Das Polyptoton ist ein rhetorisches Stilmittel, das in literarischen Gattungen aller Art auftaucht. Das Polyptoton ist die Wiederholung eines Wortes in verschiedenen Flexionsformen (Beugungsformen). Das bedeutet, dass der Wortstamm des Wortes wiederholt wird, aber die angehängten Endungen verändert werden. Die Figur ähnelt demzufolge der Figura etymologica.
Der Begriff lässt sich aus dem Griechischen ableiten (πολύς ~ viel, πτῶσις ~ Fall, Kasus) und in etwa mit Vielfall übersetzen. Demzufolge zeigt uns schon die Übersetzung, worum es bei der Stilfigur geht: nämlich verschiedene Fälle [bei der Wiederholung eines Wortes]. Schauen wir dafür auf ein Beispiel.
Seine Meinung sagt er von seinem Jahrhundert, er sagt sie,
Nochmals sagt er sie laut, hat sie gesagt und geht ab.
Das obige Beispiel ist Schillers und Goethes Xenien entnommen, die im Jahr 1797 im Musenalmanach erschienen (→ Literaturepochen). In beiden Versen begegnet uns eine Flexionsform des Verbes sagen. Einmal im Präsens in der dritten Person Singular (sagt) und im zweiten Vers dann im Präteritum in der dritten Person Singular (hat gesagt).
Das Verb sagen wurde demnach in zwei verschiedenen Beugungsformen auf engstem Raum wiederholt. Diesen Umstand bezeichnet man als Polyptoton. Schauen wir noch auf ein weiteres Beispiel des Stilmittels.
Wer mancher Mann war,
Gäb mancher Mann
Manchem Mann
Manchmal ein Jahr.
Diese Strophe aus dem Volksmund ist durch die Wiederholung und Beugung des Pronomens sowie Zahlwortes manch interessant. Dieses wird in den ersten drei Versen gleich genutzt, aber dann in den folgenden Zeilen stark gebeugt, wobei der Wortstamm, also manch, stets erhalten bleibt. Auch diese Verwendung ist als polyptotonisch zu bezeichnen. Ein abschließendes Beispiel der Stilfigur:
sic hoc libro ad amicum amicissimus scripsi de amicitia.
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Wie ich damals einem Greise als Greis etwas über das Greisenalter dargelegt habe,
so in diesem Buch einem Freunde als engster Freund etwas über die Freundschaft.
Das obige Beispiel ist Ciceros Laelius de amicitia, einem philosophischen Werk über die Freundschaft, entnommen. Im Ausschnitt findet sich die Stilfigur gleich zweimal, einmal in der gebeugten Wiederholung des Freundes und außerdem beim Greis. Offensichtlich ist auch hierbei, dass der Wortstamm erhalten bleibt, weshalb wir erkennen können, dass das Polyptoton stets Mitglieder einer Wortfamilie betrifft.
Polyptoton und Figura etymologica
Zwar ähnelt das Stilmittel diversen Figuren, die auf dem Prinzip der Wortwiederholung beruhen, doch am ähnlichsten ist es der Figura etymologica, die ein Sonderfall des Polyptotons ist.
Die Figura etymologica beschreibt nämlich die unmittelbare Wiederholung zweier Wörter mit gleichem oder ähnlichem Wortstamm, die jedoch unterschiedlichen Wortarten angehören. In den meisten Fällen sind es Verb und Substantiv. Dafür findet sich ein schönes Beispiel in der dritten Strophe aus Goethes Erlkönig.
Gar schöne Spiele spiel ich mit dir;
Manch bunte Blumen sind an dem Strand;
Meine Mutter hat manch gülden Gewand.”
Hinweis: Prinzipiell geht es bei der Figura etymologica um Wortfolgen, die etymologisch verwandt sind und somit den gleichen Ursprung haben (Wortwurzel). In der Praxis werden jedoch meist nur gleiche Wortstämme erkannt, da der etymologische Zusammenhang beim Lesen in den meisten Fällen unklar oder kaum zu erahnen ist (Beispielsweise sind Herzog und Zeuge etymologisch verwandt).
Wirkung und Funktion des Polyptotons
Grundsätzlich ist es schwierig, einem Stilmittel eine ganz eindeutige Funktion oder Wirkweise zuzuschreiben. Hierbei laufen wir nämlich Gefahr, die Stilfigur stets darauf zu reduzieren und eben nicht darauf zu achten, ob es sich wirklich so verhält. Dennoch geben wir Hinweise.
- Das Polyptoton ist die Wiederholung mehrerer Wörter, die auf dem gleichen Wortstamm fußen und in verschiedenen Flexionsformen auftauchen. Demnach ist die etymologische Figur ein Sonderfall des Stilmittels.
- Wie alle anderen Figuren, die auf dem Wiederholen von Wörtern oder Wortfolgen basieren, kann das Polyptoton eine Aussage natürlich verstärken und somit die Eindringlichkeit einer Phrase erhöhen. Demnach kann die Aussagenintensität gesteigert werden.
- Der Sonderfall des Polyptotons, also die Figura etymologica, wird in der modernen Linguistik als kognates Objekt bezeichnet. Als kognates Objekt wird eine Phrase bezeichnet, deren nominaler Kern morphologisch und/oder semantisch mit dem regierenden Verb verwandt ist und ein Ereignis oder einen Zustand ausdrückt (Bsp.: Traum träumen ~ Verb drückt einen Zustand aus).