Als Dingsymbol werden in der Literatur Gegenstände, Tiere oder auch Pflanzen bezeichnet, die im jeweiligen Werk eine symbolhafte Bedeutung haben. Solche Dingsymbole finden sich in sämtlichen literarischen Gattungen, sind aber besonders charakteristisch für die Ballade (vgl. Gedichtformen) sowie die Novelle. Dingsymbole nehmen dabei eine zentrale Rolle ein und werden an bedeutsamen Stellen des Werkes wiederholt, wodurch sie einen leitmotivischen Charakter annehmen können. Das Dingsymbol kann tiefere Sinnzusammenhänge eines Werkes verdeutlichen und dabei stellvertretend bestimmte Abläufe symbolisch veranschaulichen. Der Begriff stammt aus der Novellentheorie.
Inhaltsverzeichnis
Begriff
Der Begriff wurde erst im 20. Jahrhundert in der Literaturwissenschaft geprägt. Vorher formulierte Paul Heyse (1830-1914), ein deutscher Schriftsteller, Dramatiker und Übersetzer, der für seine belletristischen Arbeiten den Nobelpreis für Literatur erhielt, die sogenannte Falkentheorie. Die Bezeichnung rührt daher, dass Heyse die Theorie am Beispiel von Giovanni Boccaccios (1313-1375; vgl. Trecento) Falkennovelle entwickelte.
Die Falkentheorie besagt, dass jede Novelle ein Problem oder einen Konflikt haben müsse, um welchen die Handlung kreist. Ein solcher Konflikt kann – jedenfalls in der Theorie – durch ein Symbol wiederkehrend aufgegriffen und somit veranschaulicht werden. Bei Giovanni Boccaccio ist es ein Falke, welchen Heyse stellvertrend anführt, um seine Theorie, die er 1871 veröffentlicht, zu untermauern.
In Boccaccios Falkennovelle geht es um einen armen Ritter, der vergeblich um eine Dame wirbt. Nach Jahren der erfolglosen Brautwerbung erscheint die Angebete bei ihm. Da der Ritter mittlerweile verarmt ist und sie folglich nicht standesgemäß empfangen kann, opfert er seinen wertvollsten Besitz – einen Falken – und serviert ihr diesen. Allerdings war die Dame erschienen, um den Falken für ihren kranken Sohn zu erbitten, da dieser ohne das Geschenk nicht genesen kann. Daraufhin stirbt der Junge, doch die Frau erbt das Vermögen, das sie zuvor nur verwaltete und heiratet den Ritter, der somit doch noch ans Ziel gelangt. Der Falke wird somit am Wendepunkt der Handlung zum zentralen Motiv der Novelle und folglich zum Dingsymbol.
Beispiele für das Dingsymbol
In der Literatur finden sich zahlreiche Beispiele, die angeführt werden könnten, um das Geschriebene zu verdeutlichen. Da es allerdings nicht möglich scheint, hierbei eine umfassende Übersicht zu bieten, kann die nachfolgende Auswahl allenfalls als subjektive Zusammenstellung gelten.
Beispiel (Autor) |
Dingsymbol | Erläuterung |
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Bahnwärter Thiel Gerhart Hauptmann |
Eisenbahn | Die Eisenbahn steht für das anbrechende Maschinenzeitalter, das in jener Zeit teils als bedrohlich empfunden wurde. Der Protagonist Thiel sieht sich im Werk häufig mit der unkontrollierbaren Macht der Eisenbahn konfrontiert, so wird er durch eine Flasche verletzt, die aus einem Zug geworfen wird, ein Rehbock wird gerammt, wobei der Zugunfall am Ende des Werkes den Tod von Tobias fordert und in der Folge auch Lene und Thiels zweitem Sohn das Leben nimmt. |
Das Glück von Edenhall Ludwig Uhland |
Trinkglas | Ein junger Lord fordert sein Glück heraus, indem er mit dem aus Kristall gefertigten Trinkglas, das als Glück von Edenhall bezeichnet wird und symbolisch für das Glück seiner Familie steht, kräftig anstößt. Dabei zerbricht das Glas und Feinde gelangen ins Schloss, woraufhin der junge Lord stirbt – das zersplitterte Trinkgefäß, das für das Glück steht, hält er in der Hand. |
Der goldne Topf E. T. A. Hoffmann |
Spiegel | Der Spiegelung – oder vielmehr Spiegelungen – tauchen in Hoffmans Werk an zahlreichen Stellen auf. Der Spiegel, der stets nur ein verzerrtes Abbild der Wirklichkeit zeigt. Teils wird dieses Motiv auch durch das Kristall oder Edelsteine, die reflektieren, aufgegriffen. Solche Spiegelungen greifen die grundsätzliche Idee des Irrealen im Hoffmanns magischer Welt auf. |
Der Schimmelreiter Theodor Storm |
Der Deich | Der Deich spiegelt gewissermaßen Haukes Leben wider. Anfänglich hält der Deich und Haukes Leben verläuft in geregelten Bahn, später bricht der Deich und gleichermaßen Haukes Leben. Weiterhin symbolisiert er den Kampf des Menschen mit der Natur. Mitunter kann auch der Schimmel als Dingsymbol der Novelle und als Symbol für den Teufel und das Unheil gelten. |
Die Judenbuche Annette von Droste-Hülshoff |
Buche | Alle negativen Dinge, die in der Novelle passieren, geschehen in unmittelbarer Nähe zur titelgebenden Buche und stets des Nachts oder in der Dämmerung im Brederwald. Der Brederwald wird so schnell unheimlich und die Buche selbst zum Dingsymbol des Werkes, das für ein unheilvolles Ereignis steht. |
Falkennovelle Giovanni Boccaccio |
Falke | Siehe obige Ausführungen. |
Kleider machen Leute Gottfried Keller |
Kleidung | Die Kleidung des Schneiders Strapinski, vor allem sein Mantel, können hierbei als Dingsymbol gewertet werden. Die Kleidung Strapinskis steht letzten Endes für den Widerspruch von Schein und Sein und wird an zahlreichen Stellen des Werkes angeführt. |
Michael Kohlhaas Heinrich von Kleist |
Pferde | Die Pferde von Michael Kohlhaas sind ein Leitmotiv des Werkes und tauchen an verschiedenen Stellen auf. Zu Beginn sind sie stark und werden von anderen bestaunt. Sie sind hierbei eine Spiegelung des Zustandes von Michael Kohlhaas und dessen Rechtschaffenheit. Später sind die Pferde geschändet und auch Kohlhaas ist nun nicht mehr der rechtschaffen, sondern schrecklich. Als die Pferde am Ende der Novelle wieder aufgefüttert sind, scheint auch die Rechtschaffenheit des Protagonisten “von den Toten auferstanden”. |
- Als Dingsymbol wird in der Literatur ein Gegenstand, eine Pflanze oder ein Tier bezeichnet, das eine symbolhafte Bedeutung hat und wiederkehrend im Werk genutzt wird. Dabei können Dingsymbole bestimmte Aspekte der Handlung symbolhaft aufgreifen sowie veranschaulichen.
- Dieser Begriff geht auf die Novellentheorie zurück. Paul Heyse, ein deutscher Schriftsteller, formulierte in seienr Falkentheorie, dass jede Novelle einen zentralen Konflikt haben müsse, um den sie kreist. Ein solcher Konflikt kann dabei durch ein Dingsymbol verdeutlicht werden, das stellvertretend für ebendiesen Konflikt steht.
- Allgemein gesprochen meint ein solches Dingsymbol also einen Gegenstand, der eine wichtige Bedeutung in einem Werk hat, an vielen Stellen der Handlung benannt wird und diese beeinflusst und durch sie beeinflusst wird. Er symbolisiert das Kernthema des Werkes. Darüber hinaus leiten solche Symbole oft den Wendepunkt des Werkes ein (vgl. Peripetie im Drama).