Der Panther

Im Jardin des Plantes, Paris

    1. Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
    2. so müd geworden, daß er nichts mehr hält.
    3. Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
    4. und hinter tausend Stäben keine Welt.

 

    1. Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
    2. der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
    3. ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
    4. in der betäubt ein großer Wille steht.

 

  1. Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
  2. sich lautlos auf –. Dann geht ein Bild hinein,
  3. geht durch der Glieder angespannte Stille –
  4. und hört im Herzen auf zu sein.

 

Erläuterungen

Hintergrund

Der Panther ist ein bekanntes Gedicht des Dichters Rainer Maria Rilke. Es gilt als Dinggedicht, da es einer stimmenlosen Sache – hier einem Panther – eine Stimme verleiht.

Der Panther, welcher zwischen 1902 und 1903 entstand, und erstmals in einer böhmischen Zeitschrift erschien, zählt zu den wichtigsten Werken Rilkes. Es wurde in zahlreiche Sprachen übertragen, häufig interpretiert und ist fester Bestandteil des Deutschunterrichts.

Rilke bezieht sich in seinem Werk wahrscheinlich auf einen eingesperrten Panther, den er im Jardin des Plantes gesehen hat.

Der Jardin des Plantes ist ein Botanischer Garten in Paris und wurde bereits 1626 angelegt und ist damit der älteste Bestandteil des Forschungsinstitutes für Naturwissenschaften Muséum national d’histoire naturelle.

Ursprünglich wurde der Garten für Heilkräuter genutzt, erhielt allerdings im Zuge der Französischen Revolution eine Ménagerie, also eine zoologische Abteilung.

Ein Beschluss des Jahres 1793 sah vor, dass alle exotischen Tiere geschlachtet oder ausgestopft werden. Jedoch entschieden sich die Wissenschaftler, die den Zoo leiteten, dagegen und ließen die Tiere am Leben. Dadurch gilt die Ménagerie du Jardin des Plantes heute als der älteste wissenschaftlich geleitete Zoo der Welt.

Inhaltsangabe

Die erste Strophe beschreibt, wie ein Panther im Käfig hin und her läuft. Der Sprecher des Gedichts verweist darauf, dass die Welt des Panthers nur aus den Gitterstäben des Käfigs besteht.

In der zweiten Strophe wird der geschmeidige und weiche Gang des Panthers beschrieben, wobei angegeben wird, dass das Tier stets im Kreis läuft. Dem Sprecher des Gedichtes scheint es so, als sei der Wille des Tieres betäubt und nicht lebendig.

In der dritten Strophe, die den Abschluss des Gedichts bildet, gibt der Sprecher des Gedichts an, dass der Panther manchmal die Augen öffnet und etwas wahrnimmt. Doch die wahrgenommenen Bilder der Außenwelt haben keinerlei Wirkung auf das Bewusstsein des Tieres (mehr?).

Analyse/Stilmittel

Gedichtanalyse der äußeren Form
Gedichtart Dinggedicht, da es Dingen, die selbst keine Stimme haben, eine Stimme verleiht.
Strophen 3 Strophen mit jeweils 4 Verszeilen
Verse Insgesamt 12 Verszeilen aus 87 Wörtern in 5 Sätzen
Versmaß
(Metrum)
durchgängig fünfhebiger Jambus, im 12. Vers allerdings vierhebiger Jambus
Reimschema abab cdcd efef (Kreuzreim)
Reimformen Endreim: Stäbe/gäbe, hält/Welt, Schritte/Mitte, dreht/steht, Pupille/Stille, hinein/sein


Binnenreim, Assonanz: Stäbe/gäbe

Zeitform Präsens (Gegenwart)
Stilmittel im Gedicht Der Panther
Stilmittel Vers Textstelle
Personifikation 1, 2 Vorübergehen der Stäbe; Sein Blick ist […] müd geworden
Assonanz
(vokalischer Gleichklang)
1, 2 Stäbe / hält
Repetitio
Wiederholung
1, 5 Wiederholung des Wortes Stäbe in Zeile 1 und 5
Perspektivwechsel 1, 3 Sein Blick (außen), Ihm ist (innen)
Assonanz
(vokalischer Gleichklang)
3 Stäbe / gäbe
Alliteration 5 Gang, geschmeidig
Hyperbel 6 allerkleinsten Kreise
Vergleich 7 ist wie ein Tanz von Kraft
Paradoxon 8 betäubt ein großer Wille
Metapher 9 Vorhang der Pupille
Personifikation 10 Dann geht ein Bild hinein
Metapher 12 hört im Herzen auf zu sein
Enjambement viele Satzende und Versende fallen, von den letzten Versen der Strophen abgesehen, meist nicht zusammen. Jeder Satz wird über mehrere Verse gestreckt. Von Vers 1 auf Vers 2 und von Vers 9 auf 10 liegt sogar ein starkes Enjambement vor.

Interpretation

Der Panther ist eine sinnbildliche Darstellung des Leidens eines Lebewesens in Gefangenschaft. Eine Gefangenschaft kann einerseits ganz praktisch, also durch das tatsächliche Eingesperrtsein vorliegen, aber andererseits auch durch gesellschaftliche oder alltägliche Grenzen entstehen.

Im Gedicht ist es ein Panther, also ein Tier, das die eigene Umwelt kaum mehr wahrnimmt und der Außenwelt nur noch passiv gegenübersteht. Deutlich wird dies vor allem dadurch, dass im Gedicht keine tatsächliche Handlung, sondern nur eine Situation beschrieben wird. Der Panther, welcher handeln könnte, ist passiv, fast unbewegt und agiert nicht mit der Außenwelt.

Diese Haltung wird bereits im ersten Vers deutlich. Es ist hierbei nicht der Panther, der an den Stäben entlangschreitet, sondern es sind die Stäbe selbst, die am Tier vorübergehen. Das Unbelebte, also die Stäbe, sind folglich beweglicher oder lebendiger, als das Lebewesen selbst.

Zwar gibt es im Gedicht einige Verben, die eine Handlung ausdrücken könnten, wie etwa dreht oder das Nomen Tanz, doch werden diese im gleichen Zuge verneint. Der Panther dreht nämlich keine großen Runden, sondern konzentriert seine Bewegungen auf allerkleinstem Raum und tanzt um eine Mitte innerhalb dieses kleinen Raumes. So wird auch in Wörtern, die aktiv scheinen, der Stillstand deutlich.

Dieser Stillstand wird nicht nur benannt, sondern auch durch sprachliche Mittel, also aufgrund äußerer Merkmale, deutlich. So gibt es kaum harte Konsonanten, die schnell wirken könnten oder für zackige Bewegungen stehen, sondern es dominieren lange Vokale, wodurch das Gedicht auch sprachlich gleichmäßig erscheint und die eigene Aussage unterstreicht.

Weiterhin wird die gleichmäßige Bewegung, die den Stillstand meint, durch zahlreiche Enjambements, also Zeilenumbrüche, deutlich. Die einzelnen Sätze des Gedichts erstrecken sich nämlich über mehrere Verse, wodurch das Hin und Her, das Nicht-Vorankommen, des Panthers symbolisch aufgegriffen wird.

Der Stillstand wird im Gedicht aber nicht nur durch das Negieren der Bewegung aufgezeigt, sondern gleichermaßen durch das Auflösen von Zeit und Raum. So scheint es einerseits keine Welt hinter den Gitterstäben zu geben und andererseits wird durch das Verwenden langer Vokale, die gleichmäßige Form und den alternierenden Rhythmus ein gleichbleibendes und gedehntes Konstrukt geschaffen.

Dieser sprachliche und formale Stillstand oder Gleichtakt scheint das Lebendige zu gefährden, weshalb der Wille des Tieres betäubt erscheint, also erstarrt ist, was die Passivität des Gefangenen erneut in den Vordergrund rückt. Der Gefangene hat folglich keine eigenen Gedanken oder Wahrnehmungen mehr, sondern kennt nur noch die eigene Gefangenschaft. Diese Präsenz der Gefangenschaft wird durch die Wiederholung des Wortes Stäbe maßgeblich unterstrichen.

Das Lebendige ist also im Käfig durch die Gefangenschaft erstarrt und auch wenn es einen äußeren Impuls gibt, wenn ein Bild wahrgenommen wird (vgl. Vers 9 und 10), kann es keine Aktionen, also Handlungen, bewirken und die Gefühle (Herz, Vers 12) des Eingesperrten zur Aktivität animieren.

Das Gedicht gibt allerdings keinerlei Weisung oder Anleitung, wie aus einer solchen Gefangenschaft auszubrechen ist, sondern stellt vor allem die Gefühlswelt und das Erleben des Eingesperrten dar. Demnach kann Der Panther als ein Appell interpretiert werden, der darauf hinweist, dass es das Eingesperrte gibt, dieses wahrgenommen werden und der Blick dafür geschärft sein sollte.

Hinweis: Obige Interpretation ist als Ansatz zu verstehen. Um eine vollständige Gedichtsanalyse, welche die Interpretation einschließt, anzufertigen, sollten die Stilmittel funktionalisiert sowie ein Epochenbezug hergestellt werden.