Die Ringparabel ist ein zentraler Bestandteil des Ideendramas Nathan der Weise von Gotthold Ephraim Lessing. Als Parabel wird eine lehrhafte Textsorte bezeichnet, die durch den Empfänger (Leser, Hörer) entschlüsselt werden muss. Lessing übernahm die wesentlichen Inhalte der Ringparabel vom Dichter Giovanni Boccaccio, der die Idee bereits im 13. Jahrhundert in einer Erzählung formulierte. Ähnliche Gedanken finden sich aber ebenfalls im Werk Jans des Enikels und in der Gesta Romanorum, einer mittelalterlichen Textsammlung, wenngleich schon im 11. Jahrhundert auf der Iberischen Halbinsel (Spanien, Portugal) eine ähnliche Geschichte unter ansässigen Juden kursierte (vgl. Wandersage).
Inhaltsverzeichnis
Inhalt und Text
Grundsätzlich geht es bei Lessing sowie seinen Hauptquellen stets um eine Familientradition, bei der durch den Vater ein Ring an den liebsten Sohn weitergegeben wird, wodurch erklärt wird, wer das Erbe des Vaters beanspruchen darf. Irgendwann findet diese Tradition allerdings immer ein Ende, da es einen Vater gibt, der all seine Söhne gleichermaßen liebt und jedem einen nachgemachten, also identischen, Ring anvertraut.
Bei Lessing findet sich diese Geschichte nun in abgewandelter Form im siebenten Auftritt des dritten Akts im Drama Nathan der Weise. Hierbei wird Nathan zum Sultan gerufen und von diesem befragt, welche der drei Weltreligionen die einzig wahre für ihn sei. Nathan antwortet dem Sultan mit der bekannten Ringparabel.
Ein Mann besitzt ein Familienerbstück, einen Ring, der die Eigenschaft hat, seinen Träger vor Gott und den Menschen angenehm zu machen, wenn der Besitzer ihn in dieser Zuversicht trägt. Dieser Ring wurde über viele Generationen vom Vater an den Sohn vererbt, den er am meisten liebte. Eines Tages tritt der Fall ein, dass ein Vater drei Söhne hat und keinen von ihnen bevorzugen will. Deshalb lässt er sich exakte Kopien des Ringes herstellen und vererbt jedem seiner Söhne einen dieser Ringe.
Nach dem Tode des Vaters ziehen die Söhne vor Gericht, um klären zu lassen, welcher von den drei Ringen der echte sei. Der Richter ist aber außerstande, das zu ermitteln, da sich die Ringe vollends gleichen. So erinnert er die drei Männer daran, dass der echte Ring die Eigenschaft habe, den Träger bei anderen Menschen beliebt zu machen. Wenn dieser Effekt bei keinem eingetreten sei, dann ist der echte Ring wohl verloren gegangen.
Der Richter gibt den Söhnen den Rat, jeder von ihnen solle daran glauben, dass sein Ring der echte sei. Ihr Vater habe alle drei gleich gern gehabt und es deshalb nicht ertragen können, einen von ihnen zu begünstigen und die beiden anderen zu kränken, so wie es die Tradition eigentlich erfordert hätte. Wenn einer der Ringe der echte sei, dann werde sich dies in der Zukunft an der ihm nachgesagten Wirkung zeigen. Demzufolge sollten sich alle Ringträger bemühen, dass dieser Effekt eintritt.
Hinweis: Die sogenannte Ringparabel findet sich im siebenten Auftritt des dritten Aktes des Dramas Nathan der Weise. Nachfolgend finden Sie den kompletten siebenten Auftritt, um die Textstelle im Kontext lesen zu können. Die Passage, die die Ringparabel zeigt, ist farblich markiert.
SIEBENTER AUFTRITT
Saladin und Nathan.
Saladin.
(So ist das Feld hier rein!) – Ich komm dir doch
Nicht zu geschwind zurück? Du bist zu Rande
Mit deiner Überlegung. – Nun so rede!
Es hört uns keine Seele.
Nathan.
Möcht‘ auch doch
Die ganze Welt uns hören.
Saladin.
So gewiss
Ist Nathan seiner Sache? Ha! das nenn
Ich einen Weisen! Nie die Wahrheit zu
Verhehlen! für sie alles auf das Spiel
Zu setzen! Leib und Leben! Gut und Blut!
Nathan.
Ja! ja! wann’s nötig ist und nutzt.
Saladin.
Von nun
An darf ich hoffen, einen meiner Titel,
Verbesserer der Welt und des Gesetzes,
Mit Recht zu führen.
Nathan.
Traun, ein schöner Titel!
Doch, Sultan, eh‘ ich mich dir ganz vertraue,
Erlaubst du wohl, dir ein Geschichtchen zu
Erzählen?
Saladin.
Warum das nicht? Ich bin stets
Ein Freund gewesen von Geschichtchen, gut
Erzählt.
Nathan.
Ja, gut erzählen, das ist nun
Wohl eben meine Sache nicht.
Saladin.
Schon wieder
So stolz bescheiden? – Mach! erzähl, erzähle!
BEGINN DER RINGPARABEL
Nathan.
Vor grauen Jahren lebt‘ ein Mann in Osten,
Der einen Ring von unschätzbarem Wert
Aus lieber Hand besaß. Der Stein war ein
Opal, der hundert schöne Farben spielte,
Und hatte die geheime Kraft, vor Gott
Und Menschen angenehm zu machen, wer
In dieser Zuversicht ihn trug. Was Wunder,
Dass ihn der Mann in Osten darum nie
Vom Finger ließ; und die Verfügung traf,
Auf ewig ihn bei seinem Hause zu
Erhalten? Nämlich so. Er ließ den Ring
Von seinen Söhnen dem geliebtesten;
Und setzte fest, dass dieser wiederum
Den Ring von seinen Söhnen dem vermache,
Der ihm der liebste sei; und stets der liebste,
Ohn‘ Ansehn der Geburt, in Kraft allein
Des Rings, das Haupt, der Fürst des Hauses werde. –
Versteh mich, Sultan.
Saladin.
Ich versteh dich. Weiter!
Nathan.
So kam nun dieser Ring, von Sohn zu Sohn,
Auf einen Vater endlich von drei Söhnen;
Die alle drei ihm gleich gehorsam waren,
Die alle drei er folglich gleich zu lieben
Sich nicht entbrechen konnte. Nur von Zeit
Zu Zeit schien ihm bald der, bald dieser, bald
Der dritte, – sowie jeder sich mit ihm
Allein befand, und sein ergießend Herz‘
Die andern zwei nicht teilten, – würdiger
Des Ringes; den er denn auch einem jeden
Die fromme Schwachheit hatte, zu versprechen.
Das ging nun so, solang es ging. – Allein
Es kam zum Sterben, und der gute Vater
Kömmt in Verlegenheit. Es schmerzt ihn, zwei
Von seinen Söhnen, die sich auf sein Wort
Verlassen, so zu kränken. – Was zu tun? –
Er sendet in geheim zu einem Künstler,
Bei dem er, nach dem Muster seines Ringes,
Zwei andere bestellt, und weder Kosten
Noch Mühe sparen heißt, sie jenem gleich,
Vollkommen gleich zu machen. Das gelingt
Dem Künstler. Da er ihm die Ringe bringt,
Kann selbst der Vater seinen Musterring
Nicht unterscheiden. Froh und freudig ruft
Er seine Söhne, jeden insbesondre;
Gibt jedem insbesondre seinen Segen, –
Und seinen Ring, – und stirbt. – Du hörst doch, Sultan?
Saladin.
(der sich betroffen von ihm gewandt).
Ich hör, ich höre! – Komm mit deinem Märchen
Nur bald zu Ende. – Wird’s?
Nathan.
Ich bin zu Ende.
Denn was noch folgt, versteht sich ja von selbst. –
Kaum war der Vater tot, so kömmt ein jeder
Mit seinem Ring, und jeder will der Fürst
Des Hauses sein. Man untersucht, man zankt,
Man klagt. Umsonst; der rechte Ring war nicht
Erweislich; –
(nach einer Pause, in welcher er des
Sultans Antwort erwartet)
Fast so unerweislich, als
Uns itzt – der rechte Glaube.
Saladin.
Wie? das soll
Die Antwort sein auf meine Frage? . . .
Nathan.
Soll
Mich bloß entschuldigen, wenn ich die Ringe
Mir nicht getrau zu unterscheiden, die
Der Vater in der Absicht machen ließ,
Damit sie nicht zu unterscheiden wären.
Saladin.
Die Ringe! – Spiele nicht mit mir! – Ich dächte,
Dass die Religionen, die ich dir
Genannt, doch wohl zu unterscheiden wären.
Bis auf die Kleidung, bis auf Speis‘ und Trank!
Nathan.
Und nur von Seiten ihrer Gründe nicht. –
Denn gründen alle sich nicht auf Geschichte?
Geschrieben oder überliefert! – Und
Geschichte muss doch wohl allein auf Treu
Und Glauben angenommen werden? – Nicht? –
Nun, wessen Treu und Glauben zieht man denn
Am wenigsten in Zweifel? Doch der Seinen?
Doch deren Blut wir sind? doch deren, die
Von Kindheit an uns Proben ihrer Liebe
Gegeben? die uns nie getäuscht, als wo
Getäuscht zu werden uns heilsamer war? –
Wie kann ich meinen Vätern weniger
Als du den deinen glauben? Oder umgekehrt. –
Kann ich von dir verlangen, dass du deine
Vorfahren Lügen strafst, um meinen nicht
Zu widersprechen? Oder umgekehrt.
Das nämliche gilt von den Christen. Nicht? –
Saladin.
(Bei dem Lebendigen! Der Mann hat recht.
Ich muss verstummen.)
Nathan.
Lass auf unsre Ring‘
Uns wieder kommen. Wie gesagt: die Söhne
Verklagten sich; und jeder schwur dem Richter,
Unmittelbar aus seines Vaters Hand
Den Ring zu haben. – Wie auch wahr! – Nachdem
Er von ihm lange das Versprechen schon
Gehabt, des Ringes Vorrecht einmal zu
Genießen. – Wie nicht minder wahr! – Der Vater,
Beteu’rte jeder, könne gegen ihn
Nicht falsch gewesen sein; und eh‘ er dieses
Von ihm, von einem solchen lieben Vater,
Argwohnen lass‘: eh‘ müss‘ er seine Brüder,
So gern er sonst von ihnen nur das Beste
Bereit zu glauben sei, des falschen Spiels
Bezeihen; und er wolle die Verräter
Schon auszufinden wissen; sich schon rächen.
Saladin.
Und nun, der Richter? – Mich verlangt zu hören,
Was du den Richter sagen lässest. Sprich!
Nathan.
Der Richter sprach: Wenn ihr mir nun den Vater
Nicht bald zur Stelle schafft, so weis ich euch
Von meinem Stuhle. Denkt ihr, dass ich Rätsel
Zu lösen da bin? Oder harret ihr,
Bis dass der rechte Ring den Mund eröffne? –
Doch halt! Ich höre ja, der rechte Ring
Besitzt die Wunderkraft beliebt zu machen;
Vor Gott und Menschen angenehm. Das muss
Entscheiden! Denn die falschen Ringe werden
Doch das nicht können! – Nun; wen lieben zwei
Von Euch am meisten? – Macht, sagt an! Ihr schweigt?
Die Ringe wirken nur zurück? und nicht
Nach außen? Jeder liebt sich selber nur
Am meisten? – Oh, so seid ihr alle drei
Betrogene Betrüger! Eure Ringe
Sind alle drei nicht echt. Der echte Ring
Vermutlich ging verloren. Den Verlust
Zu bergen, zu ersetzen, ließ der Vater
Die drei für einen machen.
Saladin.
Herrlich! herrlich!
Nathan.
Und also, fuhr der Richter fort, wenn ihr
Nicht meinen Rat, statt meines Spruches, wollt:
Geht nur! – Mein Rat ist aber der: ihr nehmt
Die Sache völlig wie sie liegt. Hat von
Euch jeder seinen Ring von seinem Vater:
So glaube jeder sicher seinen Ring
Den echten. – Möglich; dass der Vater nun
Die Tyrannei des einen Rings nicht länger
In seinem Hause dulden wollen! – Und gewiss;
Dass er euch alle drei geliebt, und gleich
Geliebt: indem er zwei nicht drücken mögen,
Um einen zu begünstigen. – Wohlan!
Es eifre jeder seiner unbestochnen
Von Vorurteilen freien Liebe nach!
Es strebe von euch jeder um die Wette,
Die Kraft des Steins in seinem Ring‘ an Tag
Zu legen! komme dieser Kraft mit Sanftmut,
Mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohltun,
Mit innigster Ergebenheit in Gott
Zu Hilf‘! Und wenn sich dann der Steine Kräfte
Bei euern Kindes-Kindeskindern äußern:
So lad ich über tausend tausend Jahre
Sie wiederum vor diesen Stuhl. Da wird
Ein weisrer Mann auf diesem Stuhle sitzen
Als ich; und sprechen. Geht! – So sagte der
Bescheidne Richter.
ENDE DER RINGPARABEL
Saladin.
Gott! Gott!
Nathan.
Saladin,
Wenn du dich fühlest, dieser weisere
Versprochne Mann zu sein: . . .
Saladin.
(der auf ihn zustürzt und seine Hand er-
greift, die er bis zu Ende nicht wieder fahren lässt).
Ich Staub? Ich Nichts?
O Gott!
Nathan.
Was ist dir, Sultan?
Saladin.
Nathan, lieber Nathan! –
Die tausend tausend Jahre deines Richters
Sind noch nicht um. – Sein Richterstuhl ist nicht
Der meine. – Geh! – Geh! – Aber sei mein Freund.
Nathan.
Und weiter hätte Saladin mir nichts
Zu sagen?
Saladin.
Nichts.
Nathan.
Nichts?
Saladin.
Gar nichts. – Und warum?
Nathan.
Ich hätte noch Gelegenheit gewünscht,
Dir eine Bitte vorzutragen.
Saladin.
Braucht’s
Gelegenheit zu einer Bitte? – Rede!
Nathan.
Ich komm von einer weiten Reis‘, auf welcher
Ich Schulden eingetrieben. – Fast hab ich
Des baren Gelds zuviel. – Die Zeit beginnt
Bedenklich wiederum zu werden; – und
Ich weiß nicht recht, wo sicher damit hin. –
Da dacht‘ ich, ob nicht du vielleicht, – weil doch
Ein naher Krieg des Geldes immer mehr
Erfordert, – etwas brauchen könntest.
Saladin.
(ihm steif in die Augen sehend). Nathan! –
Ich will nicht fragen, ob Al-Hafi schon
Bei dir gewesen; – will nicht untersuchen,
Ob dich nicht sonst ein Argwohn treibt, mir dieses
Erbieten freierdings zu tun: . . .
Nathan.
Ein Argwohn?
Saladin.
Ich bin ihn wert. – Verzeih mir! – Denn was hilft’s?
Ich muss dir nur gestehen, – dass ich im
Begriffe war –
Nathan.
Doch nicht, das Nämliche
An mich zu suchen?
Saladin.
Allerdings.
Nathan.
So wär‘
Uns beiden ja geholfen! – Dass ich aber
Dir alle meine Barschaft nicht kann schicken,
Das macht der junge Tempelherr. Du kennst
Ihn ja. Ihm hab ich eine große Post
Vorher noch zu bezahlen.
Saladin.
Tempelherr?
Du wirst doch meine schlimmsten Feinde nicht
Mit deinem Geld auch unterstützen wollen?
Nathan.
Ich spreche von dem einen nur, dem du
Das Leben spartest . . .
Saladin.
Ah! woran erinnerst
Du mich! – Hab ich doch diesen Jüngling ganz
Vergessen! – Kennst du ihn? – Wo ist er?
Nathan.
Wie?
So weißt du nicht, wie viel von deiner Gnade
Für ihn, durch ihn auf mich geflossen? Er,
Er mit Gefahr des neu erhaltnen Lebens,
Hat meine Tochter aus dem Feu’r gerettet.
Saladin.
Er? Hat er das? – Ha! darnach sah er aus.
Das hätte traun mein Bruder auch getan,
Dem er so ähnelt! – Ist er denn noch hier?
So bring ihn her! – Ich habe meiner Schwester
Von diesem ihren Bruder, den sie nicht
Gekannt, so viel erzählet, dass ich sie
Sein Ebenbild doch auch muss sehen lassen! –
Geh, hol ihn! – Wie aus einer guten Tat,
Gebar sie auch schon bloße Leidenschaft,
Doch so viel andre gute Taten fließen!
Geh, hol ihn!
Nathan.
(indem er Saladins Hand fahren lässt).
Augenblicks! Und bei dem andern
Bleibt es doch auch?(Ab.)
Saladin.
Ah! dass ich meine Schwester
Nicht horchen lassen! – Zu ihr! zu ihr! – Denn
Wie soll ich alles das ihr nun erzählen?
(Ab von der andern Seite.)
Hinweis: Um die Lesbarkeit im Internet und auf mobilen Endgeräten zu erhöhen, wurde der obige Text leicht angepasst. Sämtliche Zeilenumbrüche des Originals blieben erhalten, doch wurden einige Sätze eingerückt.
Deutung der Ringparabel
Der Inhalt der Ringparabel ist schnell erzählt. Da der Text allerdings als Parabel oder auch Gleichnis zu werten ist, lässt er eine Deutung zu. Das entscheidende Merkmal einer Parabel ist die Unterteilung in eine Sachebene sowie in eine Bildebene. Die Bildebene ist das, was tatsächlich im Text erzählt, also dargestellt, wird, wohingegen die Sachebene das beinhaltet, was der Text eigentlich meint.
Die Bildebene einer Parabel ist folglich die Geschichte, die sie erzählt. Die Aufgabe des Lesers ist es nun, das sogenannte Tertium comparationis ausfindig zu machen. Dieses Tertium comparationis ist das Element einer erzählten Geschichte, das sich auf eine andere Situation übertragen lässt. Diese andere Situation wird als Sachebene der Parabel bezeichnet und ist demzufolge das, was mit ihr tatsächlich gemeint ist.
Das obige Schaubild verdeutlicht das Prinzip. Der linke Parabelast ist die Bildebene. Diese Bildebene ist es, was tatsächlich im Text erzählt wird. Die Aufgabe des Lesers ist es, das Tertium comparationis zu finden. Also den Punkt, den Bildebene und Sachebene gemeinsam haben, der sie also miteinander verbindet. Dadurch kann der Leser die Sachebene sehen und verstehen, was mit der Parabel gemeint ist.
Wird diese Herangehensweise nun auf die Ringparabel aus Lessings Drama übertragen, steht auf der linken Seite, also auf der Bildebene, die Geschichte vom Vater, der drei Söhne hat und allen einen Ring vererbt. Was damit tatsächlich gemeint ist, wird im Drama selbst erläutert, denn immerhin ist diese Geschichte Nathans Antwort auf die Frage, welche der drei Religionen die wahre sei. Folglich gibt es einen Zusammenhang.
Die Parabel kann nun dahingehend gedeutet werden, dass diese drei Ringe für die drei monotheistischen Weltreligionen (Judentum, Christentum und Islam) stehen und der Vater für einen liebenden Gott. Die Söhne wären hier die Anhänger der jeweiligen Religionen und Nathan der Richter, der keiner Religion einen Vorzug geben kann. Gott (Vater) liebt demnach alle Menschen (Söhne), vollkommen gleich, welcher Religion (Ring) sie angehören, wobei keine Religion die richtige ist, da sie sich in ihren Grundzügen gleichen.
Ringparabel und Aufklärung
Die Ringparabel, wie sie von Gotthold Ephraim Lessing in Nathan der Weise verarbeitet wurde, gilt als ein Schlüsseltext der Aufklärung, da sie pointiert auf die Toleranzidee verweist, wenn unterschiedliche Überzeugungen in Bezug auf die Religion als zulässig gelten. Schauen wir auf die Details.
Das wesentliche Merkmal der Aufklärung ist die Forderung, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, wie es der Philosoph Immanuel Kant in seinem Aufsatz Was ist Aufklärung? durchaus sehr treffend darstellt. Gemeint ist damit, dass das Denken und Handeln des Menschen nicht fremdbestimmt, sondern durch ganz vernünftige Entscheidungen gelenkt sein sollte. Wichtige Gedanken der Aufklärung waren außerdem die Hinwendung zu den Naturwissenschaften und das Fordern von religiöser Toleranz (vgl. Sapere aude!).
Diese religiöse Toleranz ist es nun, welche Lessing in seinem Werk und vor allem in der Ringparabel aufgreift. Denn dort wird einerseits auf ein vorurteilsfreies Denken verwiesen, wenn der Richter die drei Brüder dazu aufruft, ihrer vorurteilsfreien Liebe nachzugehen sowie andererseits die Richtigkeit aller anderen Ringe (Religionen) gefordert. Denn liebt sich [jeder] selber nur, so sind alle drei / Betrogene Betrüger.
Eine mögliche Deutung wäre also, dass jede Religion, die nur sich selbst akzeptiert und anderen Religionen ihre Existenzberechtigung abspricht, selbst nur Betrug wäre und selbst betrogen ist, wenn andere Religionen genau den gleichen Anspruch verfolgen. Es geht also um die Toleranz der Religionen sowie ihrer Anhänger untereinander. Dieser Gedanke ist aufklärerisch und auch aus heutiger Sicht absolut modern.
Da es in der Ringparabel unentscheidbar bleibt, welcher Ring denn der richtige ist, sollen ihre Träger, auf Anraten des Richters, versuchen, die Echtheit des eigenen Ringes unter Beweis zu stellen, was sich dadurch äußern sollte, dass sie unter den Menschen beliebter als die anderen wären. Entscheidend ist hierbei aber, dass dafür nicht alle Mittel recht erscheinen. Die Ringträger sollen mit Sanftmut, herzlicher Verträglichkeit, Wohltun und innigster Ergebenheit in Gott bei der Verbreitung ihrer Ansichten agieren.
In der Ringparabel wird demzufolge nicht nur eine religiöse Toleranz propagiert, sondern außerdem eine Art der religionsübergreifenden Humanität. Menschen sollen folglich die eigene Religion würdigen sowie nach außen bekunden, aber um deren Richtigkeit nur mit Wohlwollen und Sanftmut streiten und sich dabei mit anderen Religionen herzlich vertragen. Aufklärerisch ist hierbei weiterhin, dass es nicht zu beurteilen ist, welche Religion die richtige, also wahre, ist, weshalb es grundsätzlich keine richtige Religion gibt.
- Als Ringparabel wird gemeinhin eine kurze, lehrhafte Erzählung aus Gotthold Ephraim Lessing Drama Nathan der Weise bezeichnet. Jedoch wurde der Stoff schon vorher von verschiedenen Dichtern verarbeitet, welche Lessing als Hauptquellen dienten. So findet sich der Stoff unter anderem in einer Novelle des Il Novellino oder im Decamerone von Giovanni Boccaccio.
- Inhaltlich geht es in der Parabel um einen Ring, der die Fähigkeit besitzt, seinen Träger bei den Menschen angenehm zu machen, der immer vom Vater an den liebsten Sohn vererbt wird. Nun tritt aber der Fall ein, dass ein Vater seine drei Söhne gleichermaßen liebt und deshalb jedem Sohn eine Nachbildung des Ringes vererbt. Die Söhne suchen einen Richter auf, der ihnen helfen soll, den richtigen Ring zu finden. Doch auch dieser kann ihnen nicht helfen.
- Nathan, der die Ringparabel dem Sultan Saladin erzählt, verweist hierbei aber nur vordergründig auf die Geschichte um die drei Ringe (Bildebene) und beantwortet mit der Erzählung die Frage des Sultans, welche der drei Weltreligionen denn nun die richtige wäre (Sachebene). Das Ergebnis: keine der drei Religion ist richtiger oder wahrer als die andere.
- Dieser Grundgedanke, also die religiöse Toleranz oder auch die Religionsfreiheit des Einzelnen, die durch diese Idee kommuniziert wird, ist der Grund dafür, warum die Ringparabel als ein wichtiger Schlüsseltext der Aufklärung gilt (vgl. Literaturepochen).