Bothwell

    1. Wie bebte Königin Marie,
    2. Als durchs geheime Pförtlein spat
    3. Mit ungebognem Haupt und Knie
    4. In ihr Gemach Graf Bothwell trat!

 

    1. Ihr schön Gesicht ward leichenweiß;
    2. Sie zuckt‘ und sah ihn fragend an:
    3. Er wischte von der Stirn den Schweiß
    4. Und sagte dumpf: »Es ist getan.

 

    1. »Es ist getan, dein süßer Mund
    2. War nicht für Buben solcher Art,
    3. Heut abend um die achte Stund‘
    4. Hielt Heinrich Darnley Himmelfahrt.« –

 

    1. Sie schrie empor: »Verzeih‘ dir Gott!
    2. Nimm all mein Gold, nimm hin und flieh!«
    3. Da lacht‘ er laut in grimmem Spott:
    4. »Was soll mir Gold für Blut, Marie?

 

    1. Ich liebe dich, und wenn ich mich
    2. Der Höll‘ ergab zu dieser Frist,
    3. So war’s um dich, allein um dich,
    4. Weil du der schönste Teufel bist.

 

    1. Die Hand, die einen König schlug,
    2. Greift auch nach einer Königin.«
    3. Er rief’s, und Graun in jedem Zug,
    4. Starr wie ein Wachsbild sank sie hin.

 

    1. Er hub sie auf; sie fühlt‘ es nicht,
    2. Daß ihr ins Fleisch sein Stahlhemd schnitt;
    3. Ihr lockig Haupthaar wallte dicht
    4. Um seine Schulter, wie er schritt.

 

    1. Er stieß den Ring an ihre Hand,
    2. Er schwang sie vor sich fest aufs Roß
    3. Und jagt‘ ins wetterschwüle Land
    4. Hinaus mit ihr gen Dunbar-Schloß.2

 

  1. Schwarz war die Nacht, als wäre rings
  2. Erloschen jeder Stern des Heils;
  3. Nur manchmal in den Wolken ging’s
  4. Gleichwie das Blitzen eines Beils.

[1] James Hepburn 4. Earl of Bothwell war Oberbefehlshaber des schottischen Grenzlandes, ein Geliebter der schottischen Königin Maria Stuart und später ihr dritter Gemahl. Er ließ den zweiten Gemahl der Königin, Lord Henry Darnley, am 10.2.1567 in Edinburgh ermorden.
[2] Dunbar-Castle war einst die stärkste Festung Schottlands.

Der oben stehende Gedichttext orientiert sich an der Schreibung Emanuel Geibels. Folglich haben wir die Rechtschreibung kaum angepasst und sämtliche Einrückungen des Autors beibehalten.

Erläuterungen

Hintergrund

Die Ballade Bothwell von Emanuel Geibel wurde im 19. Jahrhundert verfasst. Sie erzählt von der Ermordung Lord Darnleys durch James Hepburn, dem Earl von Bothwell, und die anschließende Flucht der Königin Maria Stuart und Bothwell gen Dunbart.

Maria Stuarts Leben, die wechselhaften Beziehungen und vor allem der Konflikt mit Königin Elisabeth I. von England ist seit ihrem Tod ein beliebter Stoff der Literatur. Eine der bekanntesten Beiträge lieferte Friedrich Schiller mit seinem Drama Maria Stuart 1800.

Da sich die Ballade an tatsächlichen Begebenheiten orientiert, kann sie als historische Ballade gelten (siehe: Balladenarten), wenngleich sie natürlich dennoch in Detailfragen fiktiv ist.

Analyse

Gedichtanalyse der äußeren Form
Gedichtart Historische Ballade
Strophen 9 Strophen mit je 4 Versen
Verse Insgesamt 36 Verszeilen aus ingesamt 221 Wörtern
Versmaß
(Metrum)
Kein durchgängiges Versmaß.
Reimschema Jede Strophe bietet einen Kreuzreim Das Reimschema von Bothwell ist somit abab (cdcd, efef usw.)
Reimformen Verse der Strophen durch reine Endreime verbunden
Zeitformen Präteritum


Stichwortverzeichnis