in Textform. Meist ist es aber nicht möglich, den tatsächlichen Urheber einer Anekdote ausfindig zu machen.
    • Anekdoten sind nicht unbedingt authentisch und entsprechen demzufolge nicht immer den Tatsachen. Allerdings werden sie gemeinhin als treffend bezeichnet, wenn ein markanter Wesenzug einer Person oder eine Situation sinngemäß wiedergegeben wird.
    • Im 18. Jahrhundert wurde die Anekdote sehr allgemeingültig verwendet. Hierbei ging es darum, das Individuum in den Mittelpunkt zu rücken und seine wesentlichen Charaktereigenschaften pointiert zu erfassen. In diesem Sinne ist auch ein Aphorismus von Friedrich Nietzsche zu verstehen:„Aus drei Anekdoten ist es möglich, das Bild eines Menschen zu geben.“.
    • Die literarische Qualität der Textsorte bemisst sich zudem an ihrem Inhalt und daran, ob sie charakteristisch ist. Weniger geht es um das Kunstvolle oder den Einsatz von Stilmitteln.

  • Hinweis: Verwandt ist die Anekdote mit dem Witz, der Fabel, dem Schwank, der Schnurre und teils der Zote. Anekdoten ähneln aufgrund ihres Aufbaus aber auch der Kurzgeschichte.

Wanderanekdoten

Das erste Beispiel handelte von Marie Antoinette, der Ehefrau des französischen Königs Ludwig XVI. und ihrem fehlenden Feingefühl in Bezug auf die verheerende Situation des Volkes. Die Geschichte wurde aber auch Maria Theresia von Österreich, der Frau von König Lugwid XIV., zugeschrieben.

Dieser Umstand zeigt ganz deutlich, dass Anekdoten nicht unbedingt wahr sein müssen. Sie können nämlich wandern und werden dann als Wanderanekdote bezeichnet. In diesem Zusammenhang kann somit eine Ähnlichkeit zum Ammenmärchen oder den modernen Sagen (urbane Legenden) hergestellt werden.

So kursiert in den USA seit Jahrzehnten die Geschichte, dass sich in der New Yorker Kanalisation Krokodile tummeln oder dass man jemanden kenne, der den Tempomaten in seinem Wohnmobil einschaltete, um sich dann einen Kaffee zu machen. In Deutschland gibt es dafür fast an jeder Schule einen Schüler, der beim Aufsatzthema Was ist für dich Mut? nur schrieb Das ist für mich Mut! und dafür eine Eins bekam.

Hinweis: Die letztgenannten Beispiele sind natürlich allesamt nicht wahr. Dennoch sind sie in ihrer Art anekdotisch, da sie eine besondere Begebenheit in wenigen Zügen schildern und pointiert enden.

Anekdoten als literarisches Genre

Heutzutage ist mit dem Begriff zumeist die mündliche Form gemeint. Allerdings gab es bereits in der griechischen Antike anekdotenhafte Erzählungen, die schriftlich fixiert wurden und uns auch heute noch erhalten sind. Zumeist wurden Personen des öffentlichen Lebens charakterisiert.

Ein wichtiger Vertreter des Genres ist der griechische Schriftsteller Plutarch, der vornehmlich philosophische und biografische Schriften veröffentlichte. In seinen Werken skizzierte er die vorgestellten Persönlichkeiten meist durch Anekdoten, wobei auch der eingangs erwähnte Prokopios von Caesarea die Gattung prägte.

Im Mittelalter wurden anekdotenhafte Geschichten zumeist genutzt, um religiöse Inhalte und hierbei vor allem Predigten so zu gestalten, dass sie authentischer wirkten. Weiterhin sind solche Einschübe für Chroniken und historische Schriften charakteristisch dieser Literaturepoche prägend.

Ab dem 14. Jahrhundert wurde es dann zunehmend populär, ganze Anekdotensammlungen anzufertigen und die Textsorte somit als eigenständiges literarisches Genre zu betrachten. Vor allem Giovanni Boccaccio, ein italienischer Schriftsteller, porträtiert mit scharfem Realismus und Witz die vielfältige Gesellschaft des 14. Jahrhunderts. Sein Werk Decamerone, eine Novellensammlung, ist mit pointierten Anekdoten gespickt.

Im Frankreich des 17. Jahrhunderts entwickelte sich dann die sogenannte Memoiren-Literatur. Sehr häufig sind die Autoren Adlige. die krtische Darstellungen der Epoche literarisch aufbereiten. Durchzogen ist diese Darstellung meist durch allerhand anekdotenhafte Geschichten. Als Wichtiges Beispiel kann Saint-Simons (1675 – 1755) Mémoires gelten, das detaillierte Geschichten über König und Hofstaat aufbereitet.

In Deutschland ist es der Schriftsteller Grimmelshausen, der exemplarisch das literarische Genre bedient. In seinem Simplicissimus wird anekdotenhaft und detailreich das Leben im Dreißigjährigen Krieg aufbereitet. Auch in diesem Roman ist es die Anekdote, die die Vielseitigkeit und Authentizität steigert.

Heinrich von Kleist ist es nun, der das anekdotenhafte Erzählen vollends im Literaturbetrieb verankert. Um das Jahr 1810 veröffentlicht er nämlich einige seiner Werke in den Berliner Abendblättern, eine Tageszeitung, die er selbst herausgab. Dennoch fanden die Geschichten großen Anklang und auch heute sind viele der Kleist’schen Anekdoten Klassiker. Nachfolgend eine kleine Auswahl aus der Feder Kleists.

Bach, als seine Frau starb

Bach, als seine Frau starb, sollte zum Begräbnis Anstalten machen. Der arme Mann war aber gewohnt, alles durch seine Frau besorgen zu lassen; dergestalt, daß da ein alter Bedienter kam, und ihm für Trauerflor, den er einkaufen wollte, Geld abforderte, er unter stillen Tränen, den Kopf auf einen Tisch gestützt, antwortete: »sagts meiner Frau.«

Herr Unzelmann 

Herr Unzelmann, der, seit einiger Zeit, in Königsberg Gastrollen gibt, soll zwar, welches das Entscheidende ist, dem Publiko daselbst sehr gefallen: mit den Kritikern aber (wie man auch aus der Königsberger Zeitung ersieht) und mit der Direktion viel zu schaffen haben. Man erzählt, daß ihm die Direktion verboten, zu improvisieren. Herr Unzelmann der jede Widerspenstigkeit haßt, fügte sich diesem Befehl: als aber ein Pferd, das man, bei der Darstellung eines Stücks, auf die Bühne gebracht hatte, inmitten der Bretter, zur großen Bestürzung es Publikums, Mist fallen ließ: wandte er sich plötzlich, indem er die Rede unterbrach, zu dem Pferde und spach: »Hat dir die Direktion nicht verboten, zu improvisieren?« – Worüber selbst die Direktion, wie man versichert, gelacht haben soll.

Ein Kapuziner

Ein Kapuziner begleitete einen Schwaben bei sehr regnichtem Wetter zum Galgen. Der Verurteilte klagte unterwegs mehrmal zu Gott, daß er, bei so schlechtem und unfreundlichem Wetter, einen so sauren Gang tun müsse. Der Kapuziner wollte ihn christlich trösten und sagte: du Lump, was klagst du viel, du brauchst doch bloß hinzugehen, ich aber muß, bei diesem Wetter, wieder zurück, denselben Weg. – Wer es empfunden hat, wie öde einem, auch selbst an einem schönen Tage, der Rückweg vom Richtplatz wird, der wird den Ausspruch des Kapuziners nicht so dumm finden.