Makame

Makame, auch Maqâma, ist der arabische Begriff für eine Versammlung von Gelehrten und Philosphen, die vornehmlich um Fragen der Grammatik kreist. Bei solchen Disputationen (vgl. Disput) trug zumeist der Gesprächspartner einen Sieg davon, der sich durch Wortwitz sowie Schlagfertigkeit auszeichnete. Aus den Gesprächen dieser Versammlungen entstand eine literarische Gattung in Prosa, welche von Reimen durchwachsen ist und ebenfalls als Makame bezeichnet wird. Eine Makame ist rhythmische Reimprosa, die sich durch Anspielungen und Wortspiele auszeichnet, aber von Sprichwörtern und Zitaten durchzogen ist. Sie umfasst mehrere Anekdoten, die vom gleichen Protagonisten handeln.


Begriff

Der Begriff geht auf das arabische Maqâma zurück, das sich mit Aufenthalt sowie Zusammenkunft übersetzen lässt. Demzufolge verweist bereits die Übersetzung des Wortes auf dessen ursprüngliche Bedeutung: eine Versammlung von Gelehrten sowie Philosophen. Die hebräische Literaturwissenschaft bezeichnet diese Gattung übrigens als Machberet (מחברת). Die Begriffe können demnach synonym gebraucht werden.

Als Begründer solcher Mekame gilt Badi‘ az-Zaman al-Hamadhani (908-1007), auch al-Hamadhani genannt, wobei als Vollender al-Hariri (1054-1122), ein Dichter und auch Grammatiker, gilt. Das Œuvre al-Hariris ist uns heute vornehmlich aufgrund der Nachdichtung seiner Makamen durch Friedrich Rückert (1788-1866), einem deutschen Dichter und Übersetzer, bekannt. In seinem Vorwort der Makâmen des Hariri gibt Rückert selbst eine Definition des Begriffs, wobei er ihn teils noch weiter fasst, als es gängige Lexika vorschlagen:


Makame bedeutet einen Ort, wo man sich aufhält und sich unterhält, dann eine Unterhaltung selbst, einen unterhaltenden Vortrag oder Aufsatz, nach unserer Art eine Erzählung oder Novelle. Mehrere dergleichen, über einen gemeinsamen Gegenstand und locker zu einem Ganzen zusammengereiht, bilden alsdann, was wir einen Roman nennen könnten, wie eben das genannte Werk einer ist […]

Die Form der Rede in allen Makamen ist gereimte Prosa, bei welcher im Deutschen zur Abteilung der Reimglieder die sonst ziemlich unnützen Gedankenstriche sind verwendet worden; eingeflochten sind zahlreiche Gedichte, wenigstens eins in jeder Makame, alle in der einförmigen orientalischen Reimweise, die unsere Leser vielleicht schon unter dem Namen Ghaselen kennen: jedes Gedicht, wie kurz oder wie lang es sei, ist auf einen einzigen Reim gebaut, der am Ende jeder aus zwei Zeilen bestehenden Strophe zum Vorschein kommt. (Aus: Die Makamen des Hairi, entstanden um 1890)


Beispiel: Makâmen des Hariri

Davon ausgehend, dass die wenigsten Leser des Arabischen mächtig sind, ergibt es keinen Sinn, die Originaltexte vorzustellen. Allerdings sind die Übersetzungen Rückerts tatsächlich sehr nahe am Original und bilden das grundsätzliche Prinzip ebendieser Textsorte ausgezeichnet nach.

Dabei lassen sich die wesentlichen Merkmale erkennen. So handelt es sich im Nachfolgenden eindeutig um eine Art der Prosa, also der ungebundenen Rede, die durch Reime und Verse, also der gebundenen Rede, durchzogen ist. Weiterhin wird der anekdotenhafte Charakter der kurzen Erzählung deutlich, da eingangs darauf verwiesen wird, dass der Ich-Erzähler, Hareth Ben Hemmam, eine kurze Geschichte erzählt.

<strong>Die Bibliothek von Basra.</strong> <em>(Beispiel klappt beim Klicken auf.)</em>

Die Bibliothek von Basra.
(Übersetzung nach F. Rückert)
Hareth Ben Hemmam erzählt:

Es trieb mich, seit ich die Kinder-Amulette abgebunden – und den männlichen Turban umgewunden, – ein Verlangen nach Bildung und Sitte, – die ich mit scharfem Ritte – ging suchen durch aller Länder Mitte, – daß sie mir würde zu einem Schmuck vor dem Volke, – vor Mittagsbrand zu einer Schattenwolke; – und so begierig war ich, auf ihrer Trift zu weiden – und mich in ihr Gewand zu kleiden, – daß ich fragte bei Hohen und Niedrigen, – Befreundeten und Widrigen, – wo ihre Spur mir möchte begegnen, – wo ihre Milde mich möchte segnen – mit Tröpfeln oder mit Regnen. – Und als ich nun kam nach Holwan – und hatte mich schon unter Menschen umgethan, – hatte gelernt, ihren Wert zu wägen – und sie zu erkennen nach ihren Geprägen; – fand ich daselbst den Abu Seid von Serug, der sich allerlei Stammbäume machte – und sich vielerlei Gewerbzweige erdachte, – bald sich gab für einen Sprößling von Sassan[1], – bald für einen Schößling der Königswurzel, von Ghassan[2], – heut im Gewand eines Poeten auftrat, – morgen den Mund eines Propheten aufthat, – hier erschien mit der Würde des Emirs – und dort mit der Bürde des Fakirs; – nur daß immer – in seinem wechselnden Farbenschimmer, – in seiner Verwandlungen Truggeflimmer – er sich zeigte sagenmundig, –redekundig, – witzig und bündig, – spitzig und fündig; – den nimmer ein Unfall brachte in Not, – dem immer ein Einfall stand zu Gebot; – der mit Reden jeden beschämte – und sich nach Gefallen allen bequemte. – Wegen seiner artigen Sitten – war er mit seinen Unarten wohl gelitten, – mit Eifer und mit Eifersucht, – von allen gesucht, – die seine Frucht einmal versucht; – und es scheute – jeder Gescheite – seines Blitzes Schläge – und kreuzte ihm nicht die Wege. – Ich hing an seines Mantels Saum, – berauscht von seiner Lippen süßem Schaum; – durch seine zauberhaften Eigenschaften – mußt‘ ich an ihm wie leibeigen haften.

Daß er lachte, war mein Licht, mir Aussicht war sein Angesicht;
Weggehaucht mein Unmut, wo ich taucht‘ in seiner Anmut Tau.
Lautenspiel sein Laut, Geselligkeit mit ihm Glückseligkeit,
Seine Stirne mein Gestirn, sein fröhlich’s Auge Frühlingsau.

So blieben wir zusammen eine Frist – und er schuf jeden Tag eine neue Lust und eine neue List; – seine Bekanntschaft – war mir mehr als eine ganze Verwandtschaft; – so ward ich durch seinen Umgang belehrt, – meiner Kenntnisse Umfang vermehrt – und der Zweifel dunkler Umhang aufgeklärt. – Da fing er an, hier des Erwerbs zu mangeln, – er mußte gehn, am anderen Wasser zu angeln, – es trieb ihn der Ausgang der Nahrung – zu Auszug und Straßenbefahrung, – zu streichen in andern Strichen, – weil hier die Jagdzeit verstrichen – und sein Glücksstern erblichen; – er förderte die Abfahrt und entwich, – ließ mich und nahm mein Herz mit sich.

Mir gefiel, seit er mir fehlte, nichts, worauf mein Auge fiel;
Seit es litt, daß er entglitten, floß von Leid mein Augenlid.
Wer zur Lust mich laden wollte, lud nur eine Last mir auf;
O! von denen, die ich fand, wie unterschied sich er, der schied!

So war er mir eine Zeitlang verschwunden, – ich hatte von ihm keine Kunden – und keine Bekannten gefunden. – Doch nach Jahren, als ich nun wandersatt – heimkehrte zu meiner Vaterstadt, – besuchte ich ihre Bibliothek, den Weisheitsschatz, – den Sammel- und Tummelplatz – gebildeter Männer, auserkorner, – fremder und eingeborner. – Da trat ein Mann ein, dessen Bart gesträubt war – und dessen Kleid bestäubt war; – der grüßte mit blitzenden – Augen die Sitzenden – und setzte munterst – sich ganz zu unterst. – Dann fing er an, herauszurücken – und die Versammelten zu entzücken – durch Redeschmuck – und Gewandtheit im Ausdruck. – Er begann seinen Nachbar zu fragen: – Welches Buch hast du da aufgeschlagen? – Dieser sprach: Den Diwan des Abu Obade[3] – der jetzt berühmt ist in hohem Grade. – Jener sprach: Und stießest du, so weit du lasest, auf etwas Rühmliches, – Neues, Blümliches? – Er sprach Ja! – der Vers da:

Gereihte Perlen decket auf dein Lächeln;
Aus Würzeblumen kommt des Odems Fächeln.

Denn das ist neu gedacht – und schön gemacht. – Da rief jener: O Wunder! – so liegt die Kunst unter. – Siehest du Geschwulst an für Fettigkeit? – oder Abzehrung für Nettigkeit? – Hast du deinen Atem gestohlen, – daß du blasest in tote Kohlen? – Wo ist deine Belesenheit, – daß du nicht kennst das berühmte Beit, – das alle Gleichnisse von Mund und Zahn zusammenreiht? – Worauf er hersagte:

Ich bin das Opfer eines Zahns, der duftig glänzt,
Der Klippe gleich, in Morgentau getauchet.
Die Perlenreihe lächelt, vom Rubin umgrenzt,
Der frischen Ruch von Würzeblumen hauchet.

Da lobten sie bis zur Übertreibung, – baten um Wiederholung und Niederschreibung, – fragten: Lebt oder ist erblaßt, – der das hat verfaßt?– Bescheiden sprach darauf der Gast: –»Die Wahrheit soll man bezeugen – und vom Rechte nicht beugen; – es ist der Mann, der mit euch spricht.« – Doch, als glaubten sie ihm die Vaterschaft nicht, – und als müss‘ er sich wahren vor Gefährde – und abwälzen des Argwohns Beschwerde, – ließ er den Koranspruch los: – »Mancher Verdacht ist ruchlos.« – Dann sprach er: O ihr edlen Lichter! – Dichterverdienstes Richter, – des Echten und Falschen Sichter. – Der Schmelztiegel bringt dem Gold nur Gewinst, – die Hand der Wahrheit zerreißt des Irrtums Gespinst. – Uns ist von den Alten – der Spruch aufbehalten: – Des Mannes Wert – wird durch Prüfung bewährt. – Ich geb‘ euch mein Reisebündel zur Schätzung, – mein Verborgnes zur Auseinandersetzung. – Da trat hervor – einer aus dem Chor – und sprach: Ich weiß ein Beit, so feines ward nicht gesponnen, – so reines geschöpft aus keinem Bronnen, – so ungemeines nie ersonnen. – Vermagst du von Vergleichungen gleiche Fäden zu spinnen – und sinnreiche Sinnbilder zu ersinnen, – so magst du hier den Preis gewinnen. – Und er sagte her:

Aus der Narzisse Perlen regnend, nässet sie
Die Ros‘, und Traubenbeer am Demant presset sie.

Da währte es keinen Augenwink, – und vortrug jener flink, – und sein Vortrag war nicht link:

Sie stand verhüllt vom Schleier feuerfarbnen Flors;
Ich sprach: Du sperrst den Zugang meines Lebensthors.
Sie nahm die Abendröt‘ hinweg vom Mond, und leis
Als Perle kam ihr Wort zur Muschel meines Ohrs.

Da staunten die Versammelten – und zu seinem Lobe sie stammelten. – Doch als er sah, daß er ihr Herz getroffen – und von ihnen könnte Ehre hoffen, – blickte er zu Boden und rief im Nu: – Da habt ihr noch zwei Verse dazu:

Der Abschied kam; sie stand im Schleier schwarzen Flors,
Mit Perlenspitzen nagend Spitzen Zuckerrohrs.
Die Nacht lag glänzend überm Tag, und beide trug
Ein schlankes Schilf, und nicht das Gleichgewicht verlor’s.

Da erkannten sie an ohne Hadern – die Fülle seiner Quelladern; – ihre Zweifel waren entkräftigt, – und nur ihn zu ehren waren sie jetzt beschäftigt. – Sie wußten nicht seinen Ruhm genug zu verbrämen; – er mußte sich schon bequemen, – ein Ehrenkleid von ihnen anzunehmen.

Der Berichter dieser Geschichte spricht: Wie ich sah seines Feuers Funken, – seiner Glanzlichter Prunken; – sucht‘ ich seine Mienen zu unterscheiden – und ließ meinen Blick auf seinem Antlitz weiden. – Und siehe, es war von Serug unser Scheich,– den ich nicht hatte erkannt sogleich, – weil in der dunkeln Nacht von seinem Haar – inzwischen Mondlicht geworden war. – Da wünscht‘ ich mir Glück, daß ich ihn fand, – und reicht‘ ihm die Hand; – sprechend: Beim Herrn der Unendlichkeit! – Was hat dich so verwandelt bis zur Unkenntlichkeit? – Was hat deines Hauptes Wälder gelichtet – und deine Wangen in Felder geschichtet? – Hätt‘ ich dich nicht erkannt an der schlauen Art, – nimmer hätt‘ ich dich erkannt am grauen Bart. – Da hub er an:

Grau macht die Zeit, die greuliche;
Trau nicht auf die untreuliche!
Sie lacht dir einen Augenblick
Und grinst dann, die abscheuliche.
Die Jahre führen übers Haupt
Dir manches Unerfreuliche.
Die Stürme rütteln dir am Haus,
Baufällig wird das Bäuliche.
Dein Auge trübt sich, ungetrübt
Blickt droben nur das Bläuliche.

Da hemmt‘ er sein Wort – und räumte den Ort – und nahm die Herzen mit sich fort.


  1. [1] Sassan der ältere, der Ahnherr Sassans des jüngeren und somit der vierten persischen Dynastie, der Sassaniden, ist in der Volkssage zum Stammvater und Oberhaupt der Bettler und Landstreicher geworden, die davon Sassans Kinder heißen, weil er, in der Jugend von seinem Vater Bahman (aus der zweiten persischen Dynastie, der Keianier) verstoßen, in die Gebirge zu den Kurden ging und mit einem Anhang von heimatlosem Gesindel, das sich um ihn versammelte, ein unstätes abenteuerliches Leben führte.
  2. [2] Eine Stadt in Syrien, von der ein volksberühmtes arabisches Königsgeschlecht den Namen trägt, das daselbst über vierhundert Jahre bis zum Anfang des Islams regierte.
  3. [3] Ein älterer arabischer Dichter, geboren 206 der Hedschra, der, wie es scheint, durch einen weichlichen, mehr persischen als arabischen Geschmack und besonders durch blumige weitgesuchte Schönheitsvergleichungen (erotische Kenningar) berühmt war, welche Liebhaberei hier Hariri gelinde verspottet.
Kurzübersicht: Das Wichtigste zur Makame im Überblick

  • Die Makame war ursprünglich eine Versammlung, bei der Philosphen, Gelehrte sowie literarisch Interessierte miteinander diskutierten. Sehr häufig kreisten solche Debatten um Regeln der Grammatik und gaben Anlass für heitere Disputationen. Als Gewinner einer solchen galt derjenige, der es verstand, mit Eloquenz, Schlagfertigkeit und Wortwitz zu begeistern.
  • Aus ebendiesen, teils kontroversen, Gesprächen, entwickelte sich eine eigenständige Gattung: die Makame. Als ihr Begründer gilt der Dichter al-Hamadhani, wobei sein Imitator, al-Hariri, als Vollender der Gattung gilt. Die Werke al-Hariris wurden von Friedrich Rückert übersetzt.
  • Die Makame ist in Prosa verfasst und von Reimen durchwachsen. Demnach kann sie durchaus als Reimprosa verstanden werden. Charakteristisch für die Textsorte sind ferner Wortspiele, Anspielungen, Sprichwörter sowie eingeflochtene Zitate anderer Dichter.
  • In der Regel erzählt in der Makame ein Ich-Erzähler, der anekdotenhaft von seinen Erlebnissen berichtet. Der Erzähler zeichnet sich durch Klugheit und Schlagfertigkeit aus. Durchaus können die Protagonisten als arabische Pendants des deutschen Till Eulenspiegels oder des Nasreddin Hocas des türkisch-islamisch beeinflussten Raums gelten.

  • Hinweis: Verwandt ist die Textsorte mit dem Schwank sowie der Lügengeschichte, kann aber auch als ein Vorläufer des Schelmenromans gelten. Maßgeblich beeinflussten Makamen das arabische Drama des 19. und 20. Jahrhunderts.


Stichwortverzeichnis