Faust II

Einleitung

Bei dem dramatischen Stück Faust – Der Tragödie 2. Teil handelt es sich um die Fortsetzung der Gretchentragödie, die als Faust 1 bezeichnet wird, von Johann Wolfgang von Goethe, der sich zeitlebens mit dem Fauststoff beschäftigte. Das Stück wurde 1854 in Hamburg uraufgeführt.

Die ersten Bearbeitungen des Stoffes lassen sich bereits auf die Jahre 1772 bis 1775 datieren, wobei das Ergebnis dieser Auseinandersetzung als Urfaust bezeichnet wird. Der Faust I schließlich entstand von 1797 bis 1806, wohingegen bereits um 1800 angefertigte Bruchstücke des Faust II erst zwischen 1825 und 1831 vervollständigt wurden. 1827 wurde der Helena-Akt veröffentlicht, 1828 die Szenen am Kaiserhof. In seinen letzten Lebensjahren nannte Goethe die Arbeit am Faust II immer wieder sein Hauptgeschäft. Es ist somit eine Menschheitsdichtung, an der Goethe nahezu 60 Jahre arbeitete und die erst 1832 – wenige Monate nach dem Tod des Dichters Goethe – veröffentlicht wurde.

Der zweite Teil des Faust setzt kurz nach dem Ende des ersten Teils ein. Nachdem Gretchen am Ende des Faust I hingerichtet wurde, wird Faust von seinen Erinnerung befreit, so dass es ihm möglich ist, ein unbeschwertes, neues Leben zu leben. Faust kann aber der geniale und ehrgeizige faustische Mensch bleiben, der er noch zu Beginn des ersten Teils war (vgl. Osterspaziergang, Gretchenfrage).

In verschiedenen Szenen, die viele Jahrtausende der Menschheitsgeschichte umspannen, versucht er sein persönliches und ideales Streben nach dem Höchsten und ungeteilten Ganzen zu verwirklichen. Während im Faust I die kleine Welt bereist wurde, handelt der Faust II von der großen Welt des Kaiserhofs, der Kunst- und Lebensverständnisse, der Ökonomie und sozial-revolutionären Bestrebung, eine gute und schöne Welt auf Erden zu verwirklichen.

Szenenübersicht

Inhaltsangabe / Szenenübersicht von Faust 2
ERSTER AKT
Anmutige Gegend. Faust, auf blumigen Rasen gebettet, ermüdet, unruhig, schlafsuchend. Dämmerung. Geisterkreis, schwebend bewegt, anmutige kleine Gestalten.
Zu Beginn des zweiten Teils erwacht Faust aus schwerer seelischer Zerrüttung. Zuvor wurde er vom Luftgeist Ariel und seinen Elfen in einen heilsamen Schlaf versetzt, der Faust alle Geschehnisse der Gretchentragödie vergessen ließ. Im Traum erlebt Faust das „Flammenübermaß“ der aufgehenden Sonne. Als er sich geblendet abwendet, erkennt Faust in dem Bild eines Regenbogens, der sich in der Gischt eines Wasserfalls bildet, dass der Mensch das Absolute nur im Schleier des Vergänglichen erkennen kann.
Saal des Thrones. Staatsrat in Erwartung des Kaisers. Trompeten. Hofgesinde aller Art, prächtig gekleidet tritt vor. Der Kaiser gelangt auf den Thron; zu seiner Rechten der Astrolog.
In Begleitung von Mephisto, der nun wieder wie im ersten Teil an Faust Seite steht, betritt Faust die Welt des politisch-sozialen Handelns. Während im ersten Teil von Faust „die kleine Welt“ und die persönliche Liebesbeziehung zwischen Faust und Gretchen im Vordergrund stand, wird nun die „große Welt“ in den Vordergrund gerückt, die durch den kaiserlichen Hof und die politischen Staatsgeschäfte ausgedrückt wird. Mephisto ist als Narr des Kaisers engagiert. In dieser Funktion hört er sich die Sorgen der Figuren des Hofes an: Überall wird von Geldproblemen berichtet. Mephisto gibt vor, dass Problem des Staates einfach beheben zu können, indem er das Papiergeld entwickelt, das vom Staat gedruckt werden kann. Der Hof ist somit nicht mehr auf die Golddeckung seiner Reichtümer angewiesen.
Weitläufiger Saal mit Nebengemächern, verziert und aufgeputzt zur Mummenschanz.
In dieser Szene wird ein Karneval entworfen, der dem florentinischen nachempfunden ist. Die Szene ist mit „Mummenschanz“ überschrieben und entwirft ein frohsinnige Übersicht der höfischen Gesellschaft. Neben Figuren des Hofes treten auch historische und antike Figuren auf. In einer zentralen Szene des Karnevals erscheint der Prachtwagen des antiken Gottes Plutus, dessen Name mit Reichtum und Wohlstand gleichzusetzen ist. Die Geldsorgen des Hofes werden in dieser Szene noch einmal nachgespielt. Die Geldsorgen sollen von Faust beseitigt werden. In einer finalen Feuersbrunst verbrennen die Masken der Akteure.
Lustgarten, Morgensonne. Faust, Mephistopheles, anständig, nicht auffallend, nach Sitte gekleidet; beide knien.
Die Figuren des Hofes bedanken sich bei Mephisto für die Einführung des Papiergelds, dessen Vorteile sie sehr genießen. Sie geben es vor allem bedenkenlos aus und feiern ihren (scheinbar) niemals endenden Wohlstand. Der Kaiser bedankt sich bei Faust für das Spektakel des Karnevals. Auch er beginnt die Vorzüge des Papiergelds zu loben.
Finstere Galerie. Faust. Mephistopheles.
Faust berichtet Mephisto von dem Wunsch des Kaisers, ihm die Urbilder der Schönheit Helena und Paris heraufzubeschwören. Faust sagt Mephisto, dass sie den Kaiser erst reich gemacht haben, nun sollen sie ihn auch noch amüsieren. Mephisto erläutert Faust, wie er die beiden antiken Figuren heraufbeschwören kann. Hierfür benötigt er einen „glühenden Dreifuß“. Diesen könne er aber nur im Reich der Mütter finden. Also macht sich Faust auf den Weg in das Reich der Mütter, um das benötigte Utensil zu finden. Faust bekommt von Mephisto einen goldenen Zauberschlüssel, um diese Aufgabe zu erfüllen.
Hell erleuchtete Säle. Kaiser und Fürsten, Hof in Bewegung.
Während Faust auf der Suche nach dem Dreifuß ist, wird Mephisto vom kaiserlichen Hof belagert. Die Anwesenden bitten ihn ihre zahlreiche Schmerzen und persönliche Probleme durch Einsatz seiner Zauberkräfte zu lindern.
Rittersaal. Dämmernde Beleuchtung. Kaiser und Hof sind eingezogen.
Im Rittersaal des Hofes versucht Faust mithilfe des Dreifußes, Helena und Paris für den Kaiser heraufzubeschwören. In einem Flammenspiel werden die antiken Figuren gezeigt. Die Anwesenden diskutieren die antiken Erscheinungen. Helena wird für schön befunden, bei Paris werden allerdings die fehlenden Manieren beklagt. Als Faust hingerissen von der Schönheit Helenas in das Schauspiel einzugreifen sucht, wird er schlagartig zurückgestoßen. Als er versucht, Helena an sich zu ziehen, fällt er zu Boden. Faust scheitert an dem Versuch, die klassische Figur in die Gegenwart zu zerren. Darüber hinaus scheint es, als hätte Faust das Zauberspiel mit der Realität verwechselt.
ZWEITER AKT
Hochgewölbtes, enges, gotisches Zimmer, ehemals Faustens, unverändert. Mephistopheles hinter dem Vorhang hervortretend. Indem er ihn aufhebt und zurücksieht, erblickt man Fausten hingestreckt auf einem altväterischen Bette. Famulus. Bakkalaureus.
In der ersten Szene des 2. Akts wird offensichtlich an mehrere Szenen im ersten Teil der Tragödie erinnert. Der dargestellte Raum erinnert an Fausts ehemaliges Studierzimmer. Mephisto zieht sich Faust Gelehrtenanzug an und empfängt als Dozent verkleidet den Nachfolger von Wagner (Fausts Schüler im ersten Teil). Von dem neuen Famulus erfährt Mephisto, dass Wagner mittlerweile ein junger Naturwissenschaftler ist, der an einer großen Entdeckung arbeitet. Mephisto fordert den jungen Studenten auf, Wagner auftreten zu lassen. Als Wagner im Gespräch mit Mephisto über seine Forschung redet, wird deutlich, dass er sich für sehr selbstbewusst hält.
Laboratorium im Sinne des Mittelalters, weitläufige unbehilfliche Apparate zu phantastischen Zwecken. Wagner am Herde. Homunculus in der Phiole.
In dieser Szene erzeugt Wagner in einer Phiole ein „artig Männlein“, das Homunculus heißt. Es handelt sich um einen künstlich erzeugten Menschen. Faust wohnt dem Vorgang zwar bei, ist aber auf seinem Bett noch immer bewusstlos (er verlor sein Bewusstsein nach der fehlgeschlagenen Helena-Beschwörung). Das Phiolenwesen erkennt Fausts Suche nach dem Bild griechischer Schönheit und bietet an, als Wegweiser zur klassischen Walpurgisnacht zu dienen. Mephisto trägt den immer noch bewusstlosen Faust und folgt dem Homunculus.
Pharsalische Felder. Finsternis: Erichtho. Die Luftfahrer oben. Faust den Boden berührend. Mephistopheles umherspürend. Sirenen präludieren oben. Faust herantretend. Mephistopheles verdrießlich.
In dieser Szene erscheinen Faust und Mephisto in der klassischen Antike. Zunächst wurde die Szene von der thessalischen Hexe Erichtho eröffnet, die eine Zeiten vermischende Geschichte erzählt. Schließlich erwacht Faust auf einem Feld, auf dem Pompeius und Cesar miteinander gekämpft haben. Er ist durch den Kontakt mit der klassischen Erde bestärkt und erfährt neue Kräfte. Im Gegensatz zu Faust fühlt sich Mephisto in der Antike nicht wohl.
Peneios umgeben von Gewässern und Nymphen – Peneios, Nymphen, Chiron und Manto.
Faust, Mephisto und der Homunculus gehen allesamt getrennte Wege. Faust ist auf der Suche nach Helena und besucht aus diesem Grund den Kenatur Chiron, der ein Halbbruder Helenas ist. Von diesem erfährt er aber, dass Helena in der Unterwelt gefangen ist. Chiron bringt Faust zu Manto, der Tochter des Sehers Teiresias, mit der Faust in die Unterwelt aufbricht, um Persephone um Helenas Rettung zu bitten.
Am oberen Peneios wie zuvor. Sirenen. Mephistopheles in der Ebene. Homunculus. Mephistopheles an der Gegenseite kletternd.
Noch immer ist Mephisto nicht in der Antike angekommen. Er richtet sein direkt sexuelles Interesse auf die Lamien, die vampirähnliche Frauengestalten sind und durch ihre Schönheit verführen[1]. Der Homunculus versucht ein vollständiger Mensch zu werden. Aus diesem Grund sucht er die Philosophen Anaxagoras und Thales auf, die aber nur Grundwahrheiten über den Ursprung allen Seins aufstellen. Schließlich sucht Mephisto auf einer Bergeshöhe die drei Phorkyaden auf, alte und hässliche Greisinnen, von denen er sich Zahn und Auge leiht. Mephisto tritt nun selbst als Phorkyas auf und steht als solcher im krassen Gegensatz zur jugendlichen Schönheit Helenas.
Felsbuchten des Ägäischen Meers. Mond im Zenit verharrend. Telchinen von Rhodus auf Hippokampen und Meerdrachen, Neptunens Dreizack handhabend. Galatee auf dem Muschelwagen nähert sich.
Der Homonculus ist noch immer bestrebt, ein vollwertiger Mensch zu werden. Mit Thales diskutiert er seine Möglichkeiten und versucht in der Folge, bei Nereus um Rat zu fragen. Von diesem wird er an Proteus verwiesen, der die Kunst der Verwandlung beherrschen soll. Der Homunculus versucht, einen Protheus-Delphin zu besteigen und sich im Element der poetischen Wandlung, dem Meer, seiner Leiblichkeit zu nähern. Allerdings zerschellt seine gläserne Hülle an dem Triumphwagen der Liebesgöttin Galatea, der Tochter Nereus. Es kommt zu einem Leuchten des Meeres, in dessen Folge die vier Elemente und der Eros besungen werden.
DRITTER AKT
Vor dem Palaste des Menelas zu Sparta
Das Fest des Eros am Ende des 2. Akts ist zu Ende gegangen. Fausts Mission, Helena aus der Unterwelt zu retten, ist geglückt. Sie erscheint vom Strande herkommend. Der Dritte Akt ist als Helena-Akt bekannt und thematisiert die Synthese sich gegenüberstehender Kunst- und Lebenstendenzen, die durch die Idee der klassischen Antike und der (germanisch) romantischen Moderne gekennzeichnet sind. In dieser Funktion kommt ihm eine herausgehobene Bedeutung zu. Zu Beginn der ersten Szene wird Helenas Schönheit und Anmut in ausführlichen Beschreibungen durch einen Chor aus gefangenen Trojanerinnen gepriesen. Helena ist mit ihrem Gatten Menelaos aus dem Krieg um Troja zurück gekommen. In der Stadt Mykene soll sie eine Opferzeremonie vorbereiten. Helena ahnt, dass sie das Opfer werden soll. Im Palast von Mykene trifft sie auf den als hässliche Greisin verwandelten Mephisto, der Helena anbietet, sie vor dem Opfer-Tod zu bewahren. Er berichtet ihr von einer uneinnehmbaren Burg, die während der Belagerung Trojas in der Nähe der Stadt Sparta errichtet wurde. Helena willigt ein und folgt Mephisto auf die Burg. Umhüllt von Nebel gelingt ihnen die Flucht gerade bevor König Menelaos ankommt.
Innerer Burghof, umgeben von reichen phantastischen Gebäuden des Mittelalters.
In der Burg herrscht ein harmonischen Bild des Mittelalters vor. Es ist Fausts Reich, das er als Heerführer geschaffen hat. Helena ist von dem Ort und von Faust sehr angetan. Sie beginnt wie er zu sprechen und in ihrer Beziehung vollzieht sich die Vereinigung von antiker Klassik und nordisch-mittelalterlicher Romantik. Die beiden Bereiche durchdringen sich. Indem Faust Helena wie er selbst zu sprechen beibringt, nämlich in kunstvollen Reimen als Symbol des inneren Einklangs, wird dieses Bild durch die Sprache verdeutlicht.
Schattiger Hain. Der Schauplatz wandelt sich durchaus. An einer Reihe von Felsenhöhlen lehnen sich geschloßne Lauben. Schattiger Hain bis an die rings umgebende Felsensteile hinan. Faust und Helena werden nicht gesehen. Der Chor liegt schlafend verteilt umher.
Der Beziehung von Faust und Helena entspringt der Sohn Euphorion. Mephisto verkündet dem Chor die Geburt des Kindes. Das Kind ist durch einen feurigen Erlebnisdrang geprägt. Allerdings stirbt Euphorion in einem todesmutigen Höhenflug. Helena bittet Persephone, der Hüterin der Unterwelt, sich ihres toten Kindes und ihrer selbst anzunehmen. Auch die Chorführerin begibt sich in den Hades, der restliche Chor allerdings verweilt auf der idyllischen Burg. Am Ende der Szene verwandelt sich Mephisto zurück in seine wirkliche Gestalt und lässt das hässliche Aussehen des Phorkyas zurück. Faust selbst bleibt nur Helenas Gewand, das sich aber in eine Wolke verwandelt, auf der Faust hinfort getragen wird.
VIERTER AKT
Hochgebirg, starre, zackige Felsengipfel. Eine Wolke zieht herbei, lehnt sich an, senkt sich auf eine vorstehende Platte herab. Sie teilt sich. Faust tritt hervor.
Zu Beginn des 4. Akts ändert sich die Szene erneut komplett. Die Wolke auf der Faust hinfort getragen wird, nimmt noch einmal die Formen von Gretchen und Helena an. Sie verdeutlicht, im Entschwinden, die bereits zu Beginn des 2. Teils angedeutete Erkenntnis, dass alles Schöne und Liebliche nur im Eindruck des Vergänglichen zu erfahren ist. Während Mephisto über die Entstehung der höchsten Berge nachdenkt, die seiner Meinung nach aus teuflischen Gasen entstanden, erklärt Faust seine Abkehr von sinnlichen Genüssen. Er möchte von nun an nur noch große Taten vollbringen und insbesondere dem Meer durch Dammbau fruchtbares Land abgewinnen, das dem Menschen zur Siedlung und Kultivierung von Land- und Viehwirtschaft nützlich sein kann. Zu diesem Zweck stellt Mephisto Faust die drei dämonischen Gewaltigen Raufebold, Habebald und Haltefest vor.
Auf dem Vorgebirg. Trommeln und kriegerische Musik von unten. Des Kaisers Zelt wird aufgeschlagen. Kaiser. Obergeneral. Trabanten.
Die Protagonisten erfahren von dem Krieg zwischen dem Kaiser und dem Gegenkaiser. Es sieht so aus, als ob der Gegenkaiser zu gewinnen scheint. Durch die Hilfe von Faust und den drei Gewaltigen kann sein Sieg aber verhindert werden und dem Kaiser bleibt seine Macht erhalten.
Des Gegenkaisers Zelt. Thron, reiche Umgebung.
Die Gewaltigen wollen gerade das Zelt des Gegenkaisers plündern, als sie von den Trabanten des angestammten Herrschers aufgehalten werden. Als Folge seines Sieges verteilt der Kaiser neugewonnenes Land. In diesem Kontext fällt auch Faust ein Stück Küste zu, das er fortan nach ganz weltlichen Maßstäben zu verwalten sucht. Es gilt, seine ehrgeizigen Pläne zu verwirklichen.
FÜFNTER AKT
Offene Gegend. Philemon und Baucis.
Ein namenloser Wanderer durchstreift die Gegend. Er trifft auf das alte und freundliche Paar Philemon und Baucis. Vor langer Zeit stand das alte Haus der beiden noch direkt am Meer und sie nahmen den Wanderer als Schiffbrüchigen bei sich auf und versorgten ihn. Seit dem der Küstenstreifen aber als Dank für seinen Kampf gegen den Gegenkaiser an Faust übertreten wurde, wurde das Meer zurückgedrängt, so dass das Haus der beiden Alten nun weit vom Meer entfernt steht. Allerdings kommt Philemon und Baucis der Landgewinn reichlich merkwürdig vor und sie vermuten, dass Zauberkräfte an der Landgewinnung beteiligt sind, da sie insbesondere in der Nacht immer wieder Flammen auflodern sehen. Philemon und Baucis erzählen dem Wanderer auch, dass sie unter Druck gesetzt werden, da ihr Haus das Letzte aus einer alten Zeit ist und sie dem Fortschritt weichen sollen. Philemon sagt, dass man sich in die alte Kapelle begeben soll, um den Gott der alten Zeit zu gedenken.
Palast. Weiter Ziergarten, großer gradgeführter Kanal. Faust im höchsten Alter, wandelnd, nachdenkend.
Der Türmer Lynkeus betrachtet von seinem Turm aus das neugewonnene Land und bezeichnet es als Idylle. Doch als Faust den Glockenklang aus der Kapelle von Philemon und Baucis hört, ist es ihm unmöglich, die Pracht des neuen Lands zu genießen. Er ist vollkommen durch den Anblick der alten Hütte eingenommen und findet sie verstörend. Faust ist mittlerweile sehr alt. Mephisto läuft mit den drei Gewalten Krieg, Handel und Piraterie auf einem Schiff in einen künstlich geschaffenen Kanal ein. Es wird deutlich, dass es sich bei Mephistos unternehmerischen Aktivitäten nicht nur um legale Handlungen handelt. Gerade ist er von einem Raub- und Kaperzug zurückgekommen. Mephisto kritisiert Faust für seinen Missmut und sagt, dass sie schon sehr viel erreicht haben. Schließlich befiehlt Faust Mephisto, Philemon und Baucis umzusiedeln („So geh und schaff sie mir zur Seite.“).
Tiefe Nacht
Lynkeus steht auf seinem Turm und singt ein Lied über das Sehen. Dabei preist er die Landschaft. Plötzlich erkennt er in der Ferne ein Feuer. Es ist Nacht. Bei dem Feuer handelt es sich um das brennende Heim von Philemon und Baucis. Lynkeus beschreibt, wie das Haus, die Kappelle und schließlich Philemon und Baucis selbst den Flammen zum Opfer fallen. Durch die unmittelbare Schuld Fausts kommt es zur Niederbrennung der Hütte des alten Paares Philemon und Baucis. Sie stehen der Expansion von Fausts Bestrebungen im Weg und kommen deswegen durch die Gewaltigen, die Helfershelfer von Mephisto, ohne irgendetwas für ihr Schicksal zu können, ums Leben. An dieser Stelle wird erneut (wie in der Gretchentragödie) die Zwiespältigkeit des Faustischen Entdeckungs- und Eroberungsstrebens deutlich. Als Faust den Kummer des Türmers hört, der sich beklagt, so weit sehen zu können, erkennt auch er das Feuer in der Ferne. Er ist außer sich, da er eigentlich geplant hatte, Philemon und Baucis ein neues, sehr viel größeres Haus zukommen zu lassen, wo sie friedlich ihr Lebensende begehen konnten. Insofern wollte er ihnen ihr Haus nicht rauben, sondern es tauschen. Er lässt Mephisto seine Wut spüren, der sagt, dass sie Gewaltigen dem alten Paar drohen wollten, diese sich allerdings weigerten, ihr kleines und enges Haus zu verlassen. Es kam zum Streit, bei dem auch der Wanderer anwesend war. Durch einen „Unfall“ fing das Haus Feuer. Mephisto verteidigt sich und seine Helfer, indem er Faust auf seinen Befehl aus der letzten Szene aufmerksam macht, in dem dieser nur „schaff sie zur Seite“ befohlen hat.
Mitternacht
Es treten vier Graue Weiber auf. Sie heißen Not, Schuld, Mangel und Sorge. Sie raten Faust dazu, sich von Mephistos Zauberkraft zu emanzipieren. Keine der Leiden kann Faust beeindrucken. Nur die Sorge lässt Faust an sich heran. Er erblindet.
Großer Vorhof des Palasts
Faust ist mittlerweile 100 Jahre alt und durch das Zutun der Sorge erblindet. Er hört, wie die Lemuren, Nachtaffen im Dienste Mephistos, im Vorhof des Palastes arbeiten. Irrtümlicherweise denkt Faust, dass sie an der Verwirklichung seiner Pläne arbeiten und die Vorstellungen seiner schönen und neuen Welt umsetzen. Doch tatsächlich schaufeln die Lemuren im Auftrag Mephistos ein Grab für Faust. Faust ist seinen Visionen ganz erlegen und erläutert seine fortschrittlichen und sozial-revolutionären Pläne: „Eröffn’ ich Räume vielen Millionen /Nicht sicher zwar, doch tätig frei zu wohnen. […] / Solch ein Gewimmel möcht’ ich sehn, / Auf freiem Grund mit freiem Volke stehn.“ In der Folge kommt es zur bedeutenden Szene, in der Faust im Konjunktiv scheinbar die Wette mit Mephisto einlöst. Denn er sagt, dass er im Vorgefühl der Einlösung seiner Ideen den „höchsten Augenblick“ erlebt und sagt: „Zum Augenblicke dürft’ ich sagen: Verweile doch, du bist so schön!“ Allerdings verliert Faust die Wette aus dem Beginn des ersten Tragödienteils nicht, da er wie gesagt im Konjunktiv spricht. Allerdings stirbt Faust, da die Wette mit Mephisto nun eingelöst scheint.
Grablegung
Faust wird ins Grab befördert und von Mephisto aufgefordert, ihm in die Hölle zu ewigen Dienst zu folgen. Mephisto denkt, dass er die Wette mit Faust gewonnen hat. Es kommt zum Kampf zwischen den Mächten des Himmels und Mephisto als Gestalt der Hölle. Um Faust zu retten, werden zahlreiche kleine Engel auf die Erde gesandt, die sich Fausts Seele annehmen sollen. Sie streuen Rosenblätter. Mephisto lässt sich von den Engeln ablenken, die ein sexuelles Bedürfnis in ihm auslösen. Gleichzeitig fallen seine Helfer, die Lemuren, in die Hölle zurück. Es gelingt den himmlischen Kräften, Fausts Seele in den Himmel auffahren zu lassen. Als Mephisto wieder zu sich kommt, ist er verärgert und wütend („Die hohe Seele, die sich mir verpfändet, Die haben sie mir pfiffig weggepascht“).
Bergschluchten. Wald, Fels, Einöde. Heilige Anachoreten gebirgauf verteilt, gelagert zwischen Klüften.
Die Schlussszene bedient sich einer eindeutigen christlich-mittelalterlichen Bildsprache. Fausts Seele steigt dabei durch eine Hierarchie geistiger Regionen auf. Die von den Anarchoreten bewohnten Bergschluchten passiert Faust Seele hin bis zum „blauen, ausgespannten Himmelszelt“. Ein Chor spricht die Worte, die Fausts Rettung erklären: „Wer immer strebend sich bemüht, / den können wir erlösen. / Und hat an ihm die Liebe gar / von oben teilgenommen, / begegnet ihm die selige Schar / mit herzlichen Willkommen.“ Der Schlüssel zu Fausts Rettung liegt also zu einem in seinem stetigen Streben nach dem Höchsten und einer Liebe, die ihm aus dem Himmel entgegenkommt. Diese Liebe kommt Faust von der erlösten Margarete entgegen.
1. Die Lamien sind nach der Dämonin Lamia aus der griechischen Mythologie benannt (siehe: fabelwesen.net/lamia/)

 

Sonstiges

Im 2. Teil der Faust-Tragödie wandelt sich der faustische Gelehrte Faust zur Darstellungsmöglichkeit des Menschen überhaupt, dem faustische Eigenschaften zugesprochen werden. Mephisto kann Fausts Streben nach übersinnlicher Liebe und dem Übersubjektiven, Ewigen und ungeteilten Ganzen nichts entgegensetzen. Mephisto ist ein Zyniker (vgl. Zynismus), der nur Teilaspekte zu fassen vermag und deswegen am Ende von Faust 2 dem unendlichen Streben seines Gegenparts unterliegt.

Dabei nimmt auch das faustische Streben teilweise dämonische Züge an, z.B. in der Zerstörung von Gretchens Leben, in der Piraterie oder dem Mord an Philemon und Baucis. In diesem Dilemma entfaltet sich der tiefere Grund des Tragödienstoffs. Einzig im dritten Akt des 2. Teils, dem Helena-Akt, scheint eine Vereinigung der Gegensätze und eine harmonische Synthetisierung von Gegensätzen möglich. Doch auch dieser Versuch muss scheitern, weswegen dem Schriftsteller Goethe in seiner Zeiten und Welten umfassenden Faust-Sage eine Menschheitsdichtung gelungen ist, die das unendliche Streben des Menschen in seinem Facettenreichtum in den Vordergrund stellt.

Johann Wolfgang von Goethe

Johann Wolfgang von Goethe ist 1749 in Frankfurt am Main geboren. Er studiert Jura in Leipzig und Straßburg. 1774 veröffentlicht er Die Leiden des jungen Werther und wird durch diesen Roman schlagartig berühmt. In der Folge seines Erfolges wird er von dem Weimarer Fürsten Carl August in den Fürstendienst am Weimarer Hof berufen.

Goethe wird Mitglied der Regierung und macht sich sehr schnell unentbehrlich. 1782 wird Goethe in den Adelsstand gehoben. Zwischen 1786-1788 hält sich Goethe heimlich in Italien auf. Er ist vor den Anforderungen seiner Beamtentätigkeit geflohen und möchte sich ganz der Dichtung widmen.

Bis zu seinem Tod 1832 wird Goethe noch zahlreiche Stücke von Weltrang (z.B. Wilhelm Meister, Faust, die Wahlverwandtschaften), aber auch zahlreiche Gedichte, die enorm populär werden (u.a. Gefunden, Zauberlehrling, Osterspaziergang), schreiben. Gemeinsam mit dem Dichter Friedrich Schiller verkörpert er wie kein anderer das literarische Zeitalter der Klassik.


Stichwortverzeichnis