Die Blaue Blume gilt als wichtiges Symbol der Romantik (vgl. Literaturepochen) und wird demnach auch als die Blaue Blume der Romantik bezeichnet. Sie steht stellvertretend für die romantische Sehnsucht nach dem Unerreichbaren, Unendlichen sowie Unbedingten, wobei sie außerdem oftmals als Verbindung von Mensch und Natur gedeutet wird. Darüber hinaus entwickelte sich die Blaue Blume zu einem Symbol der Wanderschaft, das ebenso charakteristisch für die Epoche der Romantik ist. Dieses Motiv lässt sich auf eine altdeutsche Sage zurückführen, die besagt, dass man des Nachts die blaue Wunderblume finden könnte und dadurch reich belohnt werde. Folglich steht diese Wunderblume für eine Sache, die schwierig zu erreichen ist, aber von vielen ersehnt wird. Dieses Motiv wird von Novalis, einem deutschen Dichter, in seinem Romanfragment Heinrich von Ofterdingen aufgegriffen. Heinrich, der Protagonist des Werkes, wird von einer blauen Blume angezogen, woraus sich in der Folge das Sehnsuchts-Symbol der Romantik ableitete.
Inhaltsverzeichnis
Novalis und die Blaue Blume
Im Roman Heinrich von Ofterdingen wird deutlich, dass Novalis die Sage der Wunderblume bekannt war, wobei ein ganz anderes Ereignis sehr wahrscheinlich für das Aufgreifen des Motivs ist. Am 17. November 1794 lernte Novalis die zwölfjährige Christiane Wilhelmine Sophie von Kühn kennen und entschied – so berichtete er in einem Brief an seinen Bruder Erasmus – innerhalb einer Viertelstunde über sein Leben, woraufhin es am 17. März 1795, dem dreizehnten Geburtstag Sophies, zum inoffiziellen Verlöbnis der beiden kam.
In der Folge erkrankte Sophie allerding schwer an Schwindsucht (Tuberkulose) und konnte sich trotz mehrerer Operationen nicht von der Krankheit erholen. Sophie erlag der Krankheit und verstarb am 19. März 1797 im Alter von fünfzehn Jahren. Novalis war, als ihn die Nachricht erreichte, zu Tode erschüttert. Als er seinem Studienfreund Friedrich Schwedenstein, einem deutschen Maler, vom Tod der Verlobten erzählte, sendete ihm dieser ein Aquarellgemälde, das vertrocknete blaue Kornblumen zeigte. Zwar ist das Gemälde nicht erhalten, doch verarbeitete Novalis das Motiv in seinem Roman Heinrich von Ofterdingen.
Bild: Sophie und Novalis, mittig Die blaue Blume von Fritz von Wille (Symbolbild, 1941)
Im Romanfragment Heinrich von Ofterdingen geht es um einen sagenhaften – jedoch historisch bisher nicht belegbaren – Sänger des 13. Jahrhunderts: Heinrich. Schon zu Beginn des Werkes erfährt man, dass den jungen Heinrich – noch vor der eigentlichen Romanhandlung – ein Fremder aufgesucht hat und ihm von geheimnisvollen Fernen, prächtigen Schätzen und von einer Wunderblume erzählt hat. Durch das Einführen ebendieser Wunderblume verweist Novalis auf die altdeutsche Sage, die besagt, dass es in der Johannisnacht möglich sei, diese Wunderblume zu finden. Darüber hinaus besagt der Volksglaube, dass in der Johannisnacht – eine Nacht vor der Sommersonnenwende – ein Blick in die Zukunft möglich sei.
Das erste Kapitel des Werkes beginnt damit, dass der junge Heinrich über die vorherige Begegnung und Erzählungen des Fremden nachdenkt, wobei ein unaussprechliches Verlangen in ihm geweckt wird. Er sehnt sich nicht nach den Schätzen und Reichtümern, sondern nach der blauen Blume, die der Fremde erwähnte und schläft über diesen Gedanken ein und beginnt zu träumen. Im Traum findet er am Fuße eines Berges einen geheimnisvollen Höhleneingang, hinter dem sich ein Wasserbecken befindet, das er durchschwimmt. Auf der anderen Seite angelangt, zieht er sich ans Ufer. Danach heißt es:
Was ihn aber mit voller Macht anzog, war eine hohe lichtblaue Blume, die […] ihn mit ihren breiten, glänzenden Blättern berührte. Rund um sie her standen unzählige Blumen von allen Farben, und der köstliche Geruch erfüllte die Luft. Er sah nichts als die blaue Blume, und betrachtete sie lange mit unnennbarer Zärtlichkeit. Endlich wollte er sich ihr nähern, als sie auf einmal sich zu bewegen und zu verändern anfing; die Blätter wurden glänzender und schmiegten sich an den wachsenden Stängel, die Blume neigte sich nach ihm zu, und die Blütenblätter zeigten einen blauen ausgebreiteten Kragen, in welchem ein zartes Gesicht schwebte. Sein süßes Staunen wuchs mit der sonderbaren Verwandlung, als ihn plötzlich die Stimme seiner Mutter weckte […]
Novalis vereint in diesem Auszug mehrere Motive, die vorab mit der blauen Blume in Verbindung gebracht wurden. So verkörpert sie – was schon in der altdeutschen Sage deutlich wurde – die Sehnsucht nach einer unerreichbaren Sache und darüber hinaus erblickt Heinrich in der Blume ein zartes Gesicht. Dieses – so wird im Verlauf der Handlung gezeigt – ist das seiner späteren Verlobten. Weiterhin wird hierbei das Menschliche mit der Natur verbunden, wenn sich die Pflanze in ein Gesicht verwandelt.
Darüber hinaus strotzt der Text vor typischen Symbolen der Romantik. In romantischen Werken werden häufig Schwellenmotive genutzt, also Motive, die eine Grenze zwischen der Wirklichkeit und dem Traumhaften markieren, wie etwa die Dämmerung, Mondschein, Zwielicht oder auch der Blick in die Ferne, der zumeist von einer ungeheuren Sehnsucht des lyrischen Ichs / Protagonisten getragen wurde.
Deutung der Blauen Blume
Bisher wurde das Symbol der Blume in die Sagenwelt des Deutschen und in das Werk Novalis‘ eingeordnet. Mit diesem Vorwissen ist es denkbar einfach, das Symbol, das in romantischen Werken häufig aufgegriffen wird, zu deuten. Hierbei ist anzunehmen, dass die Vertreter der Strömung Novalis‘ Werk kannten und somit durch das bloße Benennen der blauen Blume auf ebendiese Sehnsucht seines Protagonisten Heinrich anspielen. Folglich muss der Hintergrund nicht erläutert werden und für den Leser ist ersichtlich, worauf mit der Nennung angespielt wird.
Folglich steht das Symbol der Wunderblume für eine ungeheure Sehnsucht nach einer unerreichbaren Sache. Teilweise ist nicht einmal ersichtlich, woher diese Sehnsucht kommt. Fakt ist nur, dass sie den jeweiligen Protagonisten stets begleitet. Dieses Schwanken zwischen dem Heimweh und Fernweh ist maßgeblich für die Epoche der Romantik. Dieses „Getriebenwerden“ ist auch der Grund dafür, dass man in der Romantik von einem Wandermotiv spricht – der Mensch ist hierbei stets auf der Suche nach sich selbst, einem unklaren Ziel und pendelt somit zwischen den Stationen des eigenen Lebens.
Darüber hinaus galt den Romantikern das Mittelalter als ideales Zeitalter der Geschichte, da in dieser Zeit alle Menschen im mythischen christlichen Glauben vereint wurden und darüber hinaus das germanische Kulturgut präsent war, das das Leben durch den Mythos und Sagen – und eben nicht durch die Wissenschaft und den Fortschritt – begründete. Im Mittelalter waren Mensch und Natur eins und die Natur galt als eine unbändige, unerschöpfliche Kraft. Auch dieses Bild wird in Novalis‘ blauer Blume ersichtlich, wenn Heinrich in ihr ein Gesicht erkennt und somit in der Natur das findet, was die Antwort auf seine eigene Sehnsucht ist. So heißt es am Ende von Heinrich von Ofterdingen:
Ist mir nicht zumute, wie in jenem Träume, beim Anblick der blauen Blume? Welcher sonderbare Zusammenhang ist zwischen Mathilden und dieser Blume? Jenes Gesicht, das aus dem Kelche sich mir entgegenneigte, es war Mathildens himmlisches Gesicht […] O! sie ist der sichtbare Geist des Gesanges […]. Sie wird mich in Musik auflösen. Sie wird meine innerste Seele, die Hüterin meines heiligen Feuers sein. Welche Ewigkeit von Treue fühle ich in mir! Ich ward nur geboren, um sie zu verehren, um ihr ewig zu dienen, um sie zu denken und zu empfinden. Gehört nicht ein eigenes ungeteiltes Dasein zu ihrer Anschauung und Anbetung? Und bin ich der Glückliche, dessen Wesen das Echo, der Spiegel des ihrigen sein darf? Es war kein Zufall, daß ich sie am Ende meiner Reise sah, daß ein seliges Fest den höchsten Augenblick meines Lebens umgab. Es konnte nicht anders sein; macht ihre Gegenwart nicht alles festlich?
Im Roman endeckt der Protagonist eine blaue Blume im Traum, die für ihn zu seinem persönlichen Objekt der Sehnsucht wird und ihn fortan antreibt. Um das zu erkennen, musste er allerdings zuvor in der Natur (Blume) das Gesicht (Ziel?) erkennen. Wer im Traum erkennt, was seine tiefste Sehnsucht ist, erkennt sich letzten Endes selbst. Kurzum: die Wunderblume verkörpert die Sehnsucht nach einer unerreichbaren Sache und nur durch das Erkennen des Selbst (in der Natur) wird das Ziel deutlich und – jedenfalls in Novalis‘ Roman – führt letzten Endes zur Liebe. Wichtig ist, dass diese Erkenntnis des Selbst ein Ergebnis von Gefühl und Reflektion ist und eben nicht von Rationalität und Wissenschaft. Folglich wird die Blume meist als Symbol der Liebe, Sehnsucht, Unendlichkeit und Selbsterkenntnis interpretiert.
Die Blaue Blume in Kunst und Literatur
Das beschriebene Motiv wurde in zahlreichen Werken der Kunst verarbeitet. Aufgrund der großen Auseinandersetzung mit ebendiesem Symbol reichte es in der Folge, die blaue Blume einfach zu zeigen oder zu benennen und so darauf zu verweisen, worum es grundsätzlich ging. Nachfolgend eine Übersicht ausgewählter Werke, die das Symbol aufgreifen und bearbeiten.
Eines der bekanntesten Werke – neben dem Roman von Novalis – ist mit Sicherheit das Gedicht Die blaue Blume (1818) von Joseph von Eichendorff, einem Lyriker und Schriftsteller der deutschen Romantik. Das kurze Gedicht besteht aus drei Strophen, die jeweils aus vier Versen gebildet werden und dabei dem Reimschema des Kreuzreims folgen. Eichendorffs Gedicht lautet folgendermaßen:
Ich suche die blaue Blume,
Ich suche und finde sie nie,
Mir träumt, dass in der Blume
Mein gutes Glück mir blüh.
Ich wandre mit meiner Harfe
Durch Länder, Städt und Au’n,
Ob nirgends in der Runde
Die blaue Blume zu schaun.
Ich wandre schon seit lange,
Hab lang gehofft, vertraut,
Doch ach, noch nirgends hab ich
Die blaue Blum geschaut.
In diesem Gedicht verweist das lyrische Ich auf ähnliche Aspekte, wie sie auch bei Novalis zu finden sind. Der erste Vers eröffnet, dass es sich um eine Suche handelt, welche aber nicht erfolgreich ist. Darüber hinaus wird im dritten Vers auf den Traum verwiesen, der realitätsübergreifend Wirklichkeit und Traumwelt verbindet. Allerdings – so scheint es dem Ich – würde das Finden der blauen Blume das gute Glück bedeuten. Das gute Glück meint hierbei einen Lebenszustand in fortwährendem Glück.
Eichendorff bedient sich außerdem des Wandermotivs. Sein lyrisches Ich ist ständig auf der Suche nach der Wunderblume, kann sie aber nirgends finden und sehnt sich danach. Die Verbindung zwischen Novalis‘ Text und Eichendorffs Gedicht ist demzufolge eindeutig.
Darüber hinaus findet sich bei Adelbert von Chamisso der Hinweis, dass er glaubt, im Harz die blaue Blume der Romantik gefunden zu haben, wobei sie Heinrich Zschokke als Symbol der Liebe und Sehnsucht in der Novelle Der Freihof von Aarau nutzt und E. T. A. Hoffmann erinnert an Novalis, indem er in Nachricht von den neuesten Schicksalen des Hundes Berganza die blaue Blume mit den heiligen Wundern der Natur gleichsetzt (vgl. Hommage).
Aber auch in der Malerei finden sich zahlreiche Werke, die mit dem Symbolhaften spielen und es aufgreifen. Hierbei besteht allerdings die Gefahr, das jeweilige Kunstwerk überzuinterpretieren und eine Bedeutung zu sehen, die tatsächlich gar nicht enthalten ist. Allerdings ist anzunehmen, dass den meisten Künstlern, die im unmittelbaren Zusammenhang mit der Romantik stehen, das Symbol geläufig ist und das Zeigen von blauen Blumen somit auf das bekannte Sehnsuchts- und Liebessymbol anspielt.
Ausschnitt: Der Morgen von Philipp Otto Runge
Das obige Beispiel zeigt einen Ausschnitt des Gemäldes Der Morgen von Philipp Otto Runge. Das Bild zeigt eine verklärte Landschaft, die in der Morgendämmerung erwacht. Inmitten des Bildes findet sich eine weibliche Figur, aus deren Händen eine blaue Lilie wächst. Runge versucht hierbei, eine romantisch-mystische Vision darzustellen und verweist durch die Blaue Blume und durch das Verwischen der Grenzen von Tag und Nacht auf wesentliche Merkmale der Romantik (→ Vollansicht von „Der Morgen“).
- Die Blaue Blume ist ein Symbol der Epoche der Romantik und steht für die Sehnsucht nach Unerreichbarem, Unendlichem sowie Unbedingtem. Sie wird außerdem häufig als Symbol der Liebe, Sehnsucht, Unendlichkeit und Selbsterkenntnis interpretiert, steht aber auch für die Verbindung von Mensch und Natur und verbindet Realität mit Traumhaftem.
- Dieses Motiv lässt sich auf eine altdeutsche Sage zurückführen, die besagt, dass man des Nachts die blaue Wunderblume finden könnte und dadurch reich belohnt werde. In der Folge griff Novalis, ein romantischer Dichter, dieses Motiv in seinem Roman Heinrich von Ofterdingen auf und belegte es dabei mit den beschriebenen Eigenschaften, die von vielen Autoren eingesetzt wurden und die Merkmale einer ganzen Epoche verdeutlichten.
- Hinweis: Dieses Symbol wurde nachfolgend für den Inbegriff der deutschen Dichtung und wurde teilweise sogar synonym für diese gebraucht. Beispielsweise gab es 1968 innerhalb der Studentenbewegung die Losung „Schlagt die Germanistik tot, färbt die blaue Blume rot!“, wobei die blaue Blume für die deutsche Literatur stand, die wiederum für die Germanistik stand (vgl. Pars pro toto), welche als erstarrte Wissenschaft galt. Diese Starre sollte durch das Motto angeprangert und der Wunsch nach Veränderung zum Ausdruck gebracht werden.