Als Aposiopese wird ein rhetorisches Stilmittel bezeichnet, das in sämtlichen literarischen Gattungen auftauchen kann. Die Aposiopese meint das Abbrechen eines Satzes, bevor das Wesentliche gesagt wurde. Dieses muss durch den Empfänger selbst erschlossen werden. Das Stilmittel ist demzufolge eine Art der Brachylogie sowie eine Form der Ellipse und dient der Dynamisierung eines Dialogs.
Inhaltsverzeichnis
Begriff
Der Begriff lässt sich aus dem Griechischen ableiten (ἀποσιωπάω ~ aposiopao) und in etwa mit abbrechen oder verstummen übersetzen. Die Übersetzung verweist also darauf, worum es grundsätzlich geht: das Abbrechen eines Satzes [bevor das Wichtigste gesagt wurde]. Schauen wir dafür auf ein Beispiel.
Das obige Beispiel ist eine Aposiopese, weil der wesentliche Teil des Satzes fehlt, die Botschaft bleibt somit aus und die ausgesprochene Drohung ist leer. Die Leerstelle muss durch den Empfänger (Zuhörer, Leser) der Aussage erraten und selbständig ergänzt werden werden, wobei ersichtlich ist, welcher Inhalt fehlt. Der Satz ist außerdem eine Ellipse, da er grammatikalisch unvollständig ist. Schauen wir auf ein weiteres Beispiel.
Mit diesen kleinen Händen hätt ich ihn – ?
Das obige Beispiel ist dem Drama Penthesilea entnommen, einem Werk von Heinrich von Kleists. Hierbei zeigen die farbigen Markierungen die gesetzten Aposiopesen im Text. Diese Leerstellen durch den Empfänger selbständig ersetzt werden. Es wird deutlich, dass die Aposiopese vor allem in unaugesprochenen Drohungen auftaucht. Dennoch kann jeder Satzabbruch, der das Wesentliche verschweigt, als solche gelten.
Dieses Beispiel ist keine Drohung, sondern lediglich der Abbruch des Sprechenden. Der Satz klingt beinahe alltäglich. Dieser Umstand ist es auch, warum die Aposiopese in Texten oftmals genutzt wird, um die Aussage einer Figur umgangssprachlich und lebensnah erscheinen zu lassen (vgl. Figurenrede). Sie ist demnach ein wichtiges Stilmittel, um einen Dialog dynamischer, also schwunghafter, wirken zu lassen.
Nachfolgend finden Sie weitere Beispiele, um das Prinzip zu verdeutlichen. Die Auslassungen sind nicht kommentiert, wobei ersichtlich werden sollte, welcher Teil ausgelassen wurde.
- Kameraden! Dieser Brief- freut euch mit mir! (Schiller, Die Räuber)
- Der kann mich mal …
- Caesar kam, sah und …
- Wenn ich jetzt dort wäre …
- Warte nur, eines Tages finde ich dich und dann …
- Dir fehlt doch …
Apotropäische Aposiopese
Eine Sonderform des Stilfigur ist die apotropäische Aposiopese. Als apotropäisch werden Handlungen bezeichnet, die Dämonen oder Geister austreiben sollen. Im Zusammenhang mit der Stilfigur meint es den Umstand, dass der Name eines Gottes oder ähnlichem nicht benutzt wird, um Unheil abzuwenden.
Um ein Beispiel zu finden, können wir einen Blick auf die populäre Fantasy-Romanreihe Harry Potter werfen. Im Werk der englischen Autorin Joanne K. Rowling ist es Lord Voldemort, der die gesamte Zaubererwelt bedroht. Er ist das personifizierte Unheil und alle Figuren der erzählten Welt fürchten sich vor ihm.
Die Bewohner der magischen Welt ängstigen sich davor, den Namen des dunklen Magiers auszusprechen und vermeiden es, Voldemort zu sagen. Demnach wird bei einem solchen Satz das Wesentliche ausgelassen, also der Name des Zauberers, um Unheil abzuwenden: eine apotropäische Aposiopese.
Wirkung und Funktion der Aposiopese
Natürlich ist es schwierig, einem Stilmittel eine eindeutige Wirkung zuzuschreiben, die in jedem Fall korrekt ist. Dennoch hat eine Stilfigur einen Effekt auf den Leser und wurde aus einem bestimmten Grund verwendet. Es sollte allerdings geprüft werden, ob es sich tatsächlich so verhält.
- Die Aposiopese ist eine Sonderform der Ellipse. Sie beschreibt den Umstand, dass ein Satz oder ein Gedanke bewusst durch den Sprechenden abgebrochen wird, wobei das Wichtigste, also die eigentliche Aussage fehlt. Diese kann allerdings in jedem Fall durch den Empfänger ergänzt werden. Aposiopesen sind also dennoch verständlich.
- Sie dient dem Ausdruck von Affekten, also von Gemütsregungen und ist charakteristisch für die zornige, ergriffene, wütende oder staunende Figurenrede und dient der Ausdruckssteigerung.
- Oftmals soll sie einen Dialog dynamischer, also energievoller und lebhafter gestalten. Weiterhin durchbricht sie mit der starren Form der Sprache, weshalb sie umgangssprachlich wirken kann. Allerdings sind Aposiopesen oftmals durch Drohungen gekennzeichnet.
- Im naturalistischen Drama soll die Vielzahl solcher Satzabbrüche an die Alltagssprache erinnern, die sich sehr häufig durch Satzabbrüche sowie sprunghafte Äußerungen auszeichnet. Im Sturm und Drang sowie dem Expressionismus wurde die Aposiopese oftmals im Zusammenhang mit der Emphase gebraucht, einem Stilmittel, das durch die Betonung und den jeweiligen Kontext bestimmten Begriffen und Äußerungen eine neue, andere Bedeutung verleiht.